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22.11.2002 08:50

Chinas langer Weg ins Internet. DFG-Projekt untersucht die "Internetpolitik der Volksrepublik China"

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    ChineseWideWeb statt WorldWideWeb. So lautete die Forderung in den neunziger Jahren, um das Informationsmonopol der Kommunistischen Partei in der Volksrepublik China durch das Internet und den dadurch bedingten Informationsfluss nicht zu gefährden. Doch inzwischen ist das Internet im Reich der Mitte mit über 45 Millionen Usern stark angewachsen. In wenigen Jahren wird es wohl mehr chinesische Webseiten als englische geben. Bereits heute verfügt China nach den Vereinigten Staaten über den größten Telekommunikationsmarkt der Welt, und E-Commerce hat erheblich an Bedeutung gewonnen. Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstütztes Forschungsprojekt an der Freien Universität Berlin untersucht die Widersprüche der "Internetpolitik der Volksrepublik China" und hat erste Ergebnisse vorgelegt: Einerseits werden das Internet und die modernen Kommunikationstechnologien als unerlässlich für eine rasche Modernisierung des Landes angesehen, andererseits ergreifen Partei und Regierung mannigfaltige Maßnahmen, um "negative Einflüsse des Internets auf die politische und gesellschaftliche Stabilität" zu begrenzen.

    Chinas Internet boomt. Zahllose Internet-Cafés zeugen ebenso von der Anziehungskraft des Netzes für die urbane Jugend wie die Präsenz aller wichtigen IT-Unternehmen am chinesischen Markt. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Berichte von massiver Zensur und Razzien in Internet-Cafés zeichnen das Bild eines autoritären Staates, der nichts mehr fürchtet, als den ungehinderten Austausch von Informationen.

    Das chinesische Internet hat in den letzten Jahren mit einer geradezu atemberaubend anmutenden Entwicklung seinen Rückstand gegenüber dem Westen wettgemacht. Gab es Ende 1997 gerade einmal eine halbe Million User in der Volksrepublik China, so sind es heute schon mehr als 45 Millionen. Chinesisch ist, nach Englisch, zur verbreitetsten Sprache im WorldWideWeb aufgestiegen. Beispiellose Investitionen in die Telekommunikations-Infrastruktur haben das Land zum zweitgrößten Telekommunikationsmarkt der Welt hinter den USA werden lassen. E-Commerce ist zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden, und die Modernisierung der Wirtschaft, der Aufbau einer Marktwirtschaft, aber auch die Verwaltungsreform sind mit den neuen Technologien untrennbar verknüpft. Doch es existiert eine gewaltige Kluft zwischen der Entwicklung in den großen Städten und dem armen Hinterland, und die Überwindung dieses so genannten 'digital divide' (digitale Kluft) bereitet der chinesischen Führung sichtlich Kopfschmerzen.

    Der große Bereich von E-Commerce hat sich in den letzten Jahren exponential und ungehindert entwickeln können. Alle internationalen im E-Commerce tätigen Unternehmen sind schon auf dem chinesischen Markt präsent. Trotz der Krise der 'new economy' bieten die entwickelten Anwendungen ein großes Entwicklungspotenzial. Chinesische Unternehmen steigen zunehmend in den E-Commerce-Bereich ein. Angebote zwischen Geschäftskunden, so genannte Business-to-Business-Portale (B2B), werden manchmal von der Regierung unterstützt. Ausländische Unternehmen bewerten sie positiv, weil dadurch offenere Ausschreibungen und eine größere Transparenz ermöglicht werden. Außerdem kann durch sie das traditionelle chinesische "Beziehungssystem" (guanxi-System), oftmals nur ein euphemistischer Name für Korruption und Nepotismus, umgangen werden. Auch bei der Verwaltungsreform setzen die Chinesen auf das Internet. Eine bürgernahe Verwaltung, ein besserer Service für das Volk, aber auch eine größere Transparenz von staatlichen Entscheidungen, werden als Hauptziele der netzgestützten Verwaltung (E-Government) genannt.

    Die gleiche Offenheit gilt nicht für den privaten User. Eine Reihe von Gesetzesverordnungen regeln die Verantwortung des Providers: User-Daten, angefangen von der Telefonnummer bis zu den besuchten Seiten, müssen gespeichert und auf Verlangen der örtlichen Polizei überstellt werden. Einzelne ausländische Webseiten, wie die New York Times und die Portale der taiwanesischen Zeitungen, waren Ende der neunziger Jahre zeitweise und regional unterschiedlich gesperrt. Heute unterzeichnen die Betreiber ausländischer Internet-Portale mehr oder weniger freiwillig die "Öffentliche Erklärung für Selbstdisziplin der chinesischen Internet-Branche". Dann müssen sie nicht befürchten, dass ihre Seiten vom Netz genommen werden. Über den anderen hängt eine potenzielle Bedrohung. Zehntausende von Internet-Cafés sind im Laufe des Jahres geschlossen worden, und Yahoo China liefert seit einiger Zeit nur Seiten, die der Regierung genehm sind.

    Ob China mit einer solchen zweigeteilten Politik auf Dauer Erfolg haben wird, bleibt fraglich. Der massive Ausbau der Telekommunikations-Infrastruktur und die Förderung des Internets für E-Commerce lassen viele Hintertüren offen. Die kürzlich durch das Internet bekannt gewordene Verhaftung des Aids-Aktivisten Wan Yanhai zeigt, dass man zwar einzelne Webseiten sperren kann, doch andere bringen den gleichen Inhalt. Auch webbasierte E-Mails sind kaum zu kontrollieren. Neue 'Peer-to-peer'-Technologien erlauben verschiedenen PC-Nutzern den Zugriff auf die von anderen Usern angebotenen Informationen. Sie sind in den staatlichen Verordnungen noch nicht enthalten. Die Kontrollen zielen also nur auf den Nutzer, der sich mit dem offiziellen Inhalt zufrieden gibt.

    Eine Internet-Welt speziell für China, ein ChineseWideWeb also, wie es Mitte der neunziger Jahre gefordert wurde, ist nicht entstanden. Und wenn auch Falungong (www.falundafa.org) genauso fehlt wie die Homepage des taiwanesischen Präsidenten (www.president.gov.tw), so finden sich noch genug Schlupflöcher für "subversive" Aktivitäten. Man kann sicher sein, dass von staatlicher Seite aus immer wieder neue gesetzliche Maßnahmen folgen, doch ob es am Ende einen Sieger im Katz-und-Maus-Spiel geben wird, erscheint mehr als fraglich. Das Internet als Zeichen der wirtschaftlichen Modernisierung des Landes ist zwar mehr als willkommen, aber der ungehinderte Zufluss von Informationen aus dem Ausland, politische und gesellschaftskritische Diskussionen in Chat-Räumen, nagen am Meinungsmonopol der Kommunistischen Partei. Langfristig könnte das Internet eines von vielen Dingen sein, das dem Informationsmonopol der Kommunistischen Partei ein Ende setzt.

    Das DFG-Projekt "Die Internetpolitik der VR China" wird von der Arbeitsstelle Politik Chinas und Ostasiens am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität durchgeführt. Die erste Feldphase wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Eberhard Sandschneider im Frühjahr 2002 abgeschlossen.

    Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
    Jens Damm und Simona Thomas, Arbeitsstelle Politik Chinas und Ostasiens der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838-57030, E-Mail: jensdamm@zedat.fu-berlin.de und Simona.Thomas@gmx.de


    Weitere Informationen:

    http://www.fu-berlin.de/polchina


    Bilder

    Die chinesischen Behörden schließen immer mehr Internet-Cafés im Land.
    Die chinesischen Behörden schließen immer mehr Internet-Cafés im Land.

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    Werbung für eine chinesische Website.
    Werbung für eine chinesische Website.

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Die chinesischen Behörden schließen immer mehr Internet-Cafés im Land.


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