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27.12.2002 13:33

Mit kriminalistischem Gespür

Viola Naerdemann Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Jahrhundertelang lagen die Akten unter Verschluss, Legenden rankten sich um die Protokolle der römischen Inquisition und der für die Buchzensur zuständigen Indexkongregation. Seit 1998 sind die Archive des Vatikans offiziell geöffnet, doch bereits seit 1992 hat Prof. Hubert Wolf vom Institut für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster die Möglichkeit, die Fakten hinter den Gerüchten zu überprüfen. Für diese Arbeit erhält er Mitte Februar den mit 1,55 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis.

    Wolf ist Mitglied des von der Glaubenskongregation eingesetzten wissenschaftlichen Beirates, der die Erschließung der Archive begleitet und größere Editionsvorhaben prüft. "Dabei gibt es im Grunde keine Einschränkungen, es muss nur ein wissenschaftliches Interesse vorliegen", erläutert Wolf. Noch weiß niemand, was sich in den Bänden für Buchzensur verbirgt, denn die Akten wurden nicht systematisch geordnet, sondern chronologisch eingestellt. Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über zwölf Jahre finanzierten Projektes katalogisiert und inventarisiert der Kirchenhistoriker nun die Akten und erstellt eine Datenbank, um sie allen Wissenschaftlern frei zugänglich zu machen. "Wir wollen, dass alle Disziplinen wissen, was hier zu finden ist. Der Medizinhistoriker kann ebenso fündig werden wie der Philosoph", erklärt Wolf. Inzwischen ist das gesamte 19. Jahrhundert der Bestände der Indexkongregation durchgearbeitet und erfasst.

    Die Zensur von Büchern wurde nach genau festgelegten Regeln verhandelt, Gutachten und Gegengutachten eingeholt. Wolf vermutet, dass doppelt so viele Schriften verhandelt wie später tatsächlich verboten worden. Immer wieder wurden Werke auf den Index, der seit 1967 abgeschafft ist, gesetzt, andere heruntergenommen. Kants "Kritik der reinen Vernunft" und Beecher-Stowes "Onkel Toms Hütte" wurden von den Klerikern ebenso unter die Lupe genommen wie die Gedichte Heines. Der wurde, im Gegensatz zu den anderen Autoren des Sturm und Drang, tatsächlich indiziert. "Heine publizierte in französisch. Nur dadurch wurde er für die Indexkongregation interessant, denn Deutsch war für sie eine Barbarensprache", erklärt Wolf diesen Umstand. Bei Karl May dagegen wurde nicht einmal ein Gutachten angefordert, das Verfahren vorher eingestellt.

    In der Datenbank werden nicht nur die einzelnen Akten beschrieben, sondern auch die Lebensläufe der einzelnen Gutachter so weit wie möglich rekonstruiert. "Wir wollen wissen, wer die Täter sind und wer sich da ein Urteil über Kant anmaßt", so Wolf. Das ist allerdings leichter gesagt als beschrieben, denn häufig tauchen die Gutachter nur unter ihren Ordensnamen auf, sind ausländische Namen von den Protokollanten italisiert worden oder tauchen immer neue Variationen eines Namens auf. Deswegen haben die Mitarbeiter des Projektes abertausende von Namen auswerten und einordnen müssen. Nun aber kann für das 19. Jahrhundert genau rekonstruiert werden, wann welcher Gutachter wie über bestimmte Bücher geurteilt hat.

    "Wir mussten dabei manchmal wie in einem Kriminalfall vorgehen", erzählt Wolf mit leuchtenden Augen. "Das ist das Spannende: Wir sind die Ersten und erforschen völliges Neuland". Neuland, dass ein aufschlussreiches Licht auf die neuzeitliche Wissenskultur wirft. Denn in den Akten liegen alle Positionen verborgen, die der Vatikan zu den gesellschaftlichen, politischen, philosophischen Fragen bezogen hat. "Wir wollen sozusagen ein Trägerschiff zur Verfügung stellen, an dem alle anderen Wissenschaften andocken können".

    Die Datenbank ist online unter www.buchzensur.de zu erreichen.


    Weitere Informationen:

    http://wwwfb02.uni-muenster.de/fb02/minekg/wolf/index.html


    Bilder

    Prof. Hubert Wolf
    Prof. Hubert Wolf

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

    Prof. Hubert Wolf


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