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09.01.2003 14:32

Die Königliche Porzellan-Manufaktur in Berlin - ein frühkapitalistischer Vorzeigebetrieb

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Über die Betriebsstruktur der staatlichen Berliner Porzellan-Manufakturen

    Die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) und ihr Tochterbetrieb, die Königliche Gesundheitsgeschirr-Manufaktur (KGM), gehörten bis 1848 zu den größten Arbeitgebern Preußens. Die KPM zählte zu dieser Zeit 450 Beschäftigte, die KGM 220. Die Königliche Gesundheitsgeschirr-Manufaktur produzierte preiswerte Porzellane, um den ärmeren Schichten eine Alternative zum gesundheitsschädlichen bleiglasierten Tongeschirr zu bieten. Die Betriebsform der Manufaktur gilt als diejenige, die im 19. Jahrhundert den Weg für die Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsweise ebnete. In Manufakturen wurden schon früh Maschinen eingesetzt und freie, allein vom Markt abhängige Lohnarbeiter beschäftigt. Der Historiker Arnulf Siebeneicker von der Freien Universität Berlin hat die Arbeitsbedingungen und die Machtbeziehungen in diesen Staatsbetrieben vor und während der Industriellen Revolution untersucht. Dabei geht er vor allem der Frage nach, wie sich die Stellung der Staatsbeamten und Angestellten ("Offizianten") von derjenigen der Arbeiter ("Ouvriers") unterschied und wie sich das Verhältnis dieser beiden Belegschaftsteile zueinander entwickelte. Auf diese Weise werden die innerbetrieblichen Grundlagen der Entstehung wichtiger Gruppen sichtbar, die bis heute das gesellschaftliche Gefüge prägen.

    Die Offizianten waren vor betriebsbedingter Kündigung geschützt und konnten mit festen, von Konjunkturschwankungen unabhängigen Gehältern rechnen. Damit wurden sie der preußischen Staatsbeamtenschaft gleichgestellt, deren Rechte und Pflichten sich im 19. Jahrhundert langsam herausbildeten. Die um 1820 unternommenen Versuche der Manufakturdirektion, eine am Betriebsgewinn orientierte leistungsbezogene Bezahlung der Offizianten durchzusetzen, scheiterte am Widerstand der Betroffenen. "Die Argumentation beider Seiten ähnelt verblüffend der aktuellen Diskussion um eine Reform des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik Deutschland", meint Arnulf Siebeneicker. Die Bevorzugung der Offizianten gegenüber den Arbeitern ließ sich dadurch rechtfertigen, dass sie schwerer ersetzbar waren. Vor allem im technischen und künstlerischen, aber auch im kaufmännischen Bereich konnte das Ausscheiden erfahrener Funktionsträger nur unter großen Schwierigkeiten kompensiert werden. So weigerten sich häufig die leitenden Techniker der Porzellanmanufakturen ("Arkanisten" / von lat. Arkanum = Geheimnis), die von ihnen entwickelten Rezepte für Massen, Glasuren und Farben schriftlich niederzulegen. Durch den Tod eines dieser Offizianten ging der KPM deshalb wertvolles Wissen verloren.

    Unter den Ouvriers waren die Maler, Dreher und Former, die eine sechsjährige Lehre durchlaufen hatten, die am gründlichsten ausgebildeten Arbeiter. Sie sahen sich als "Künstler", ohne damit allerdings den Anspruch auf eine selbstbestimmte Gestaltung der von ihnen ausgeführten Tätigkeiten zu verknüpfen. Die Basis für ihr Beharren auf Würde und Unabhängigkeit war der Berufsstolz, der sich aus ihrer herausgehobenen Stellung im Produktionsprozess ergab. Durch jede Einschränkung ihres Handlungsspielraums sahen sie ihre Ehre verletzt. "Wem ist nicht bekandt, das Kunst keinen Zwang leidet?", fragten die Maler 1775 in einer Petition an den Manufakturdirektor. Den Stücklohn und die festen Arbeitszeiten empfanden sie als Kennzeichen der abhängigen Stellung in einem Betrieb, die lediglich ein geringes soziales Ansehen genoss. Unabhängig vom jeweiligen Sachverhalt erhoben die Facharbeiter den Anspruch auf eine bevorzugte Behandlung gegenüber den geringer qualifizierten Mitgliedern der Belegschaft. So wehrten sich die Former und Dreher 1775 gegen die Ausstattung des Torwächters mit der Befugnis zur Kontrolle ihres morgendlichen Eintreffens in der Manufaktur: "Würden wir in dieser Sache gehorsamst zu bitten haben, daß zwischen uns und denen Lehr Burschen, Holtzhauern und Handlangern ein Unterschied gemacht werden möchte." Bitter beklagten sich die Facharbeiter über ihre Zurücksetzung gegenüber den Offizianten, denn sie waren - wie sie 1848 dem König mitteilten - der Ansicht, dass "wir Künstler die eigentlichen Schaffer, der wahre Nerv derselben sind, und den Ruf, den die Manufactur überall sich erworben, durch unsere Leistungen hauptsächlich begründeten."

    Verglichen mit ihren Kollegen in der privaten Wirtschaft, gestaltete sich die Lage der Ouvriers in der KPM und der KGM allerdings günstig: Sie besetzten sicherere Arbeitsplätze, da die beiden Staatsmanufakturen eine auf die Vermeidung von Fluktuation ausgerichtete Personalpolitik praktizierten. Sie bezogen höhere Löhne, da die Direktoren ihr dauerhaftes Abgleiten unter das Existenzminimum zu verhindern suchten. Sie konnten bei Krankheit und Invalidität eher auf Hilfe rechnen, da betriebliche Sozialeinrichtungen, wie die 1789 gegründete "Arbeiter-Versorgungs- und Verpflegungs-Anstalt", ihnen Versicherungsschutz gewährten. Die beiden Staatsmanufakturen sicherten sich auf diese Weise eine leistungsfähige Stammbelegschaft. "Ihr Vorgehen lässt sich jedoch nicht allein unter funktionalen Gesichtspunkten erklären, sondern auch durch die Tatsache, dass sie eine gewisse Vorbildfunktion gegenüber dem privaten Sektor zu erfüllen hatten", sagt Siebeneicker. "Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass es in der KPM und in der KGM - abgesehen von Tumulten während des Revolutionsjahres 1848 - weder zu Streiks noch zu anderen illegalen Formen des Arbeitskonflikts kam." Auch die Bereitschaft zum Eintritt in die 1869 gegründete Gewerkschaft der Porzellanarbeiter war bei den Beschäftigten der beiden Staatsmanufakturen gering.

    Am Beispiel der KPM und der KGM wird das soziale, wirtschaftliche und technische Innovationspotential deutlich, das die Betriebsform der Manufaktur im 18. Jahrhundert kennzeichnet. Belege dafür sind neben der Gründung der betrieblichen Sozialversicherung auch die frühe Einführung der doppelten Buchführung (1792) und der Dampfmaschine (1799). Der noch ungenügend entwickelte private Sektor in Preußen konnte diese Erfahrungen jedoch nicht verwerten. Eingekapselt in den Schutzraum der Staatswirtschaft, verloren die KPM und die KGM im 19. Jahrhundert ihre Vorbildfunktion. "Die wesentlich durch die Arbeitssituation vermittelten Differenzierungen innerhalb der Belegschaft verfestigten sich, wobei die Barriere zwischen den Offizianten und den Ouvriers ebenso stabil blieb wie die Barriere zwischen den Facharbeitern und den geringer qualifizierten Arbeitern", meint der Historiker. Die Offizianten hätten unter Verweis auf die Sonderrechte der Staatsbeamtenschaft ihre Abschottung gegen Marktbedingungen verteidigt. Die von außerökonomischen Bindungen befreiten, aber immer noch besser als vergleichbare Berufsgruppen in der privaten Wirtschaft situierten Ouvriers zeigten nur geringe Bereitschaft zu berufs- und betriebsübergreifendem Handeln. Die Lage und das Verhalten der Beschäftigten verweisen auf die Beharrungskraft ständischer Traditionen in einer zunehmend von Marktinteressen geprägten Umwelt.

    Literatur:
    Arnulf Siebeneicker, "Offizianten und Ouvriers. Sozialgeschichte der Königlichen Porzellan-Manufaktur und der Königlichen Gesundheitsgeschirr-Manufaktur in Berlin 1763-1880", Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2002 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 100), 551 Seiten, ISBN 3-11-017158-9, 148 Euro

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
    Dr. Arnulf Siebeneicker, Kreuzbergstr. 72, 10965 Berlin, Tel.: 030 / 86 54 57, E-Mail: siebeneicker@nexgo.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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