Vögel trinken keinen Nektar, sondern fressen die Staubblätter
Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und ihren Bestäubern gehören zu den raffiniertesten Interaktionen, mit denen die Natur aufwartet. Agnes Dellinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien und ihr Team beschäftigten sich mit der Bestäubungsbiologie einer Gruppe tropischer Kleinbäume, die in den Bergregenwäldern Zentral- und Südamerikas beheimatet ist. Dabei gelang den ForscherInnen der Nachweis eines außergewöhnlichen, bisher unbekannten Vogelbestäubungssystems. Einzelheiten dieser Entdeckung wurden nun in der renommierten Zeitschrift "Current Biology" veröffentlicht.
Die Gattung Axinaea gehört zu der großen, vorwiegend in den Tropen verbreiteten Pflanzenfamilie Melastomataceae (Schwarzmundgewächse; einige wenige Vertreter finden sich als Zierpflanzen in Mitteleuropa). Die Mehrheit der etwa 5.000 Arten dieser Familie wird von Bienen bestäubt, nur bei etwa 100 Arten sind andere Bestäuber wie Käfer, Fliegen oder Kolibris bekannt. Das WissenschafterInnenteam der Universität Wien mit Agnes Dellinger, Yannick Staedler, Jürg Schönenberger (Department für Botanik und Biodiversitätsforschung), sowie Lena Fragner und Wolfram Weckwerth (Department für Ökogenomik und Systembiologie) und Darin Penneys (California Academy of Sciences) konnte bei seiner Feldarbeit in Südamerika nun überraschenderweise Sperlingsvögel (Tangare) als Blütenbesucher beobachten.
Starke Farben locken Vögel an
"Wir waren erstaunt, dass die Vögel nicht, wie bei den meisten anderen von Vögeln bestäubten Pflanzen, Nektar trinken, sondern die Staubblätter von Axinaea fressen", so die Botanikerin Agnes Dellinger. Bei Axinaea stehen die Blüten je nach Art in lockeren oder dicht gedrängten Blütenständen mit rosa, gelb, orange oder rot gefärbten Kronblättern. Wesentlich ist, dass die Staubblätter (männliche Reproduktionsorgane) fast aller Arten einen starken Farbkontrast zu diesen Blütenkronblättern bilden.
Eigenes Organ zur Bestäubung
Es stellte sich heraus, dass die Vögel von den auffällig gefärbten, zuckerreichen Anhängseln der Staubblätter zu den Blüten gelockt werden. Wenn die Vögel ein solches Anhängsel mit dem Schnabel packen, aktivieren sie ein Blasebalg-Organ im Staubblatt und werden von einer Pollenwolke eingestäubt. Dabei bleibt Pollen am Schnabel und Kopf des Vogels haften. Steckt der Vogel seinen Schnabel erneut in eine Blüte, um ein weiteres Staubblatt herauszulösen, berührt er dabei zwangsläufig das rezeptive weibliche Organ (Narbe) und führt so die Bestäubung durch.
Mit Hilfe einer Kombination aus Videobeobachtungen, Bestäubungsexperimenten und Laboranalysen zu Aufbau, Struktur und chemischer Zusammensetzung der Staubblätter gelang es den ForscherInnen, den komplexen Bestäubungsmechanismus von Axinaea im Detail zu beschreiben. Trotz jahrhundertelangem wissenschaftlichen Interesses an Bestäubungsbiologie ist diese Entdeckung für die Forschung vollständig neu und unterscheidet sich deutlich von bislang bekannten Vogelbestäubungssystemen.
Zuckerreicher Futterkörper als Belohnung
Während die meisten vogelbestäubten Pflanzen Nektar anbieten, belohnt Axinaea ihre Bestäuber mit nahrhaften, zuckerreichen Futterkörperchen. Bei den wenigen bisher beschriebenen Fällen von Vogelbestäubung, wo Futterkörper im Spiel sind, befinden sich diese Futterkörper ausschließlich auf den sterilen äußeren, niemals aber auf den reproduktiven Blütenorganen wie bei Axinaea. Darüber hinaus ist keine andere von Vögeln bestäubte Pflanze bekannt, die anatomisch klar abgrenzbare Blasebalg-Organe für den Transfer von Pollen ausgebildet hat.
Die Studie zum Bestäubungssystem von Axinaea ist auch hinsichtlich der evolutionären Entwicklung von Blüte-Bestäuber-Beziehungen bedeutsam, da sie ein weiteres Beispiel für einen Übergang von Bienen- zu Vogelbestäubung darstellt. Dieser Bestäuberwechsel geht Hand in Hand mit auffälligen morphologischen Veränderungen der Blüte, wie zum Beispiel der Entstehung der Blasebalg-Organe. Ähnliche evolutionäre Bestäuberwechsel von Bienen zu Vögeln oder anderen Wirbeltieren finden sich vor allem bei Pflanzenarten, die in größeren Höhenlagen wachsen. Dies unterstützt eine frühere Hypothese über die größere Effizienz und Stetigkeit von Wirbeltieren im Gegensatz zu Bienen als Bestäuber mit steigender Seehöhe.
Publikation in Current Biology:
Dellinger et al.: "A specialized bird pollination system involving a bellows mechanism for pollen transfer and staminal food body rewards" in Current Biology - July 21, 2014 issue.
DOI: 10.1016/
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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