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26.03.2003 15:01

Historische Fotos von Indianern Feuerlands und das Phänomen der Visualisierung

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Workshop des Internationalen Promotionsstudiengangs "Transnationalisierung und Regionalisierung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart" am 28. März 2003 an der Universität Leipzig

    44 Doktoranden aus 27 Ländern sind am Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig in den Internationalen Promotionsstudiengang "Transnationalisierung und Regionalisierung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart" integriert. Zu ihnen gehört die chilenische Historikerin Marisol Palma. Sie wendet sich in ihrer Forschungsarbeit den Fotografien zu, die der Ethnograph und Missionar Martin Gusinde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Feuerland aufnahm. Jetzt fragt Marisol Palma - gemeinsam mit vier weiteren Referent/innen - in einem Workshop (Freitag, 28. 3. 2003) nach den "Historischen Ansätzen zur Visualisierung".
    Welche Fotos macht ein Europäer in den 1920er Jahren in Feuerland? Was passiert zwischen dem Fotografen aus Europa und den fotografierten Indianern? Was sagen solche Fotos aus? Was sollen die Fotos bedeuten? Sind sie - technisch mehr oder minder gelungene - Abbilder der Wirklichkeit? Oder erzählen sie andere Geschichten - über die Aufnahme hinaus? Welche Art von Dokument sind Fotografien überhaupt?
    Diese "Begegnungsfragen" sind es, denen sich die chilenische Historikerin stellt. Die DAAD-Stipendiatin am Historischen Seminar der Universität Leipzig ist der Ansicht: "Man kann Fotos nicht nur als Bild betrachten." Die neuere Forschung - in der Geschichte, der Kunstgeschichte, in der Anthropologie, der Ethnologie - beschränkt sich nicht mehr darauf, allein das Bild zu sehen; sie richtet ihr Augenmerk auch auf die Rekonstruktion der Kontexte der Fotografien, denen sie unterworfen sind, sowohl im Laufe ihrer Entstehung als auch ihrer Vervielfältigung, sowohl im Laufe ihrer Sammlung als auch ihrer Veröffentlichung. All diese Zusammenhänge prägen eine Fotografie und verändern das Bild, das sich der Betrachter von ihr macht. Marisol Palma nennt dies "Fotos mit verschiedenen Augen sehen". Genau dieses Anliegen hat die Historikerin jetzt ins Zentrum des Workshops "Historische Ansätze zur Visualisierung" gerückt.
    Veranstaltung und Thema gehen auf ihre Promotion zurück, an der sie seit 2001 am Historischen Seminar der Universität Leipzig (Lehrstuhl Prof. Michael Riekenberg) arbeitet. Für Marisol Palma ist es wichtig, "verschiedene Partner und verschiedene Perspektiven" nach Leipzig zu holen. Zum einen möchte sie einen Impuls für die visuelle Anthropologie geben - diese Forschungslinie steckt an der Universität Leipzig noch in den Anfängen; zum anderen erhofft sie sich Anregungen für ihre Studien über Martin Gusinde - ihre Promotion reift allmählich zum Manuskript heran. Mit Peter Mason (Amsterdam), Elizabeth Edwards (Oxford), mit Viktoria Schmidt-Linsenhoff (Trier) sowie Jens Baumgarten (Hamburg) ist es ihr gelungen, Experten aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern in einem Workshop zu vereinen.
    Eingebettet in dieses Quartett wird Marisol Palma einen Ausschnitt aus ihrer Dissertation "Fragmentarische Lektüre der Fotografie. Der Fall Martin Gusinde" vorstellen. Als das besondere Verdienst des Lehrers, Ethnologen und Missionars Gusinde gilt, dass er die Ureinwohner Feuerlands vor ihrer endgültigen Auslöschung fotografiert, ihr Leben studiert und überliefert hat. Die Fotografien, die Gusinde aus seinen vier Reisen zwischen 1918 und 1924 angefertigt hat und die heute im Anthropos-Institut St. Augustin archiviert sind, erfassen allerdings nur noch in geringem Maße das originäre Leben der Ureinwohner. "Sie waren in den 1920er Jahren", schildert Marisol Palma, "bereits zu 80 Prozent durch Epidemien, Gewalt und Alkohol vernichtet." Die Überlebenden der drei - ursprünglich waren es vier - Indianerstämme waren zur Sesshaftigkeit und zur Fron auf den Haciendas verpflichtet, um ihre Existenz zu retten. Nichtsdestotrotz gelang es Martin Gusinde, den ein oder anderen Aspekt der vergangenen ethnischen Realität Feuerlands auf Glasplatten zu bannen. Bei diversen Zeremonien entstanden etwa tausend Fotos. Darunter sind Aufnahmen von "Hain", dem Initiationsritus der Selknam. "Sehr, sehr gute, einzigartige Fotos, die die Körperbemalung und die Masken des Stammes zeigen", sagt Marisol Palma über ihr Quellenmaterial. Ihre Betrachtung geht jedoch über die Anschauung hinaus: "Ich möchte wissen, wie Martin Gusinde dort gearbeitet hat, wie er Ethnizität konstruiert hat." Sie ist darauf gestoßen, dass der Forscher die Menschen, die er fotografierte, mit Fellbekleidung, Pfeil und Bogen ausstaffierte und ihnen ihre Arbeitszeit für die Durchführung der Riten abkaufte. Letztlich steht hinter Gusindes Aufnahmen einer lebendigen Kultur nur noch der Schatten einer verlorenen Kultur.
    "Es ist es offensichtlich so", schlussfolgert Marisol Palma, "dass Fotografien mehr erzählen, als auf ihnen zu sehen ist." Neben Inhalt des Fotos, der sich auf den ersten Blick erschließt, erzählt das Foto zweitens von den historischen Zusammenhängen und erlaubt drittens, die Fotografien als Materialität zu analysieren. "Das sind drei Geschichten, die ein Foto erzählen kann." Ihnen auf die Spur zu kommen, sie zu entdecken und zu enträtseln - das ist das Angebot, das der Workshop "Historische Ansätze zur Visualisierung" unterbreitet. Daniela Weber

    Workshop "Historische Ansätze zur Visualisierung" am 28. März 2003, 9.15 bis ca. 18.30 Uhr
    Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig, Emil-Fuchs-Straße 1, Raum 3.15
    Tel.: 0341/97-30 286
    Fax: 0341/960 52 61
    E-Mail: hoepel@rz.uni-leipzig.de
    Ansprechpartnerin:
    Marisol Palma, DAAD-Stipendiatin am Historischen Seminar der Universität Leipzig
    Tel: 0341/337 87 60
    E-Mail: mpquintay@t-online.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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