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27.03.2003 17:33

Nahrung - Gemeinwohl - Markt.

Dr. Ralf Breyer Public Relations und Kommunikation
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt (Main)

    Tagung zu vorindustriellen Wirtschaftsmentalitäten im deutschsprachigen Handwerk in der Frühen Neuzeit

    FRANKFURT. 'Nahrung, Markt oder Gemeinnutz - wie funktionierte das vorindustrielle Handwerk oder was taugt Sombarts Idee der 'Nahrung' heute noch?' So lautet das Thema einer Tagung, die am 4. und 5. April an der Universität Frankfurt stattfindet.

    Der Begriff der 'Nahrung' als standesgemäßem Auskommen, bündelte für Sombart sämtliche charakteristischen Aspekte vorkapitalistischer Wirtschaftsmentalitäten. Erstmals wird im Rahmen der Veranstaltung der Versuch unternommen, die Tragfähigkeit von Sombarts einflussreichem Konzept auszuloten und einige seiner zentralen Vorstellungen von der vorindustriellen Ökonomie - Nahrung contra Markt, standesgemäßes Auskommen statt Erwerbsprinzip und Gewinnstreben - einer eingehenden dogmengeschichtlichen und empirischen Prüfung zu unterziehen.

    Werner Sombart, der von 1863 bis 1941 lebte, war einer der herausragenden Nationalökonomen des 19. und 20. Jahrhunderts. Bekannt wurde Sombart mit einer dreibändigen Arbeit, in der die Entwicklung des Kapitalismus historisch und systematisch von seinen Anfängen im Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert beschreibt, erklärt und deutet, und die bis heute in die Geschichtswissenschaften hineinwirkt.

    Der Begriff der 'Nahrung' ist in der deutschsprachigen historischen Forschung eine der wesentlichen Kategorien zur Beschreibung vorindustrieller Wirtschaftsmentalitäten. Nach Werner Sombart ist darunter das insbesondere bei mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handwerkern erkennbare Streben nach 'Bedarfsdeckung' zu verstehen. In der vorindustriellen Wirtschaft habe Handwerkern jegliches 'Gewinnstreben' gefehlt. Mit bedingt durch die Inelastizität der Absatz- und Arbeitsmärkte wären sie weder in der Lage noch willens gewesen, mehr als
    das 'standesgemäße Auskommen' zu erlangen. Zünfte als Vereinigungen von Handwerkern wären, neben Ordnungsversuchen lokaler Obrigkeiten, in diesem Sinne ein Instrument gewesen, um abweichendes 'Gewinnstreben' - etwa durch Ausweitung der Produktionskapazitäten - zu sanktionieren.

    'Nahrung' und 'Markt' werden somit als konzeptuelle Gegenpole gedacht. Neuere Forschungen zur Geschichte des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gewerbes haben allerdings überzeugend nachweisen können, dass Leistungslöhne, Verbindungen zu überlokalen Märkten und eine deutlich flexiblere Angebotselastizität, als bislang angenommen wurde, vorzufinden waren. Wiewohl weiterführende Überlegungen bislang fehlen, hat es doch den Anschein, als müsste damit der postulierte Gegensatz zwischen kapitalistischen und nichtkapitalistischen Elementen für das Beispiel der vorindustriellen Wirtschaft in Frage gestellt werden.

    Der Begriff der 'Nahrung' korrespondiert aber auch mit Überlegungen zu ordnungspolitischen Vorstellungen in vorindustriellen Gesellschaften, die auf die stadthistorische Forschung des 19. Jahrhunderts zurückgehen. In den letzten vier Jahrzehnten hat der Begriff der 'Nahrung' und die damit verbundenen Konzepte des 'standesgemäßen Auskommens' und der 'Bedarfsdeckungswirtschaft' breite Verwendung nicht nur in der Handwerksgeschichtsschreibung, sondern auch in Überblicksdarstellungen zur Frühen Neuzeit gefunden. Bis heute fehlt aber eine eingehende Untersuchung der
    'Nahrung', die den Begriff für ausgewählte Handwerke, Orte und Zeiträume prüft sowie die ökonomischen, politischen und historiographischen Voraussetzungen dieses normativen Konzeptes herausarbeitet.

    Im Rahmen der Tagung 'Nahrung - Gemeinwohl - Markt' wird erstmals der Versuch unternommen, die Tragfähigkeit dieses begrifflichen Gefüges insbesondere für das mittelalterliche und frühneuzeitliche Gewerbe auszuloten. Im Einzelnen wird der Frage nachzugehen sein, ob mit dem in den Quellen verwendeten Begriff der 'Nahrung' tatsächlich Ordnungsvorstellungen verbunden waren und ob diese mit dem Konzept der 'Bedarfsdeckungswirtschaft' korrespondierten.

    Die geschlechtergeschichtliche Auslotung von 'Nahrung', 'Gemeinwohl' und 'Markt' soll Grenzen und Möglichkeiten dieser Begriffe aus Sicht einer nur bedingt in das frühneuzeitliche Gewerbe integrierten Gruppe aufzeigen und gleichzeitig einen Anschluss an Konzepte wie jenes der 'Familienökonomie' ermöglichen. Ob am Ende der Debatten dieser Sonderweg der deutschsprachigen Gewerbeforschung weiterhin seine Berechtigung haben wird oder ob stärker als bisher der Anschluss an die internationale Handwerksgeschichtsschreibung zu suchen ist, die bisher mit anderen Konzepten und ohne die 'Nahrung' ausgekommen ist, wird eine der zentral zu diskutierenden Fragen der Tagung sein.

    Kontakt: Robert Brandt, Hegelstr. 26; 60316 Frankfurt; E-Mail: robbrandt@gmx.de; Thomas Buchner, Rudolfskai 42; A-5020 Salzburg; E-Mail: Thomas.buchner@sbg.ac.at


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Gesellschaft, Meer / Klima, Politik, Recht, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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