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03.04.2003 11:41

Auf den richtigen Riecher kommt es an - Wie Honigbienen ihre Lieblingsblüte finden

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Wie nehmen Bienen Düfte wahr? Das Insekt mit einem Gehirnvolumen von einem Kubikmillimeter ist in der Lage, Tausende von Düften zu unterscheiden - auch wenn sich diese wie auf einer Wiese überlagern oder in geringsten Konzentrationen vorhanden sind. Der Honigbiene stehen nur wenige Nervenzellen zur Verfügung. Die Art, wie die an der Duftverarbeitung beteiligten Einheiten miteinander verknüpft sind und Signale austauschen, erzeugt ein hochentwickeltes Codierungssystem. Silke Sachse vom Institut für Biologie der Freien Universität Berlin hat in ihrer Dissertation grundlegende Prinzipien der Duftverarbeitung der Honigbiene untersucht. Die Wissenschaftlerin hat neue Methoden entwickelt, um die Gehirnaktivitäten von Bienen zu messen und bisher unbekannte chemische Regelkreise entdeckt. Nun ist sicher: Jeder Duft hat seinen eigenen neuronalen Code.

    Bienen reagieren auf Chemikalien in ihrer Umwelt. Mithilfe chemischer Substanzen, die einen Duft ausmachen, werden spezifische Informationen übermittelt, die Auskunft über Nahrung, Gefahr, potenzielle Geschlechtspartner und Konkurrenten geben. Die chemischen Sinne verarbeiten dabei eine beträchtliche Zahl verschiedenster Reize. Das ist bemerkenswert, da Düfte aus flüchtigen Substanzen aus kleinsten Molekülen bestehen. Jedes Molekül codiert einen bestimmten Sinneseindruck. Die geringsten Änderungen in der Molekülstruktur können eine andere Geruchswahrnehmung zur Folge haben. Zusätzlich sind die meisten Düfte in der Natur komplexe Duftmischungen, wodurch die Anzahl möglicher Düfte stark ansteigt. "Eine Jasminblume verströmt Dutzende Duftmoleküle, von denen jedes eine andere Molekülstruktur besitzt", sagt Silke Sachse. "Die bemerkenswerte Fähigkeit des Duftverarbeitungssystems besteht darin, eine Vielzahl von Gerüchen auch dann voneinander unterscheiden zu können, wenn sie in niedrigsten Konzentrationen auftreten."

    In den vergangenen Jahren hat die Forschung zur Duftverarbeitung einen Boom erlebt, nachdem es möglich wurde, die Gene der Duftrezeptorzellen von Wirbeltieren und Insekten zu identifizieren. Zudem wurden Verfahren entwickelt, mit deren Hilfe Gehirnaktivitäten bei der Dufterkennung optisch sichtbar gemacht werden können. Düfte bzw. Duftmoleküle werden zuerst von einfachen Rezeptorzellen (RN) aufgenommen, die sich in den Riechorganen befinden. Beim Menschen ist das die Nase, bei Insekten die Antennen am Kopf. Man schätzt, dass Säugetiere 1.000 verschiedene Typen solcher Rezeptorzellen besitzen, während für Insekten - speziell die Fruchtfliege Drosophila - bislang nur 61 nachgewiesen werden konnten. "Diese geringe Zahl scheint sehr klein im Hinblick auf die enorm große Anzahl möglicher Duftmoleküle", erläutert Silke Sachse. "Die Evolution hat aber dafür gesorgt, dass ein spezieller Rezeptortyp nicht nur ein bestimmtes Duftmolekül registrieren kann, sondern mehrere verschiedene. Dadurch können Bienen, Menschen und alle anderen 'Riechtiere' weit mehr Düfte wahrnehmen als die Anzahl ihrer Duftrezeptoren erwarten ließe."

    Ehe ein Duft von der Biene erkannt werden kann, durchläuft er drei Verarbeitungsstufen: Zu Beginn fangen Rezeptorzellen in den Fühler-Antennen am Kopf die Duftmoleküle ein und wandeln diese Duftinformation in elektrische Signale um. Die elektrischen Signale gelangen dann in der zweiten Stufe in einen den Rezeptorzellen nachgelagerten Nervenknoten. Bei Bienen heißt dieser Knoten Antennallobus. Von hier aus führen Nervenzellen in andere Gehirnzentren, in denen die Duftsignale in dritter Instanz verarbeitet werden. Silke Sachse: "Der Aufbau des Antennallobus sowohl bei Insekten als auch bei Wirbeltieren ist sehr ähnlich. Bienen verarbeiten also Düfte nicht grundsätzlich anders als Hunde oder Menschen." Aufgebaut ist der Nervenknoten funktionellen Einheiten in Form kleiner Kügelchen, den Glomeruli, die es nur im Riechzentrum von duftverarbeitenden Lebewesen gibt. Innerhalb des Antennallobus sind die Glomeruli über Interneurone miteinander verbunden. Aus früheren Forschungen wusste Sachse, "dass ein beträchtlicher Teil der Duftverarbeitung schon auf einer sehr frühen Stufe innerhalb der Signalkette vonstatten geht. Es galt zu ergründen, welche Rolle genau der Antennallobus bei der Decodierung Abertausender Düfte spielt."

    Bekannt war, dass bestimmte Duftrezeptoren mit einem spezifischen Dufterkennungsprofil nur bestimmte Glomeruli mit Signalen versorgen. So erzeugen Düfte im Gehirn räumlich organisierte Aktivitätsmuster, indem die aktivierten Glumeruli eine Art 3-dimensionales Mosaik bilden. Jeder einzelne Glomerulus ist an mehreren solcher neuronalen Duftmuster beteiligt. Ein Beispiel: An der Übermittlung von Duft A sind die Glomeruli 1, 2, 3, 4, 5 beteiligt, an der von Duft B hingegen die Glomeruli 2, 3, 4, 7, 9. "Mit dieser Strategie der Duftverarbeitung kann eine große Zahl von Düften codiert werden, es muss nicht für jeden Duft eine eigene Erkennungseinheit geschaffen werden," sagt Sachse. "Die Sinnesorgane sind auf eine Vielzahl von Eindrücken vorbereitet. Eine evolutiv sinnvolle Strategie. Man stelle sich vor, der Mensch bräuchte für jeden Duft eine eigene Nase!"

    Mit den bisherigen Messmethoden konnte man meist nur die Aktivitäten der Rezeptorneurone verfolgen. Wie das Signal in der Duftverarbeitungskette weiter verarbeitet wurde, blieb verborgen. Silke Sachse hat eine Methode entwickelt, mit der man selektiv die Ausgangssignale des Antennallobus messen kann. Input- und Outputsignale können miteinander verglichen werden, was Aufschluss gibt, welchen Beitrag die verschiedensten Hirnzellenarten der Biene im Antennallobus bei der Duftverarbeitung leisten. Außerdem ist es möglich, die Gehirnaktivitäten von Biene zu Biene zu vergleichen. Düfte zu erkennen ist den Tieren zwar angeboren, aber um sich in ihrer "duftenden" Umgebung zurecht zu finden, müssen sie zum Teil auch eine beträchtliche Lernleistung vollbringen. Verhaltensexperimente mit Bienen haben ergeben, dass das Duftverarbeitungssystem in der Lage ist, die Duftqualität wahrscheinlich unabhängig von seiner Intensität zu erkennen. Mischt man zwei Düfte, werden sie im Gehirn ähnlich repräsentiert wie die Einzeldüfte.

    Bei pharmakologischen Tests mit Neurotransmittern (Botenstoffe im Gehirn) machte Sachse eine entscheidende Entdeckung. Sie erkannte, "dass es zwei eigenständige hemmende Netzwerke geben muss." Bekannt war zuvor nur eines. Diese beiden Regelkreise bewirken im Zusammenspiel, dass Glomeruli, die starke Eingangssignale erhalten, auch im Ausgangssignal stark aktiviert sind, während mittelstarke bis schwach aktive Glomeruli durch die hemmenden Netzwerke im Antennallobus herunter reguliert werden. "Diese Verarbeitung bewirkt eine Kontrastverstärkung der Duft-repräsentationen im Antennallobus. Das heißt, dass durch diese Netzwerke zwei sehr ähnlichen Düfte in ihrer Repräsentation im Gehirn kontrastverstärkt werden und wir sie somit unterscheiden können, obwohl sie fast die gleichen Rezeptoren in der Nase aktivieren." Das erklärt, warum sich Bienen auf einer blühenden Sommerwiese auf bestimmte Blüten konzentrieren können. "Es ist wahrscheinlich, dass diese hemmenden Signale auch Teil des Duftcodes sind und eine weitere Codierungsstufe darstellen, die ermöglicht, dass Düfte diffiziler codiert und damit von der Biene erkannt werden können." Bisher sind die beteiligten Neurone (oder Geruchsnervenzellen) und ihre komplexen Verschaltungen, die bei der Verarbeitung von Düften im Gehirn beteiligt sind, noch nicht vollständig identifiziert. Dazu sind weitere Forschungen nötig.

    von Anke Assig

    Literatur:
    Sachse, S. & Galizia, C.G. (2001). "Role of inhibition for temporal and spatial odor representation in olfactory output neurons: a calcium imaging study", J. Neurophysiol. 87: 1106-1117

    Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
    - Dr. Silke Sachse, Tel.: 001 / 212 / 327-7239, E-Mail: sachses@mail.rockefeller.edu (derzeit an der Rockefeller University, New York)
    - Dr. Giovanni Galizia, Institut für Biologie (Neurobiologie), Königin-Luise-Str. 28-30, 14195 Berlin, Tel.: 030/838-52058, E-Mail: galizia@zedat.fu-berlin.de
    - Prof. Dr. Randolf Menzel, Institut für Biologie (Neurobiologie), Tel.: 030 / 838-53930, E-Mail: menzel@neurobiologie.fu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Gesellschaft, Informationstechnik, Tier / Land / Forst
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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