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11.03.2015 09:26

Gehirn verarbeitet langanhaltende Schmerzen emotionaler

Dr. Ulrich Marsch Corporate Communications Center
Technische Universität München

    Eine kurze Unachtsamkeit und schon ist der Finger eingeklemmt, der Kopf gestoßen oder der Fuß verstaucht – und schmerzt. Schmerz ist ein Schutzmechanismus des Körpers und gleichzeitig ein komplexes neurologisches Phänomen, das von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Langanhaltender Schmerz im Sinne von chronischem Schmerz ist zudem eine eigene und häufig schwer zu behandelnde Krankheit. Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM) hat jetzt gezeigt, dass langandauernder Schmerz im Gehirn emotionaler verarbeitet wird als kurzer.

    Prof. Markus Ploner, Heisenberg-Professor für Human Pain Research an der TUM Fakultät für Medizin, und sein Team untersuchten mit ihren Experimenten die Schmerzwahrnehmung: Wie beeinflusst die Dauer des Schmerzes oder die Wirkung von Placebo die Aktivitäten im Gehirn? Sie benutzten für ihre Messungen Elektroenzephalogramme – kurz EEGs. Hierbei trägt der Proband eine Kappe mit 64 Elektroden, die während des gesamten Versuchs die Nervenzellaktivität des Gehirns messen können. Mit dieser Methode lässt sich zeitlich sehr genau darstellen, mit welchen Signalen Nervenzellen auf einen Schmerzreiz antworten.

    Schmerz trifft Emotion

    Die Wissenschaftler wählten folgenden Versuchsaufbau: 41 Studienteilnehmer erhielten über zehn Minuten schmerzhafte Hitzereize auf die Hand, die während des gesamten Zeitraums in ihrer Stärke variierten. Mit der anderen Hand sollten die Probanden mit Hilfe eines Schiebreglers kontinuierlich die momentan empfundene Schmerzstärke auf einer Skala von eins bis hundert bewerten.

    „Das Ergebnis hat uns selbst sehr verblüfft: Schon über wenige Minuten veränderte sich die subjektive Schmerzwahrnehmung der Teilnehmer – sie spürten zum Beispiel Änderungen des Schmerzes, wenn der objektive Reiz unverändert blieb. Die Empfindung von Schmerz löste sich somit bereits über wenige Minuten vom objektiven Reiz“, beschreibt Markus Ploner die Ergebnisse.

    Bisherige Studien zeigten, dass kurze Schmerzreize eher von sensorischen Hirnbereichen wahrgenommen werden. Diese verarbeiten die Signale aus den Sinnesorganen wie zum Beispiel der Haut. Bei den Experimenten mit langandauernden Schmerzen präsentierte sich den Wissenschaftlern im EEG aber ein anderes Bild: hier waren auch emotionale Hirnbereiche aktiv.

    „Dauert ein Schmerz über einen längeren Zeitraum an, so wandelt er sich offensichtlich von einem reinen Wahrnehmungsprozess zu einem mehr emotionalen Prozess. Diese Erkenntnis ist hochinteressant für die Diagnose und Therapie von chronischen Schmerzen bei denen der Schmerz über Monate und Jahre andauert“, so Ploner, der auch Oberarzt an der Neurologischen Klinik am
    TUM Klinikum rechts der Isar ist.

    Placebo verändert Schmerzwahrnehmung

    Dass nicht nur die Dauer, sondern alleine die Erwartung an einen Schmerzreiz die Wahrnehmung beeinflusst, zeigte ein zweites Experiment. Zwanzig Probanden erhielten zuerst unterschiedlich starke schmerzhafte Laserpulse abwechselnd auf zwei Bereiche auf ihrem Handrücken. Die Wahrnehmung eines jeden Schmerzreizes wurde anschließend mündlich bewertet. Im weiteren Verlauf des Experiments erhielten sie die gleichen Reize noch einmal mit dem Unterschied, dass vorher beide Bereiche eingecremt wurden. Obwohl beide Cremes wirkstofffrei waren, bekamen die Probanden gesagt, dass eine der Cremes eine schmerzlindernde Wirkung habe.

    Das Ergebnis: „Die Probanden bewerteten die Schmerzen auf dem Hautbereich mit der angeblich schmerzlindernden Creme signifikant schwächer als auf der anderen Hautstelle“, so Ploner. Die Wissenschaftler konnten diesen Placebo-Effekt auch im Gehirn sichtbar machen: obwohl die Probanden die gleichen Schmerzreize erhielten, feuerten die Nervenzellen beim zweiten Durchlauf ein anderes Muster von Signalen.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich unser Gehirn sogar objektiv gleiche Schmerzreize verarbeitet. Dieses komplexe neurologische Phänomen ‚Schmerz‘ im Gehirn systematisch zu kartieren und besser zu verstehen, ist eine große Herausforderung – für eine bessere Therapie von Schmerzpatienten aber dringend notwendig.“, meint Ploner.

    Prof. Dr. Markus Ploner ist Tenure Track Assistant Professor an der TUM. Mehr zum TUM Faculty Tenure Track, dem deutschlandweit einmaligen Berufungs- und Karrieresystem: www.tum.de/tenure-track

    Bildmaterial zum Download: https://mediatum.ub.tum.de/?id=1243430#1243430

    Originalpublikationen
    E. Schulz, E. S. May, M. Postorino, L. Tiemann, M. M. Nickel, V. Witkovsky, P. Schmidt, J. Gross, M. Ploner, Prefrontal gamma oscillations encode tonic pain in humans, Cerebral Cortex, Februar 2015.
    DOI: 10.1093/cercor/bhv043

    L. Tiemann, E. S. May, M. Postorino, E. Schulz, M. M. Nickel, U. Bingel, M. Ploner, Differential neurophysiological correlates of bottom-up and top-down modulations of pain, Pain, 2015, Feb;156(2):289-96.
    DOI: 10.1097/01.j.pain.0000460309.94442.44

    Kontakt
    Prof. Dr. Markus Ploner
    Neurologische Klinik und Poliklinik
    Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
    Tel.: 089 4140 – 4608
    ploner@lrz.tu-muenchen.de
    www.painlabmunich.de


    Weitere Informationen:

    http://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/kurz/article/32269/ - Pressemeldung im Web


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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