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02.05.2003 12:24

Die Frau hinter dem Buch

Norbert Frie Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Ihre Kreatur kennt fast jeder, aber nur wenigen ist bewusst, dass einer der großen abendländischen Mythen von einer schüchternen 22-Jährigen geschaffen wurde, die sich Zeit ihres Lebens ihren Platz zwischen Mutter, Vater und Ehemann erkämpfen musste. Mary Shelleys "Frankenstein", bereits kurz nach dem Erscheinen 1817 in England ein Sensationserfolg, ist bis heute nicht zuletzt dank der zahlreichen Verfilmungen einem breiten Publikum präsent. Anders als die Autorin, der die Soziologin Prof. Dr. Karin Priester von der Universität Münster mit ihrer Biografie "Mary Shelley - Die Frau, die Frankenstein erfand" auch in Deutschland die gebührende Bekanntheit verschaffen möchte. Die Shelley-Biografie ist gerade im Blanvalet-Verlag als Taschenbuch erschienen. Bei Langen Müller erhältlich ist die Lebensbeschreibung "Mary Wollstonecraft - Ein Leben für die Frauenrechte", die Priester Shelleys Mutter gewidmet hat.

    "Mir ging es dabei nicht darum, eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, denn die Fakten sind von angelsächsischen Autorinnen genauestens untersucht. Ich wollte eine möglichst lesbare Biografie schreiben, die sich nicht nur an ein akademisch gebildetes Publikum richtet", so Priester. Und das ist ihr gelungen. Einfühlsam beschreibt sie zwei Lebensgeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

    Auf der einen Seite die Mutter, aus einer verarmten Familie stammend, die sich ihre Bildung selbst aneignen musste und zu einer der bekanntesten Autorinnen ihrer Zeit avancierte. "Wollstonecraft ist sicherlich die intellektuell anspruchsvollere Autorin", beschreibt Priester sie. Lebensstil und Ideen machten sie zu einer Außenseiterin, denn sie trat nicht nur für die Rechte der Frauen und eine vernünftige Erziehung der Mädchen ein, sondern predigte auch Selbstgenügsamkeit und Verantwortung für die Armen. Als Mutter einer unehelichen Tochter wurde sie als "Hure" beschimpft. Auch daraus mag sich erklären, dass sie, obwohl eine Kritikerin der Ehe, später den Philosophen William Godwin heiratete, der diese Institution ebenso ablehnte. Kaum ein Jahr nach der Hochzeit starb sie 1797 bei der Geburt ihrer zweiten Tochter Mary.

    "Marys Stellung wäre heutzutage nur mit einem Kind von Sartre und De Beauvoir vergleichbar", so Priester. Während die eine Frau kaum gefördert wurde in ihrem Elternhaus, erwartete Godwin von seiner Tochter, dass sie schon früh mit dem Schreiben begann. Die Freiheiten, die die Mutter sich erkämpfte, für die sie aber mit Anfeindungen und Depressionen bis hin zu Selbstmordversuchen zu zahlen hatte, scheinen für die Tochter nur eine Last gewesen zu sein. So zumindest scheint es bei Priester auf, die Shelley als die deutlich konservativere schildert.

    Als Geliebte und Frau des romantischen Dichters Percy Shelley wurde sie Teil einer libertinären Gesellschaft, die sich teils freiwillig, teils unfreiwillig außerhalb den geordneten Normen der englischen Gesellschaft stellte. Die Ehe zu dritt - denn meist wurden sie von Mary Shelleys Stiefschwester Claire begleitet, der man ein Verhältnis zu Percy nachsagte und die ein uneheliches Kind mit Lord Byron hatte -, das ständige Umherziehen in Italien, wo es Percy Shelley meist nur wenige Monate an einem Ort hielt, die Verantwortung für den Haushalt, Geldknappheit und nicht zuletzt der frühe Tod von vier ihrer fünf Kinder entsprachen wohl nicht ihrem Lebensentwurf. Zumindest bemühte sie sich nach Shelleys Tod darum, wieder in die englische Gesellschaft aufgenommen zu werden. Ihre gesellschaftlichen Ambitionen übertrug sie auf ihren einzigen überlebenden Sohn.

    Priester charakterisiert die Schöpferin einer so unheimlichen und dabei so originären Figur wie Frankenstein als eher unselbstständig, schüchtern und sehr abhängig von ihrem Mann. Das Manuskript des "Frankenstein" legte sie ihm zur Korrektur vor, ließ sich von ihm antreiben, das Werk zu beenden. Auch gegenüber ihrem autoritären Vater erscheint sie als weich, fügte sich in seine Entschlüsse, als er andere Romane von ihr nicht veröffentlichen wollte.

    An den frühen Erfolg des "Frankenstein" konnte Shelley nicht mehr anknüpfen und so ist es auch das einzige Werk, das bisher auf deutsch erschienen ist. Einzig ihr letzter Roman "The last man" erscheint Priester interessant wegen seiner staatsphilosophischen Überlegungen. "Ich denke, Mary hatte weniger das Zeug zur Schriftstellerin, eher zur Philosophin", so Priester. Und so sind es vor allem philosophische Grundfragen und nicht eine genuine literarische Qualität, die den "Frankenstein" heute aktueller denn je machen: Die Frage nach der Verantwortung für die Entwicklung eines Menschen ebenso wie die, wie weit der Mensch in die Natur eingreifen darf. Fast verschwunden dahinter ist die Frau, die diese Fragen stellte. Während Mary Wollstonecraft vor dem Hintergrund der Aufklärung und der Französischen Revolution schrieb, wuchs ihre Tochter hinein in eine Zeit der Restauration. Der historische Hintergrund und ihre tragischen Lebensumstände verhinderten, dass sie die revolutionäre Fackel ihrer Mutter weitertrug.


    Bilder

    Mary Wollstonecraft (oben) und Mary Shelley (unten).
    Mary Wollstonecraft (oben) und Mary Shelley (unten).

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Mary Wollstonecraft (oben) und Mary Shelley (unten).


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