Festveranstaltung würdigte Johannes Hartmann, den Pionier der universitären Laborchemie
Die Wiege der Universitätschemie steht in Marburg: Im Jahr 1609 ernannte Landgraf Moritz von Hessen-Kassel den Chemiker Johannes Hartmann (1568-1631) zum weltweit ersten Professor für Chymiatrie (Medizinische Chemie). Das Gebäude am Barfüßertor 1, in dem der Gelehrte sein Labor hatte, wurde am 10. Juli 2015 von der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) als „Historische Stätte der Chemie“ ausgezeichnet.
Im Rahmen eines begleitenden Festkolloquiums in der Aula der Alten Universität würdigten die GDCh sowie die Fachbereiche Chemie und Pharmazie der Philipps-Universität das Wirken des Marburger Wissenschaftlers. Dieser war auch als Lehrer ein Pionier seines Fachs: Hartmanns Unterricht umfasste nicht nur die üblichen Vorlesungen, sondern auch praktische Chemie-Übungen zur Herstellung von Arzneimitteln. Diese neue Lehrform zog Studierende aus ganz Europa an und machte Marburg zu einer Hochburg der Mediziner-Ausbildung. Hartmanns Unterricht gilt als Vorläufer des heute im Chemie- und Pharmazie-Studium üblichen Laborpraktikums.
Höhepunkt der Festveranstaltung war die Enthüllung einer Bronze-Gedenktafel am Gebäude des heutigen Instituts für Sportwissenschaft und Motologie in der Barfüßerstraße 1. Dort befand sich an gleicher Stelle einst Hartmanns Labor im ehemaligen, 1528 säkularisierten Barfüßerkloster. „Wir wollen das kulturelle Erbe der Chemie lebendig halten und die Rolle der Chemie in der Gesellschaft in den Blick rücken“, sagte GDCh-Präsident Dr. Thomas Geelhaar beim Festkolloquium.
Hartmann war ein Mann der Praxis gewesen. Der Sohn eines Wollwebers aus Amberg in der Oberpfalz lernte zunächst den Beruf des Buchbinders und kam erst durch die Förderung eines Schuldirektors zum Studium der Mathematik, Rhetorik und Logik. Nach einigen Jahren als Hofmathematicus des Landgrafen Wilhelm IV. und dessen Sohn Moritz von Hessen-Kassel erhielt er 1592 einen Ruf als Mathematik-Professor nach Marburg, wo er zusätzlich Medizin studierte. 1609 wurde er schließlich zum ersten Chemie-Professor berufen. „Dieses Jahr war nicht nur für Marburg ein bedeutendes Wissenschaftsjahr“, resümierte Geelhaar in seinem Vortrag und verwies auf wichtige Zeitgenossen Hartmanns: „Johannes Kepler veröffentlichte sein Hauptwerk, die Astronomia Nova, und Galileo Galilei stellte sein Fernrohr für die Himmelsbeobachtung vor.“
Uni-Vizepräsident Prof. Dr. Ulrich Koert wertete die Auszeichnung durch die GDCh auch als Verpflichtung für künftiges Handeln: Die junge Forschergeneration an den mittelhessischen Hochschulen stehe in der Nachfolge von Persönlichkeiten wie Johannes Hartmann und Justus von Liebig, der in Gießen wirkte. Wünschenswert sei, dass Chemie und Pharmazie an den beiden Standorten noch mehr zusammenarbeiten. „Beispielhaft dafür ist das Verbundprojekt SynChemBio, das dazu beiträgt, die präzise Wirkung von Arzneimittelwirkstoffen zu erhöhen.“
„Es ist bemerkenswert, dass die Universitätschemie gerade in Marburg ihren Anfang nahm“, sagte Egon Vaupel, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg. Chemie und Pharmazie seien für die Stadt prägende Fachgebiete geworden. Die Behring-Werke und ihre Nachfolgefirmen seien dafür sichtbare Beispiele. „Die Universitätsstadt engagiert sich zudem mit der Förderung des Chemikum Marburg ganz unmittelbar dafür, dass junge Menschen an die Wissenschaft herangeführt werden.“
„Auf die Auszeichnung als Historische Stätte der Chemie kann jeder Ort in Deutschland stolz sein“, freute sich die GDCh-Ortsverbandsvorsitzende Prof. Dr. Stefanie Dehnen. „Hartmann hatte einen außergewöhnlichen Lebenslauf. Er deckte ein großes Fächerspektrum ab, war zudem mehrfach Dekan sowie Rektor der Universität. Ich ziehe den Hut vor der Leistung dieser historischen Persönlichkeit.“
Seit der Gründung des ersten Chemie-Labors in Marburg sind 406 Jahre vergangen. An welchen Orten entwickelte sich die Chemie in Marburg im Laufe der Jahrhunderte weiter? Dieser Frage ging der Marburger Chemiker Prof. Dr. Christian Reichardt nach und skizzierte die wesentlichen Stationen. Heute verfügt der Fachbereich Chemie auf dem Campus Lahnberge über einen modernen Neubau, der den zuvor 43 Jahre lang genutzten Systembau auf den Lahnbergen ersetzt. Davor hatte die Chemie ihren Standort in der Innenstadt. „Das 1881 bezogene Chemische Institut in der Bahnhofstraße 7 wurde unter anderem von Hans Meerwein geleitet“, berichtete Reichardt. Auf Meerwein gehen grundlegende Erkenntnisse über den Ablauf organisch-chemischer Reaktionen zurück. Das Institut brachte fünf Chemie-Nobelpreisträger hervor, unter ihnen war Otto Hahn. Aufgrund dieser besonderen Geschichte hatte die GDCh bereits 2006 diesen Ort als „Historische Stätte der Chemie“ ausgezeichnet. „Marburg ist der einzige Standort in Deutschland, der zweimal ausgezeichnet wurde“, so Reichardt. Von 1839 bis 1851 wirkte der Chemiker Robert Bunsen in Marburg. Zu seiner Zeit befand sich das Chemische Institut im Deutschordenshaus nahe der Elisabethkirche. In diesem Gebäude erinnert ein barocker Gedenkstein an die Gründung eines Chemie-Labors im Jahr 1686, das sich wie Hartmanns Labor im ehemaligen Barfüßerkloster befand.
Wie arbeitete Hartmann und wie gestaltete er seinen Unterricht? Darüber sprach der Marburger Pharmaziehistoriker Prof. Dr. Christoph Friedrich. Er bezog sich auf ein wichtiges Dokument, das über Hartmanns Lehrtätigkeit Auskunft gibt: die Abschrift seines Labortagebuchs in lateinischer Sprache aus dem Jahr 1615. Darin sind detaillierte Anleitungen zur Herstellung von damals als Arznei eingesetzten Quecksilbersalzen oder zur Verarbeitung von Opium zu Pillen zu finden. „Er brachte als erster Professor die Studierenden ins Labor. Seine Studierenden waren überwiegend Mediziner, teilweise auch bereits Promovierte und praktizierende Ärzte, die sich in der Arzneimittelherstellung fortbilden wollten“, berichtete Friedrich.
Der Regensburger Wissenschaftshistoriker Prof. Christoph Meinel reflektierte in seinem Vortrag die sich wandelnde Identität der Chemie als wissenschaftliche Disziplin. Zur Zeit Hartmanns existierte das mittelalterliche Universitätssystem, in dem Professoren mehrere Fächer vertraten. Die Fachdisziplinen waren dementsprechend noch wenig abgegrenzt. Es gab vier Fakultäten – die Chemie galt als Hilfswissenschaft der Medizin. Hartmann forderte damals schon die Eigenständigkeit des Faches, doch erst ab 1800 entwickelte sich ein Verständnis der Chemie als selbstständiger Grundlagenwissenschaft zur Erklärung der stofflichen Welt.
Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, dem Marburg die Einrichtung des ersten universitären öffentlichen Chemie-Labors verdankt, wurde auch „der Gelehrte“ genannt. Er war vielseitig gebildet, sprachbegabt und musisch interessiert. Er komponierte Fugen, Tänze, Intraden und geistliche Vokalmusik. So lag es nahe, dass das Bläserquartett Gatzke aus Kirchhain, das den Festakt musikalisch umrahmte, für die rund 120 Gäste Kompositionen des Landgrafen spielte.
https://www.gdch.de/index.php?id=25 - das Programm „Historische Stätten der Chemie“ der Gesellschaft Deutscher Chemiker
Einweihung der „Historischen Stätte der Chemie“ an der Philipps-Universität Marburg. Dekan Prof. Dr. ...
Foto: Christian Stein/Philipps-Universität Marburg
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Die zweite „Historische Stätte der Chemie“ in Marburg ist in der Barfüßerstraße 1 in der Marburger A ...
Foto: Christian Stein/Philipps-Universität Marburg
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Chemie, Medizin
überregional
Wettbewerbe / Auszeichnungen
Deutsch
Einweihung der „Historischen Stätte der Chemie“ an der Philipps-Universität Marburg. Dekan Prof. Dr. ...
Foto: Christian Stein/Philipps-Universität Marburg
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Die zweite „Historische Stätte der Chemie“ in Marburg ist in der Barfüßerstraße 1 in der Marburger A ...
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