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16.05.2003 11:17

'And War and Slavery be no more'

Dr. Ralf Breyer Public Relations und Kommunikation
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt (Main)

    Victor Schoelcher, John Christopher Smith und Georg Friedrich Händel: Musik als Träger eines politischen Humanismus - ein Symposium

    FRANKFURT. "And War and Slavery be no more!" Mit diesem Satz endet der Schlusschor des Pasticcio Nabal und mit dieser utopischen Vision einer von den Schrecken des Krieges und der Sklaverei befreiten Menschheit lässt sich das Wirken Georg Friedrich Händels (1685-1759), John Christopher Smiths the younger (1712-1795) und Victor Schoelchers (1804-1893) verbinden, drei Menschen, deren Lebenswerk der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung eines europäischen Humanismus gewidmet war.

    Thema dieses Symposiums sind drei noch wenig bekannte Pasticci, Nabal, Tobit und Gideon, deren Musik in großen Teilen der Feder Händels entstammt, die aber von Smith neu zusammengestellt und schließlich von Schoelcher gesammelt wurden. Unter einem 'Pasticcio' versteht man eine Vertonung geistlicher oder weltlicher Texte, deren einzelne Bestandteile, Rezitative, Accompagnati, Arien, Ensembles oder Chöre ganz oder teilweise bereits vorher komponierten Werken entnommen worden sind, um auf der Basis eines neuen Librettos eine neue musikalische Identität zu finden.

    Diese Pasticci, die von Joachim C. Martini ediert und von der Jungen Kantorei und dem Barockorchester Frankfurt in den Jahren 2000 bis 2003 aufgeführt wurden, sollen im Rahmen des Symposiums erstmalig in ihrer kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Funktion untersucht werden.

    Victor Schoelcher hatte sich seit seiner frühen Jugend für die Befreiung der Sklaven eingesetzt. Er entwickelte pädagogische Konzepte, die sich mit den Möglichkeiten einer sozialen, ökonomischen und politischen Neuordnung des gesellschaftlichen Lebens der befreiten Menschen nach der ersehnten Zerschlagung der Sklaverei auseinander zu setzen suchten. Nach der französischen Februar-Revolution 1848 berief ihn die provisorische Regierung als Unterstaatssekretär in das für die Kolonien zuständige Ministerium und ernannte ihn zum Präsidenten der "Commission de l'Abolition de l'Esclavage".

    In dieser Funktion verfasste er das 'Décret du 27 avril 1848 d'abolition de l'esclavage' und verfügte mit seiner Unterschrift die Freilassung von mehr als zehn Millionen Sklaven. Nach dem Putsch Napoleons III. fand Schoelcher im britischen Königreich Zuflucht. In den mehr als zwanzig Jahren seines Londoner Exils lernte Victor Schoelcher die Musik Georg Friedrich Händels kennen und begann, alles zu sammeln, was sich an Werken des Komponisten und an Büchern, Schriften, Zeitungsartikeln und Kritiken über ihn finden ließ. Zufällig wurden ihm von Thomas Kerslake, einem Buchhändler und Antiquar, sämtliche, von John Christopher Smiths Vater, John Christopher Smith the elder, seinerzeit für seinen Freund und Lehrer Georg Friedrich Händel verfassten sogenannten 'Direktionspartituren', Abschriften seiner Oratorien und Opern, zum Kauf angeboten. Diese kostbare Sammlung gab Victor Schoelcher schließlich in die Hände von Friedrich Chrysander, der mit ihrer Hilfe die erste wissenschaftlich fundierte Ausgabe des Händel'schen Gesamtwerks veranlassen konnte. Einige der Handschriften aber behielt Victor Schoelcher, vornehmlich wohl deshalb, weil sie für die Gesamtausgabe von minderem Interesse waren. 1872 schenkte Schoelcher sie dem Pariser Konservatorium, von wo sie 1964 an die Bibliothèque Nationale gelangten.

    Unter ihnen waren die drei Pasticci Nabal, Tobit und Gideon, Oratorien, deren Arien und Chöre John Christopher Smith nach dem Tode Georg Friedrich Händels aus seinen Opern und Oratorien ausgewählt hatte, um sie den von Thomas Morell geschrieben Texten zu unterlegen.

    Aufgeführt wurden die daraus erstehenden Pasticci dann immer wieder zu wohltätigen Zwecken. Damit führte John Christopher Smith nicht nur eine von Händel initiierte Tradition fort, sondern setzte auch die dem Händelschen musikalischen Werk eigene 'humanistische Utopie' praktisch um. In allen drei Pasticci spielt, wie bereits in Händels eigenen Oratorien, der Umgang mit Brutalität, Repression und Unterdrückung eine maßgebliche Rolle. Die Erscheinungsformen von Unterdrückung werden auf einer Reihe unterschiedlicher Ebenen dargestellt, die es möglich machen, auch den Unterdrücker selbst noch mit verständnisvollen Augen zu sehen. Die Überwindung der Unterdrückung schließlich gelingt nur demjenigen Menschen, der seine Mitmenschlichkeit und sein Vermögen zur Barmherzigkeit aus seinem Glauben an Gott gewinnt.

    Den Lebensweg und das Lebenswerk dieser drei Gestalten und Aspekte ihres besonderen musikalisch inspirierten oder umgesetzten politischen Humanismus nachzuzeichnen, ist Ziel dieses Symposiums. Über die Erschließung der noch gänzlich unbekannten Pasticci Händels hinaus will das Symposium damit einen Beitrag leisten zur Diskussion um die
    gesellschaftspolitische Funktion von Händels Musik, die bis auf den heutigen Tag in der Lage ist, wichtige humanitäre Botschaften zu vermitteln.

    Das sysmposium findet am Samstag, den 24. Mai, ab 9.30 Uhr im Casino, Campus Westend, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt, statt.

    Kontakt: PD Dr. Barbara Mittler; E-Mail: barbara@gw.sino.uni-heidelberg.de; und Prof. Thomas A. Schmitz, E-Mail: thomas.schmitz@uni-bonn.de, Tel. 069/68602760


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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