Abbau - das kann nicht nur Arbeitsplätze, Knochen oder Rohstoffe betreffen. Gereon Müller, Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig, will in einem auf fünf Jahre angelegten Forschungsprojekt untersuchen, ob auch unsere Sprache und deren Satzstruktur von abbauenden Prozessen geprägt wird. Gefördert wird das Vorhaben im Rahmen des renommierten Reinhart-Koselleck-Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für besonders innovative und risikofreudige Grundlagenforschung.
Sätze sind keine beliebigen Anordnungen von Wörtern. Vielmehr haben sie eine bestimmte Struktur, deren Regeln wir unbewusst folgen. Eine Struktur, in der sich die einzelnen Elemente eines Satzes hierarchisch anordnen, sodass sich einzelne Satzteile anderen über- bzw. unterordnen.
In der Linguistik geht man bisher üblicherweise davon aus, dass die hierarchische Struktur durch eine strukturaufbauende Operation erzeugt wird. Das heißt, dass wir von unten nach oben Wörter zunächst zu Wortgruppen zusammenfügen, diese dann wieder miteinander kombinieren, und schließlich Neben- und Hauptsätze als Elemente höherer Hierarchie bilden.
Gereon Müller, Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig, ist davon überzeugt, dass es neben dieser aufbauenden Methode auch einen entgegengesetzten Prozess geben muss, um Sätze zu bilden: Strukturabbau. "Wir vermuten, dass dieser Prozess den Schlüssel zu einer ganzen Reihe von bislang unverstandenen syntaktischen Phänomenen in den Sprachen der Welt liefern könnte", so der Sprachwissenschaftler. "Beispielsweise für das Verständnis von Passivsätzen, von Konstruktionen mit sehr freier Wortstellung oder von Ellipsen, also unvollständigen Sätzen."
Diesen Elementen ist gemeinsam, dass es so aussieht, als sei ein abstraktes sprachliches Objekt in einem Satz sowohl in der Struktur vorhanden als auch nicht vorhanden. "Im Satz 'Der König lässt sich rasieren’ beispielsweise, muss für die eine der beiden möglichen Interpretationen - je nachdem wer die Rasur bekommt - ein abstraktes Subjekt des Infinitivs vorhanden sein. Und zwar, wenn diejenigen, die die Rasur vornehmen, das an sich selbst tun", erklärt Müller. "Für die andere mögliche Interpretation - wenn der König selbst rasiert wird - darf ein derartiges nicht hörbares Subjekt jedoch nicht angenommen werden."
Dieses Dilemma sei laut Müller in klassischen Ansätzen nicht auflösbar. "Aber es verschwindet, wenn man annimmt, dass ein solches Element zunächst durch Strukturaufbau in einen Satz gelangt und später wieder durch Strukturabbau daraus entfernt wird", erklärt Müller die Grundidee seines Forschungsvorhabens. "Dabei muss es so sein, dass die 'Lebensspanne' von Elementen, die von Strukturabbau betroffen sind, nur relativ kurz ist."
Bisher kann nicht abgeschätzt werden, ob sich dieses Konzept bestätigen lässt. Daher gilt diese Art der Forschung mit völlig offenem Ausgang als Risikoforschung, die insbesondere im Rahmen der Reinhart Koselleck-Projekte der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert wird. Laut DFG stehen diese Projekte nicht nur für mehr Freiraum sondern auch für besonders innovative und im positiven Sinne risikobehaftete Forschung. Innerhalb dieses Programms ist das Projekt "Syntaktischer Strukturabbau" das erste innerhalb der Sprachwissenschaften überhaupt.
"Alle Sprachen der Welt funktionieren nach einem abstrakten System, das auf einigen universellen Regeln basiert", so Gereon Müller. "Wir wollen mit unserer Grundlagenforschung helfen, einige dieser Regeln besser zu verstehen."
Verena Müller
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Gereon Müller
Institut für Linguistik
Telefon: +49 341 97-37611
E-Mail: gereon.mueller@uni-leipzig.de
http://www.uni-leipzig.de/~asw
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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