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05.06.2003 12:28

Stellungnahme zu ARD-Sendebeitrag "75 - und dann ist Schluss"

Thomas Wenzel M. A. Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Prof. Wolf D. Oswald, Vorstand des Instituts für Psychogerontologie der Universität Erlangen-Nürnberg und derzeitiger Präsident des Dachverbandes der gerontologischen und geriatrischen wissenschaftlichen Gesellschaften Deutschlands (dvgg), sowie die ehemalige Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Prof. Dr. Dr. hc. mult. Ursula Lehr, nehmen zur ARD-Sendung "Report aus Mainz" vom Montag, 2. Juni 2003 wie folgt Stellung:

    75 - und dann ist Schluss!

    Mit Befremdung und Empörung haben wir zur Kenntnis genommen, dass sich Professoren, die sich bisher keineswegs auf dem Gebiet der Geriatrie/Gerontologie ausgewiesen haben, für Altersgrenzen im Hinblick auf medizinische Leistungen ausgesprochen haben. So sollen 75jährige keine Dialyse-Behandlung mehr erhalten, auch Krebs- und Herzoperationen (nicht etwa Herztransplantationen!) sollten von diesem Alter an nicht mehr durchgeführt werden.

    Dies ist eine menschenverachtende Einstellung und mit dem Eid des Hippokrates keineswegs vereinbar! Wer entscheidet denn über den Wert des menschlichen Lebens, der hier offenbar allen über 75jährigen abgesprochen wird? Die Diskussion über "lebensunwertes Leben" kennen wir aus unserer düsteren Vergangenheit. Mit dieser Forderung ist der Euthanasie Tür und Tor geöffnet. - Heute sollen über 75jährige nicht mehr nach allen Regeln der ärztlichen Kunst behandelt werden, morgen dann, wenn die Kassen immer noch rote Zahlen schreiben, vielleicht schon 60-jährige oder 50jährige nicht mehr, oder gar Behinderte überhaupt nicht? In was für einer Gesellschaft leben wir? In einer, in der es Pflicht wird, mit 75 bei roter Ampel über die Straße zu gehen?

    So lösen wir die Probleme des demografischen Wandels gewiss nicht; so beschwören wir einen Konflikt zwischen den Generationen herauf, einen Verteilungskampf zwischen Jung und Alt. Diejenigen, die den demografischen Wandel herbeigeführt haben (und das sind die Jüngeren, die jetzt bevorzugt medizinische Leistungen erhalten sollen) werden belohnt, während die Generation, die noch JA zu Kindern sagte, bestraft werden soll. Natürlich müssen wir uns alle einschränken, - aber dann in puncto medizinischer Behandlung Junge wie Alte in gleicher Weise! Dann muss eben der Selbstkostenbeitrag, vor allem bei Bagatellerkrankungen, höher sein. Es geht nicht, dass das Lebensalter darüber entscheidet, ob man bei einem Koma-Patienten das Gerät abschaltet oder nicht, ob man Ärzte zwingt, im Hinblick auf die Gewährung einer Dialyse Scharfrichter zu spielen (wie es viele Ärzte zu DDR-Zeiten empfunden haben).

    Forschungen der Gerontologie - und zum Teil auch der Geriatrie - haben die Fragwürdigkeit von Altersgrenzen immer wieder hervorgehoben. Plötzlich will man eine Altersgrenze einführen, die einschneidender erlebt wird als die Altersgrenze im Hinblick auf die Berufstätigkeit. Wie viele Menschen hat diese Aussage eines Professors für christliche Gesellschaftslehre, der zudem noch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sozialethiker ist, verunsichert? Kann er das verantworten?

    Wenn wir zudem noch das Verhältnis der 75jährigen und Älteren zu den Jüngeren uns anschauen, das vor hundert Jahren 1: 79 ausmachte, heute 1:12,4 beträgt und in gut 20 Jahren sogar 1: 6,2 sein wird, dann würden die vorgeschlagenen Maßnahmen eine erhebliche Reduzierung der Bevölkerung in Deutschland bedeuten, dann würde "Humankapital", wie es heute so schön heißt, in hohem Ausmaß vernichtet werden. Wir kämpfen um den Erhalt jeder einzelnen befruchteten Eizelle und erklären das Leben von über 75jährigen von vorneherein als nutzlos! Ist das Ethik?

    Wir wenden uns gegen eine jede Abwertung des Alters, aber gegen diese Form der Altersdiskriminierung in ganz besonders entschiedener Weise.

    Univ.-Prof. Dr. Wolf D. Oswald
    Prof. Dr. Dr. hc. mult. Ursula Lehr

    Weitere
    Informationen

    Prof. Dr. Wolf. D. Oswald, Institut für Psycho-
    gerontologie,

    Tel.: 09131/ 85-26526
    Fax: 09131/ 85 -26554


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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