idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
18.02.2016 11:47

Interne Kopplung der Ohren ermöglicht Tieren das Richtungshören: Ein Tunnel im Kopf

Dr. Ulrich Marsch Corporate Communications Center
Technische Universität München

    Menschen nutzen den Zeitunterschied, mit dem ein Schallsignal an beiden Ohren ankommt, zur Richtungsbestimmung. Bei Fröschen, Echsen oder Vögeln ist der Ohrabstand hierfür zu gering. Sie besitzen jedoch einen Verbindungsgang zwischen beiden Trommelfellen, in dem sich innere und äußere Schallwellen überlagern. Mit einem universellen mathematischen Modell zeigen Forscher der Technischen Universität München (TUM) nun erstmals, wie in diesem „inneren Ohr“ neue Signale entstehen, die die Tiere zur Ortung nutzen.

    Sei es eine Bedrohung, die sich anschleicht oder eine Beute, die es im Dunkeln zu finden gilt – die genaue Position einer Geräuschquelle bestimmen zu können, ist im Tierreich von großer Bedeutung. Fast alle Säugetiere, darunter auch der Mensch, lokalisieren eine Geräuschquelle horizontal mit Hilfe der zeitlichen Verzögerung mit der das Schallsignal an beiden Ohren ankommt. Aus dem Zeitunterschied berechnet das Gehirn die Richtung, aus der das Geräusch kam.

    Frösche, viele Reptilien und auch Vögel haben diese Möglichkeit nicht, da ihr Ohrabstand oft nur wenige Zentimeter beträgt. Der Zeitunterschied ist daher so gering, dass das Gehirn ihn nicht mehr verarbeiten kann. Um diesen Nachteil auszugleichen, haben diese Tiere ein einfaches und zugleich sehr effizientes System entwickelt: Ein luftgefüllter Hohlraum verbindet die Trommelfelle beider Ohren.

    Dieser quer durch den Schädel hindurch verlaufende Hohlraum sorgt für eine Kopplung der beiden Trommelfelle. Die Wissenschaftler sprechen hierbei von „intern gekoppelten Ohren“ (englisch „internally coupled ears“, ICE). Dieser „Tunnel im Kopf“ wird gut sichtbar, wenn man beispielsweise einem Gecko in eines seiner Ohren hineinleuchtet: Der Lichtstrahl tritt dann aus dem anderen Ohr wieder aus.

    Anders als bei uns Menschen nehmen die Tiere damit nicht nur die von außen auftreffenden Signale wahr, sondern auch eine Überlagerung der äußeren Schallwellen mit jenen, die im Inneren des Verbindungsganges durch die Kopplung mit der anderen Seite entstehen. Zwar haben Wissenschaftler durch Experimente herausgefunden, dass die Tiere dieses resultierende Signal zur Richtungsbestimmung nutzen. Was jedoch in den gekoppelten Ohren genau vor sich geht, blieb bislang ein Rätsel.

    Ein Modell für 15.000 Arten

    Nun ist es Wissenschaftlern um Leo van Hemmen, Professor für Theoretische Biophysik an der Technischen Universität München (TUM), erstmals gelungen, ein universell anwendbares mathematisches Modell zu entwickeln, das genau beschreibt, wie sich die Schallwellen in intern gekoppelten Ohren ausbreiten und welche Hinweise auf die Richtung des Signals dabei entstehen.

    „Unser Modell lässt sich auf alle Tiere mit diesem Hörsystem anwenden, auch wenn die Hohlräume zwischen den Trommelfellen bei den unterschiedlichen Spezies sehr verschieden aussehen“, erklärt van Hemmen. „Hierdurch verstehen wir nun, was genau im Inneren der Ohren dieser Tiere vor sich geht, und können Experimente bei ganz unterschiedlichen Tierarten erklären und vorhersagen.“ Insgesamt besitzen mehr als 15.000 Arten intern gekoppelte Ohren – das ist mehr als die Hälfte aller landlebenden Wirbeltiere.

    Zusammenspiel von externen und internen Signalen

    Mit Hilfe ihres Modells fanden van Hemmen und sein Team heraus, dass die Tiere sogar zwei verschiedene Methoden zum Hören mit intern gekoppelten Ohren entwickelt haben. Sie treten in unterschiedlichen Frequenzbereichen auf und ergänzen sich gegenseitig.

    Bei Tönen mit einer Frequenz unterhalb der Grundfrequenz des Trommelfells wird der Zeitunterschied, der durch die Überlagerung der äußeren und der inneren Signale entsteht, bis zu fünffach verstärkt. Das reicht aus, um das Geräusch orten zu können.

    Bei höheren Frequenzen kann die Zeitdifferenz nicht mehr genutzt werden. Hier kommt eine andere Eigenschaft des Signals zum Tragen: Der Unterschied in der Amplitude, also des Lautstärkepegels, mit dem das Signal an beiden Ohren wahrgenommen wird. „Diese Amplitudendifferenz entsteht allein durch die Kopplung der beiden Ohren“, erklärt van Hemmen. „Das war ein überraschendes Ergebnis.“

    Die neuen Erkenntnisse über den Mechanismus und vor allem die Vorteile des Hörens mit intern gekoppelten Ohren sind auch für die Industrie interessant. So könnten vielleicht einmal Roboter mit solch einem Hörsystem ausgestattet werden. „Ich kann mir eine Anwendung in der Robotik gut vorstellen, da diese Art der Verstärkung keine Energie kostet“, meint van Hemmen. In Zukunft wollen die Wissenschaftler um van Hemmen ihr Modell zusammen mit experimentell arbeitenden Kollegen weiter verfeinern.

    Publikation:

    A.P. Vedurmudi, J. Goulet, J. Christensen-Dalsgaard, B.A. Young, R. Williams, and J.L. van Hemmen, How Internally Coupled Ears Generate Temporal and Amplitude Cues for Sound Localization, Physical Review Letters, 116, 028101 DOI: 10.1103/PhysRevLett.116.028101

    Kontakt:

    Prof. Dr. J. L. van Hemmen
    Lehrstuhl für Theoretische Biophysik
    Physik Department T35
    James-Franck-Str. 1, 85748 Garching, Germany
    Tel: +49 89 289 12362 – E-Mail: lvh@tum.de


    Weitere Informationen:

    http://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/PhysRevLett.116.028101


    Bilder

    Ein luftgefüllter Kanal verbindet die Ohren der Eidechse im Inneren und ermöglicht ihr das Richtungshören
    Ein luftgefüllter Kanal verbindet die Ohren der Eidechse im Inneren und ermöglicht ihr das Richtungs ...
    Bild: Frieder Mugele, Universität Twente
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Informationstechnik, Mathematik, Physik / Astronomie, Tier / Land / Forst
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Ein luftgefüllter Kanal verbindet die Ohren der Eidechse im Inneren und ermöglicht ihr das Richtungshören


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).