Menschliche Wahrnehmungsprozesse sind so organisiert, dass wir Objekte nicht erst als Ansammlung von Formen und Farben wahrnehmen, sondern direkt als die Gebilde, die sie tatsächlich sind. Das beschreibt Philosoph Prof. Dr. Albert Newen von der Ruhr-Universität Bochum in einem Artikel in der Zeitschrift „Synthese“.
Ein Laptop oder ein Haufen Formen?
Auf dem Schreibtisch steht ein Ding. Es ist aufgeklappt, außen grau und innen schwarz, hat viele kleine viereckige Erhebungen auf der waagerechten Seite, und auf der vertikalen eine glatte spiegelnde Fläche. Ein Laptop. Doch sehen wir dieses Ding wirklich als Laptop? Oder sehen wir Formen, Farben, Kanten und so weiter, und unser Gehirn ergänzt unsere Wahrnehmung mit Hilfe von Vernunftprozessen durch den Schluss, dass das Ding ein Laptop ist? Anders gesagt: Wie intelligent sind unsere Wahrnehmungsprozesse? Prof. Dr. Albert Newen vom Institut für Philosophie II geht dieser Frage in seinem aktuellen Artikel nach, der im Journal „Synthese“ veröffentlicht wurde.
Merkmale ergeben ein Muster
Sein Fazit: Unsere Wahrnehmungsprozesse sind so organisiert, dass sie komplexe Inhalte konstruieren können. Wir nehmen demnach ein Laptop nicht zuerst als Ansammlung von Formen und Farben wahr, sondern sofort als das Objekt, das es ist. Newens Erklärung: Das Fehlen bestimmter Merkmale bei einer Zeichnung hindere uns beispielsweise nicht daran, den Gegenstand zu sehen. Unser Gehirn könne beim Wahrnehmen wenige typische Merkmale zu einem komplexen Muster ergänzen. „Dies findet sofort beim Erblicken eines Objektes statt. Wahrnehmungen können daher umso reicher sein, je trainierter eine Person darin ist, Muster zu erkennen“, so Newen. Ein Schachexperte könne das Schachbrett anders als ein Anfänger sehen, weil er relevante strukturierte Muster als Hintergrundwissen automatisch aktiviere und dieses Wissen schon in den Wahrnehmungsprozess einfließe. Das geschieht auch bei sozialer Wahrnehmung anderer Personen.
Wahrnehmung komplexer Muster ist evolutionär sinnvoll
Doch was spricht dafür, dass wir komplexe Inhalte tatsächlich als solche sehen und sie nicht erst Teil unseres sprachlichen Urteils sind? Newen: „Dass wir bestimmte Inhalte wahrnehmen, ist evolutionär so zentral, dass es auch schon bei Kleinkindern ohne Begriffsbildung und Sprache entwickelt ist.“ Bei diesen Inhalten handele es sich beispielsweise um Emotionen wie Angst und Ärger. Emotionsmuster anhand von Gesichtsausdruck und Körperhaltung unseres Gegenübers rasch wahrnehmen zu können sei für soziale Lebewesen wie Menschen entscheidend. Weitere Hinweise darauf, dass komplexe Inhalte als solche wahrgenommen werden, fand Prof. Newen in neurowissenschaftlichen Studien. „Die Struktur und Geschwindigkeit der Verarbeitung von Informationen weist darauf hin, dass es sich um Aspekte der Wahrnehmung und nicht des Urteilens handelt“, so der Philosophie-Professor.
Originalveröffentlichung
A. Newen (2016): Defending the liberal-content view of perceptual experience: direct social perception of emotions and person impressions, Synthese, DOI: 10.1007/s11229-016-1030-3
Weitere Informationen
Prof. Dr. Albert Newen, Institut für Philosophie II, Ruhr-Universität Bochum, Tel.: 0234 32 22139, E-Mail: albert.newen@rub.de
Redaktion: Raffaela Römer
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Philosophie / Ethik
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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