FAU-Religionspädagoge Prof. Dr. Manfred Pirner über öffentliche Theologie
Wie sich Kirchen und Religionen für das Gemeinwohl einsetzen, steht im Mittelpunkt des Nürnberger Forums, das am Dienstag, 4. Oktober, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) startet. Unter dem Titel „Öffentliche Theologie – Religion – Bildung. Interreligiöse Perspektiven“ werden mehr als 100 Wissenschaftler aus der ganzen Welt in der Villa St. Paul am Nürnberger Campus Regensburger Straße über das Thema diskutieren. Organisator Prof. Dr. Manfred Pirner, Lehrstuhl für Religionspädagogik, erklärt, was es damit auf sich hat.
Ihr Eröffnungsredner, der EKD-Ratsvorsitzende Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, sagt: Wer fromm ist, muss auch politisch sein. Sehen Sie das auch so?
Ja, aber ich würde es nicht ganz so streng formulieren. Es gibt ja Menschen, die sehr fromm sind, aber einen einfachen christlichen Glauben haben. Ich denke da zum Beispiel an meine Großeltern, die Landwirte waren. Das waren ganz fromme Leute, die ihren Glauben in ihrem persönlichen Umfeld authentisch gelebt haben, ohne wirklich politisch zu sein. Ich würde eher sagen: Zum christlichen Glauben gehört grundsätzlich so etwas wie gesellschaftliche und politische Verantwortung, und wer die Begabung dazu hat, sollte sich auch politisch engagieren.
Was ist das Ziel der Tagung?
Es geht um die Frage, wie Religionen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und wie sie ihr Potenzial zur Humanisierung der Welt stärker entfalten können. Unser Ziel ist es, der Gesellschaft bewusst zu machen, dass Religionen einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten und noch mehr leisten können. Öffentlich werden Religionen momentan leider vor allem im Zusammenhang mit religiös motiviertem Terrorismus, Islamismus und Streit zwischen den Religionen wahrgenommen. Man vergisst dabei die vielen positiven Beiträge der Religionen zum Gemeinwohl und zum Frieden in der Welt. Sie sind nicht ganz so schlagzeilenträchtig. Deswegen wäre ein wichtiges Ziel unserer Konferenz, sie stärker ins Bewusstsein zu rufen. Aber auch die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Religionen sollen angeregt werden, ihre gesellschaftliche Verantwortung noch stärker wahrzunehmen. Dazu gehört zum Beispiel der interreligiöse Dialog, der zu Toleranz und friedlichem Zusammenleben beitragen kann.
Es geht also nicht nur um christliche Kirchen?
Ja, islamische und jüdische Theologen und Religionspädagogen sowie eine buddhistische Bildungsphilosophin sind dabei. Auch im jüdischen Glauben gibt es eine Verpflichtung, zum Segen für andere Menschen zu leben. Und der Islam kann als eine Kraft zur Humanisierung der Gesellschaft verstanden werden. Die wichtigste Eigenschaft Gottes ist laut dem Koran die Barmherzigkeit. Allah möchte, dass die Gläubigen sich um Arme und Kranke kümmern. Das wird aber in der aktuellen Diskussion zu wenig wahrgenommen. Wir haben vier muslimische Theologen eingeladen, um dazu beizutragen, dass der Islam in Deutschland aus der häufig vorherrschenden Verteidigungshaltung herauskommt. Sie können zeigen, welche positiven und produktiven Beiträge der Islam für das Gemeinwohl leisten kann.
Während der Tagung legen Sie einen Schwerpunkt auf Bildung. Wie sieht eine gute Bildung für Ihr Thema aus?
Nach meiner Überzeugung ist der Religionsunterricht, wie wir ihn an den öffentlichen Schulen in Deutschland haben, ein Beitrag zum Gemeinwohl. Er dient nicht dazu, Kirchenmitglieder zu rekrutieren, sondern trägt zur Verständigung in der Gesellschaft bei. Beide großen Kirchen in Deutschland betonen das interreligiöse Lernen und die Toleranz. Auch vom islamischen Religionsunterricht erwarten sich die Bildungspolitiker, dass Musliminnen und Muslimen in unserem Land gezeigt wird, dass der Islam eine Religion ist, deren Grundwerte zu unserer Verfassung und den Menschenrechten passen. Das sagt ja auch die Mehrheit der muslimischen Theologen und der Imame in den Moscheen. Da gilt es, durch fundierte religiöse Bildung zu verhindern, dass man den Fundamentalisten auf den Leim geht.
Welche Rolle können Kirchen angesichts von Not, Armut und Ungleichheit spielen?
Sie können vor allem zur Sensibilisierung beitragen. Die christliche Tradition lehrt ja im Grunde, die Perspektive der Opfer einzunehmen. Wenn Sie an das Zentrum des christlichen Glaubens denken, dann ist dieser Christus, der am Kreuz hingerichtet wurde, jemand gewesen, der sich mit den Armen und den Ausgestoßenen identifiziert hat. Von daher gibt es eine ganz starke Traditionslinie im Christentum, sich mit den Unterdrückten, den Armen und den ungerecht Behandelten zu identifizieren. Als Konsequenz aus dieser Solidarisierung haben sich die Kirchen auch immer um die sozial Vernachlässigten gekümmert. Aktuell engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich für Flüchtlinge. Und bei vielen dieser Ehrenamtlichen spielt eine religiöse Motivation eine wichtige Rolle.
Sie werben für Nürnberg als idealem Ort für diese Tagung. Warum ist Nürnberg besonders geeignet dafür?
Die Stadt hat es auf beeindruckende Art und Weise geschafft, sich von der Stadt der Naziparteitage und der Nürnberger Prozesse zu einer sehr offenen Stadt der Interkulturalität, des Friedens und der Menschenrechte zu entwickeln. Das passt auch zur öffentlichen Theologie, die ja mit aus den Erfahrungen der Nazizeit heraus entstanden ist. Man hat gemerkt, dass man sich als Kirche mehr gesellschaftlich und politisch engagieren muss. Auch die Friedrich-Alexander-Universität mit ihren Forschungsschwerpunkten bei Menschenrechten, Religion, interkultureller Bildung und kultureller Vielfalt bietet einen idealen Kontext. Um unseren Schwerpunkt zu stärken, werden wir während der Tagung eine neue Forschungsstelle für öffentliche Religionspädagogik gründen. Dort wollen wir uns international vernetzen, einschlägige Forschungsprojekte voranbringen und bündeln sowie unsere Forschungsergebnisse mit einem Youtube-Kanal einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen. Als erstes werden Vorträge aus dem Nürnberger Forum sowohl im Videoportal der Universität als auch auf Youtube zu sehen sein.
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Zur Eröffnungsveranstaltung mit einem Vortrag des EKD-Ratsvorsitzenden Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm über „Public Theology and Interreligious Dialogue“ (Dienstag, 4. Oktober, 11 bis 12.30 Uhr) und zum Schlussvortrag des Religions- und Kulturwissenschaftlers Prof. Dr. Jan Assmann über die Risiken monotheistischer Religionen mit der Abschlussdiskussion (Donnerstag, 6. Oktober, 14 bis 16 Uhr) im Bildungshaus St. Paul, Dutzendteichstr. 24, Nürnberg, ist auch die interessierte Öffentlichkeit bei freiem Eintritt eingeladen. Die Tagungssprache ist Englisch.
Tagungswebseite des Nürnberger Forums:
www.nuernberger-forum.uni-erlangen.org
Ansprechpartner für Medien:
Prof. Dr. Manfred Pirner
Tel.: 0911/5302-549
nuernberger-forum@fau.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Philosophie / Ethik, Religion
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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