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22.11.2016 10:06

Absacker im Schnee

Dr. Susanne Langer Kommunikation und Presse
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Werkstoffwissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben erstmals im Experiment gezeigt, dass kollabierende Verbindungen zwischen Eiskristallen für das plötzliche – auch mehrfache – Nachgeben von Schnee unter Last verantwortlich sind. Die Erkenntnisse könnten Anwendung in der Lawinenforschung finden. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht.

    Jeder, der schon einmal im Schnee unterwegs war, kennt das Phänomen: Vorsichtig setzt man einen Fuß vor den anderen, versucht, die Sohle möglichst gleichmäßig aufzusetzen. Der Schnee gibt ein wenig nach, aber er trägt – bis man plötzlich bis zur Hüfte in der weißen Masse steckt. „Die meisten Menschen führen das darauf zurück, dass der Schnee eine Oberflächenkruste hat, die man bei zu hoher oder falscher Belastung durchbricht“, sagt Prof. Dr. Michael Zaiser, Inhaber des Lehrstuhls für Werkstoffsimulation der FAU. „Doch diese Erklärung ist in den überwiegenden Fällen falsch.“

    Im Experiment haben Zaiser und Forscherkollegen der Universität Edinburgh nachgewiesen, dass das plötzliche Einsinken von Gegenständen oder Personen auch bei homogenem Laborschnee auftritt, der weder eine Oberflächenkruste noch sonstige Festigkeitsunterschiede aufweist. Aufschluss über die Ursache brachte schließlich eine Hochgeschwindigkeitskamera, die den Forschern einen Blick in die Mikrostruktur des Schnees ermöglichte. „Auf den hochauflösenden Aufnahmen konnten wir sehen, dass es bei einer kritischen Last zu einem Zusammenbruch der Mikrostruktur und damit zu einem plötzlichen Festigkeitsverlust kommt“, erklärt Michael Zaiser. „Dieser Kollaps pflanzt sich nach unten fort, und der von oben drückende Stempel sackt ab.“

    Sinterbrücken brechen mehrfach

    Generell bietet Schnee viel Platz für eine Komprimierung: Gesetzter Schnee, der bereits ein paar Wochen liegt, besteht immerhin noch zu 70 Prozent aus Luft. Dass man hier dennoch nicht sofort einbricht, liegt an den Sinterhälsen, die sich zwischen den Eiskörnern bilden und diese auf Distanz halten. Wird der Schnee verdichtet, brechen einige dieser Brücken, und die übrigen müssen eine größere Last tragen. Ab einem kritischen Punkt geben auch die verbliebenen Eisbrücken nach und es kommt zu einem partiellen Strukturkollaps. Weil die Eiskristalle dabei verdichtet werden und somit einen größeren Widerstand bieten, sinkt man meist nicht bis zum Boden der Schneeschicht ein.

    Interessant dabei ist, dass sich der Vorgang in derselben Probe wiederholen lässt: Die bereits kollabierte Schicht kann unter Belastung erneut absacken – sogar mehrfach, wenn genügend freies Volumen verbleibt. Grund dafür ist, dass sich innerhalb weniger Sekunden neue Sinterbrücken bilden, die dann erneut brechen können. „Auch das kennt man von Winterausflügen: Man läuft in den Fußstapfen seines Vorgängers, in denen der Schnee ja schon zusammengedrückt ist, und hofft damit das ständige Einbrechen zu vermeiden. Dennoch bricht man manchmal ein. Dafür muss man nicht einmal viel schwerer sein“, sagt Michael Zaiser.

    Möglicher Beitrag zur Lawinenforschung

    Nach der systematischen Analyse der Kollabierungsphänomene, die auch im Naturschnee bestätigt werden konnten, haben die Materialwissenschaftler nun ein Rechnermodell entwickelt, das die Vorgänge sehr genau beschreiben und in der Computersimulation reproduzieren kann. „Die erste Programmierung und Simulation des Modells erfolgte im Rahmen der Bachelorarbeit von Gerhard Weinländer“, erzählt Michael Zaiser. „Er ist als Student jetzt Mitautor in der renommiertesten physikalischen Fachzeitschrift der Welt, was absolut unüblich ist.“

    Möglicherweise können die Forscher mit ihren Ergebnissen auch einen Beitrag zur Lawinenforschung leisten: „Derselbe Prozess eines mikrostrukturellen Zusammenbruchs und damit verbundener Destabilisierung, den wir im Labor oder unter dem Bergstiefel beobachten, kann auch bei der Auslösung einer Schneebrettlawine ablaufen“, erklärt Michael Zaiser. „Der Scottish Avalanche Information Service beispielsweise nutzt ‚Foot Penetration‘, also das Fussabsacken beim Gehen, als einen Indikator zur Bestimmung des Lawinenrisikos. Inwieweit hier Zusammenhänge zu unseren Erkenntnissen bestehen, muss die weitere Forschung zeigen.“

    doi:10.1038/nphys3966
    Die Forschungsergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics unter dem Titel „Propagating compaction bands in confined compression of snow” veröffentlicht.

    Informationen für die Medien:
    Prof. Dr. Michael Zaiser
    Tel. 0911/ 65078 65060
    michael.zaiser@ww.uni-erlangen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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