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10.07.2003 14:08

Die "Leipziger Richtung" der Erwachsenenbildung

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Zwei runde Geburtstage stehen der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig in diesem Monat ins Haus: 80 Jahre "Seminar für Freies Volksbildungswesen" und zehn Jahre Lehrstuhl für Erwachsenenpädagogik. Das doppelte Jubiläum wird am 11./12. Juli unter dem Stichwort "Zukunft hat Geschichte - Geschichte hat Zukunft" gewürdigt.

    Am 10. Juli 1923 teilte das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts in Dresden mit, es sei grundsätzlich bereit, "ein Seminar für freies Volksbildungswesen dem Pädagogischen Seminar an der Universität Leipzig anzugliedern". Die ministerielle Zustimmung stellt eine markante Station in einer deutschlandweit einmaligen Entwicklung dar, die heute als "Leipziger Richtung" in die Geschichte der Erwachsenenbildung eingegangen ist: Gesellschaftlicher Bezug, demokratische Grundorientierung, Entfaltung der Persönlichkeit und intensives freiwilliges Lernen in der Gemeinschaft sind jene Stichpunke, die die Erwachsenenbildung in der Stadt Leipzig zur Zeit der Weimarer Republik beschreiben. In der Kombination der Elemente, in der Übersetzung dieser theoretischen Prämissen in die Praxis - das spiegelt sich beispielweise in der Gründung und Verflechtung einer Vielzahl von Einrichtungen wie des "Seminars für Freies Volksbildungswesen" an der Universität, aber auch der Volkshochschule, der Heimvolkshochschule oder der Volkshochschulheime wider - und in der ständigen Reflexion über die Arbeit liegt eine Faszination, die für Professor Jörg Knoll bis ins Heute reicht. "Das Erbe der Leipziger Richtung ist eine Herausforderung; noch ist es nicht eingelöst." Der Weg jedoch hin zur Verzahnung von Theorie und Praxis, von universitärer Lehre und Forschung mit Projekten, Werkstätten, Kollegs und Tutorien, von Lehren und Lernen, dieser Weg ist am Lehrstuhl für Erwachsenenpädagogik, den Prof. Knoll seit zehn Jahren innehat, geebnet und eingeschlagen.
    Für das Frühjahr 2004 bereitet ein studentisches Projektseminar an seinem Lehrstuhl der Idee eines "Neuen Volkshochschulheimes" den Boden. Solche Bildungsstätten hatten die Leipziger Pädagogen in den 1920er Jahren als Ort gemeinschaftlichen Lebens und Lernens etabliert - junge Arbeiter und Angestellte zogen für circa ein Jahr in Mietwohnungen mit zwei Lehrern zusammen, und an den Abenden und Wochenenden ließen sie sich von den "Geistesarbeitern" unterrichten. Bis zu drei Viertel ihres Einkommens wendeten die "Handarbeiter" für ihre nebenberufliche Bildung auf. "Sie haben sich engagiert, mit ihrer Zeit und ihrem Geld", resümiert Prof. Knoll das Beispiel. Das Exempel erhellt das innovative Moment, das die "Leipziger Richtung" charakterisiert: An die Schnittstelle zwischen Lehren und Lernen vorzudringen und in und aus diesem Zwischen-Raum Ideen zu schöpfen, die jenseits von Frontalunterricht, Stuhlreihen und Stundenklingeln gedeihen. Auch in der Volkshochschule (VHS) Leipzig (die Hörer waren für die Zeit der Einschreibung zugleich Mitglieder des Trägervereins der VHS) und im "Seminar für Freies Volksbildungswesen" (gemeinsam belegten Studenten, Bürger, Volkshochschüler die Lehrveranstaltungen; zudem gaben Universitätsstudenten kostenlose Kurse für Arbeiter) kam diese Besonderheit der Leipziger Erwachsenenbildung zum Tragen.
    Weist also die "Leipziger Richtung" - wie sie sich nicht allein, doch äußerst markant im aktuellen Bemühen um ein neues Volkshochschulheim, jetzt als Wohn- und Lerngemeinschaft für Alleinerziehende und internationale Studenten konzipiert, ausdrückt - direkt von der Weimarer Republik ins 21. Jahrhundert? Prof. Jörg Knoll sieht seinen Lehrstuhl "sehr verortet und sehr inspiriert" in der Traditionslinie. Nach weiteren Beispielen für das Agieren des Lehrstuhls in "starker Anknüpfung an die tragfähige Idee der Selbstorganisation" von Bildung von und für Erwachsene, muss er wahrlich nicht suchen. Mit Ost-West-Begegnungsseminaren und dem "Erzählcafé" für Senioren (seit 1997), mit der Inszenierung mit dem Tanztheater des Schauspiels Leipzig (1996) und der Mitentwicklung und Begleitung des Leipziger "Stadtbüros" (1998 bis 2000), mit der Einführung des Qualitätsmanagements (1997) sowie der Zertifizierung nach der Deutschen Industrie-Norm (DIN) und mit der Tutoreninitiative (seit 1997) lassen sich vielfältige Projekte nennen, die an Schnittflächen entstanden. Nicht zuletzt die Ringvorlesungen nehmen sich seit 1999 der "ZwischenZeiten und ZwischenMenschen" an, die aus dem "Leben und Handeln an Grenzen und Übergängen" erwachsen (so die Titel aus zwei Semestern) - sei es an der Grenze zwischen Gesellschaften, Generationen, sei es an den Übergängen zwischen Studium und Beruf, zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Wirtschaft und Ehrenamt.
    Doch trotz der Gemeinsamkeit in der Leitidee, "Hochschule als Ort der Praxis, wo Erwachsenenbildung Realität ist", zu begreifen - der Weg führt nicht gerade aus den 1920er Jahren ins Jubiläumsjahr 2003. Zum einen wurde das "Seminar für Freies Volksbildungswesen" am 3. Juli 1933 aufgelöst. Zum anderen war die Professur für Theorie der Erwachsenenbildung, die im Februar 1949 als deutschlandweit erste ihrer Art an der Universität Leipzig eingerichtet wurde, alsbald von "grundsätzlich geänderten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen" geprägt, wie Georg Schulze - Referatsleiter in der Deutschen Verwaltung für Volksbildung der SBZ - zuvor angemerkt hatte.
    In dem weiten Feld zwischen 1923 und 2003 sieht Prof. Jörg Knoll einen "großen Forschungsbedarf", um der Geschichte und ihren Zukunftslinien auf die Spur zu kommen. Das Jubiläum soll auch einen "Schub" auslösen. Sowohl, um die - bislang verschollenen - internationalen Verbindungen der "Leipziger Richtung" auszugraben. Als auch, um eine "Neue Leipziger Richtung" zu bedenken. Der Weg dorthin zeichnet sich - u. a. abgesteckt durch die Ringvorlesung "An der Grenze" - bereits ab. "Ja, unser Ort ist die Grenze", überlegt Prof. Knoll. In diesem Ort steckt die Frage nach der Gestaltung von Übergängen, zum Beispiel zwischen den Generationen, zum Beispiel zwischen freiwilligem Engagement und wirtschaftlichem Effekt. "In den Zwischenräumen liegt die Spannung, dort passiert etwas." Zwischenräume als Gestaltungsfeld zu verstehen, nicht als Lücken, das könnte den neuen Akzent setzen. Daniela Weber
    Weitere Informationen: Prof. Dr. Jörg Knoll
    Telefon: 0341 - 97 31470
    E-Mail: knoll@uni-leipzig.de
    Internet: www.erwachsenen-paedagogik.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Pädagogik / Bildung
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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