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18.07.2003 13:04

Performance von zwei Grenzgängern

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Abschluss der Vorlesungsreihe über das Eigene und das Fremde im globalen Zeitalter

    An der Universität Leipzig ist am Donnerstag die Ringvorlesung des Ibero-Amerikanischen Forschungsseminars zum Thema "Andersheit. Das Eigene und das Fremde" zu Ende gegangen. Wie ihr Initiator Prof. Dr. Alfonso de Toro in einer Zusammenfassung der Vorlesungsreihe mit Referenten aus Berlin, Leipzig, Graz, München, Düsseldorf und Eichstätt sagte, wird sie ob es ihren Zuspruchs und ihres wissenschaftlichen Ertrags im Sommersemester 2004 eine Fortsetzung finden und auch als Buchpublikation erscheinen.

    Im Zentrum der Ringvorlesung standen - so der Fachbegriff - Hybriditätsstrategien in Lateinamerika, die freilich angesichts zunehmender Globalisierung und unaufhaltsamer Migration weltweit Beachtung und Geltung erlangen. Mit "Hybriditätstrategien" wird eine Anerkennung und Praktizierung der kulturellen, religiösen, politisch-weltanschaulichen usw. Differenz verbunden. Dieses Konzept eines Auslebens und Aushandelns verschiedener Interessen in einem Raum steht dem Konzept der Anpassung und Assimilation gegenüber, das, wie die Geschichte zeigt, vielfach zu Konflikten geführt hat. Dies ist eine globale, keineswegs nur eine lateinamerikanische Angelegenheit. So verdeutlichte auch ein Vortrag (Prof. Rössner, München), dass "Hybridität" als ausbalanciertes Verhältnis von Eigenem und Fremdem, wenn nicht als Begriff so doch als zu lösendes Problem in der Vergangenheit Mitteleuropas, denkt man etwa an Österreich-Ungarn, aktuell war. Die Intention dieses Vortrags war, aus den durch hegemoniales und imperiales Verhalten gescheiterten historischen Versuchen zu lernen - zum Nutzen des zusammenwachsenden Europa.
    Überwiegend wurden in der Reihe Vorlesungen gehalten, die das Thema der Hybridität, also das Spannungsfeld von Vielstimmigkeit, Andersheit, Identität, am Beispiel von kulturellen Entwicklungen und Werken von Künstlern Lateinamerikas (etwa Latinokultur, Salsa-Musik, Literatur von Sarduy bis Lemebel, Dramen von Sor Juana Inés de la Cruz und Fernando de Orbea) abhandelten. Zum Schluss der Vorlesungsreihe befassten sich die wissenschaftlichen Assistentinnen aus dem Leipziger Ibero-Amerikanischen Forschungsseminar Frau Dr. Gronemann und Frau Dr. Sieber unter diesem Gesichtspunkt mit den lateinamerikanischen Performance-Künstlern Guillermo Gómez-Peña und Alberto Kurapel und stellten sie auch in Filmausschnitten vor.
    Bei dem Mexikaner Gómez-Peña finden die Hybriditätsstrategien in einer "Grenzkultur" ihren Niederschlag. So verwandt er bei seinen Performances verschiedene Masken und skurrile Kleidungsstücke, und zwar jene, mit denen er erfolgreich illegale Grenzübertritte von Mexiko in die USA vollzogen hat. Seine Auftritte boten ein Gemisch von Aztekensprache und anderen Sprachen, uraltem Schamanentum mit Requisiten der modernen Waren- und Markenwelt, unterschiedlichsten Musikstücken aus dem Radio und einer unüberschaubaren Vielfalt von Utensilien und Tätowierungen an Kleidung und Körper. Sollte die Möglichkeit der Aneignung und Transformation von verschiedenen sprachlichen, kulturellen und historischen Zeichen und Objekten offenbaren und damit die Auffassung, dass in der modernen Zeit der Übergänge und Überwindung von Grenzen der Mensch seine Identifikation nicht in der Eindeutigkeit, sondern der Mehrdeutigkeit findet.
    In ganz anderer Weise demonstriert der gebürtige Chilene Alberto Kurapel in seiner Theaterperformance - er emigrierte nach dem Sturz Allendes und der Errichtung der Militärdiktatur in den frankophonen Teil Kanadas - , wie er die Vorstellung von einer einheitlichen stabilen kulturellen Identität hinter sich gelassen hat. Das Nebeneinander von Französisch und Spanisch, bisweilen in einem unverständlichen Mischmasch aufgehoben, wird hier zum Ausdruck einer existentiellen Sprachlosigkeit, so als müsste sich der Autor vom Verbrechen der Sprache in und nach der Diktatur erholen. Parallel dazu stellt sich der Theaterraum als eine Ansammlung von nicht zusammenpassenden Gegenständen dar, als eine Anhäufung von theatralischem Rohmaterial ohne eine zusammenhängende Sinnstiftung. Hier erscheint der Hybriditätsgedanke als bedrückende Reflexion der Grenzsituation eines nicht bewältigten Exils.
    Keine Frage, mit der Leipziger Ringvorlesung, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung finanziell unterstützt wurde, hat der aktuelle globale Prozess der zunehmenden Verflechtung von Eigenem und Fremdem ein wissenschaftliches Echo gefunden. Man darf auf die Fortsetzung gespannt sein. Volker Schulte

    Weitere Informationen:
    Prof. Dr. Alfonso de Toro
    Telefon: 0341/97 37490
    E-Mail: detoro@uni-leipzig.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsprojekte, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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