idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
23.07.2003 12:58

Warum Jungen und Mädchen plötzlich zuschlagen

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Was hat den Schüler in Erfurt bewegt, in seiner Schule ein Massaker anzurichten und sich anschließend zu erschießen? War diese Gewalttat vorherseh- und damit verhinderbar? Eine schlüssige Antwort auf diese Fragen liefert die jüngst erschienene Dissertation über das "Gefühlsverständnis aggressiver Kinder" der Psychologin Tina Malti. In ihrer an der Freien Universität Berlin entstandenen empirischen Studie kommt Malti zu dem Ergebnis, dass Kinder, die wenig Einsichtsfähigkeit in soziale Zusammenhänge und eigene Gefühle haben, häufig aggressiv auf ihre Umwelt reagieren. Aggressives Verhalten lässt sich anhand von verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen vorhersagen. Und auch der elterliche Erziehungsstil beeinflusst das Sozialverhalten der Kinder. Tina Malti nützt ihre Untersuchungsergebnisse, um ein stimmiges Trainingsprogramm vorzustellen, damit aggressive Kinder ihr unkontrolliertes Verhalten besser regulieren können.

    "Jedes Kind hat ein mehr oder weniger starkes Aggressionspotential", erzählt Tina Malti. Dabei neigen diejenigen Kinder zu aggressivem Verhalten, denen Eltern weder Grenzen setzen, noch sie konsequent demokratisch erziehen.

    Im Vergleich zu den nicht aggressiven Mädchen und Jungen erhalten aggressive Kinder im Alter von neun bis zehn Jahren weniger positive elterliche Unterstützung. Vor allem Eltern hoch aggressiver Kinder unterdrücken Wünsche und Befindlichkeiten ihrer Sprösslinge. Gewaltbereite Kinder stammen oft aus Elternhäusern, in denen Gewalt, Feindseligkeit und emotionale Isolation an der Tagesordnung sind. "Besonders schlechte Voraussetzungen für ihre Entwicklung haben Kinder, die aus einem ungünstigen psychosozialen Umfeld stammen", so Malti.

    "Aggressives Verhalten hängt mit einer spezifischen Persönlichkeitsstruktur zusammen", resümmiert Tina Malti. So erledigen aggressive Kinder meist weniger gewissenhaft ihre Aufgaben, sind häufiger neurotisch und weniger verträglich als ihre nicht aggressiven Altersgenossen. Vor allem hoch aggressive Kinder gelten dabei als extrovertiert. "Bis auf die Extrovertiertheit sagen alle der verwendeten Persönlichkeitsfaktoren aggressives Verhalten voraus", meint Tina Malti und plädiert dafür, in Hinblick auf eine effektive Therapie mit gewaltbereiten Kindern auch Persönlichkeitsbeurteilungen zur diagnostischen Einordnung des Problemverhaltens einfließen zu lassen.

    Deutliche Schwierigkeiten haben aggressive Kinder, wenn sie Situationen moralisch beurteilen sollen, wie beispielsweise das Stehlen von Schokolade eines Schulkameraden. Aggressive Kinder können sich bei Regelverletzungen schlechter als nicht aggressive Kinder in die Rolle des "Täters" oder "Opfers" hineindenken. Während es sich bei moderat aggressiven Kindern oft nur um eine Verzögerung der Entwicklung handeln könnte, weisen hoch aggressive Kinder wahrscheinlich eine Anomalie im Gefühlsverständnis auf, deutet Malti.

    "Aggressive Kinder verfügen häufig über weniger soziale Kompetenz als ihre Altersgenossen", erzählt Tina Malti. Im Vergleich zu anderen Kindern spielen sie häufiger allein. Wenn aggressive Kinder mit anderen spielen, schenken sie ihnen weniger Aufmerksamkeit, fordern dafür für sich selbst aber umso mehr. Häufig haben nicht aggressive Kinder deshalb kein Interesse an gemeinsamen Unternehmungen oder lehnen das aggressive Kind ab. Zwischen aggressiven Mädchen und Jungen gibt es weder im Gefühlsverständnis noch in der sozialen Kompetenz nennenswerte Unterschiede.

    "Mit dem Niveau der Fähigkeit zur Differenzierung von sich selbst und von anderen nimmt auch die Fähigkeit zu, Gefühle zu verstehen und zu benennen", so Tina Malti. Auf Grund ihrer Forschungsergebnisse spricht sich Malti für ein sozialkognitives Training mit dem Ziel aus, dass aggressive Kinder und Jugendliche ein verbessertes Einfühlungsvermögen lernen sowie die Fähigkeit, die Perspektive des anderen zu übernehmen und flexibler in ihren Möglichkeiten werden. Hierzu hat Malti ein Trainingsprogramm entwickelt, dass in ein Dreistufen-Modell eingebettet werden kann: In der Diskussion und im Rollenspiel lernen Kinder zunächst, sich in die Rolle des Opfers und in die Rolle des Täters in moralischen Konflikten zu versetzen; darauf sollen sie in der Diskussion und im Spiel mit sozial kompetenten Gleichaltrigen besser ihre und andere Handlungsweisen und Gefühle erkennen lernen. "Außerdem ist eine positive Eltern-Kind-Beziehung eine weitere Bedingung, um antisozialen Verhaltensweisen vorzubeugen." Diese könne durch eine das Trainingsprogramm begleitende Elternberatung gefördert werden, sagt Malti.

    Nähere Information erteilt Ihnen gerne:
    Dr. Tina Malti, Tel.: 0041 / 79 / 753 50 26, E-Mail: tinamalti@hotmail.com


    Weitere Informationen:

    http://darwin.inf.fu-berlin.de/2003/120/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).