Wer Autoritäten einen hohen Wert beimisst, befolgt ökonomische Verhaltensregeln auch dann, wenn diese auf undemokratischem Weg eingeführt werden, also ohne Mitbestimmungsmöglichkeit. Das zeigt eine länderübergreifende Gruppe von Ökonomen anhand von Experimenten, die sie mit Studierenden und Industriearbeitern aus China durchführte. Das Forschungsteam veröffentlicht seine Ergebnisse in der Aprilausgabe der Fachzeitschrift „European Economic Review“.
Gruppen, Organisationen und die Gesellschaft als Ganzes funktionieren durch Kooperation. „Meist wird angenommen, demokratische Mitbestimmung fördere Zusammenarbeit“, erläutert der Marburger Juniorprofessor Dr. Björn Vollan, Erstautor der neuen Studie – man spricht auch von einer „Demokratieprämie“. Welchen Einfluss persönliche Wertvorstellungen darauf haben, wie formale Regeln sich durchsetzen, wurde bislang nur unzureichend empirisch untersucht.
Die Forschungsgruppe kombinierte für ihre Studie kontrollierte Laborexperimente mit einem breiten Satz von Wertfragen, um das Verhalten der Teilnehmer zu erklären. Das Team rekrutierte als Studienteilnehmer einerseits chinesische Arbeiter, andererseits Studierende einer Elitehochschule. „Wir gewannen eine Stichprobe von 149 Wanderarbeitern aus einer ländlichen Region Chinas, die einer raschen Modernisierung unterworfen ist“, legt Koautor Professor Dr. Carsten Herrmann-Pillath dar, Volkswirt und Sinologe vom „Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien“ an der Universität Erfurt. „Diese Personen arbeiten in einem Unternehmen, das modernes Fabrikmanagement mit einer starken Betonung konfuzianischer Werte vereint.“
Eine zweite Stichprobe umfasste 150 Studierende einer Pekinger Universität, die offen für kosmopolitische Einflüsse ist. Mit diesen Teilnehmerinnen und Teilnehmern führte die Forschungsgruppe ein Öffentliche-Güter-Spiel durch – eine weit verbreitete Methode der Verhaltensökonomik zur Messung von Kooperation und Eigennutz.
Bei einem Öffentliche-Güter-Spiel erhalten die Mitspielerinnen und Mitspieler eine Anfangsausstattung an Geld, von der sie einen Teil in einen öffentlichen Fonds abgeben können, aus dem dann alle einen gleichen Anteil erhalten. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können das Geld entweder behalten oder in den Gruppentopf legen“, erläutert Mitverfasser Dr. Andreas Landmann von der „Paris School of Economics“. „Das Geld in diesem Gruppentopf wird dann verdoppelt und an alle Teilnehmer zu gleichen Teilen verteilt.“ Daher ist es für alle am besten, wenn jeder sein ganzes Geld in den Topf wirft; der Einzelne hat jedoch einen Anreiz, das Geld zu behalten. „Da jeder diesen Anreiz hat, sollte theoretisch keiner kooperieren“, führt Vollan aus. „Das ist das soziale Dilemma.“
In dem Experiment führten die Wissenschaftler eine Regel ein, die bestimmt, wieviel jeder von seinem Anfangsvermögen abzugeben hat. Eine Versuchsgruppe durfte über die Einführung dieser Regel mitbestimmen, einer zweiten Teilgruppe wurde die Regel autoritär vorgegeben, eine Vergleichsgruppe erhielt keine Regel. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden darüber hinaus zu ihren Werthaltungen befragt.
Das Hauptresultat der Erhebung: Wer Autoritäten sowie deren Akzeptanz einen hohen Wert beimisst, neigt stärker zur Zusammenarbeit, wenn die Regel von oben verordnet wird. „Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu Studien, die in westlichen Gesellschaften durchgeführt worden sind“, erläutert das Autorenteam. Wer hingegen Autoritäten einen geringeren Wert beimisst, trägt mehr zur Gemeinschaft bei, wenn die entsprechende Vorschrift demokratisch zustande kommt.
„Die demokratische Einführung von Regeln führt nicht dazu, dass die Regeln stärker beachtet werden, wenn die Betroffenen autoritätsgläubig sind“, schlussfolgert die Forschungsgruppe um Vollan. „Unsere Ergebnisse mögen im Lichte der bisherigen Befunde überraschend wirken, stehen aber im Einklang mit autoritären Normen, die in China vorherrschen. Unsere Studie legt nahe, dass die Wirksamkeit von demokratisch gewählten Regeln nicht universell ist, sondern von kulturellen Normen und Werten abhängt.“
Der Umwelt- und Ressourcen-Ökonom Professor Dr. Björn Vollan hat seit Oktober 2015 eine „Robert-Bosch-Juniorprofessur für nachhaltige Ressourcennutzung“ an der Philipps-Universität inne. Professor Dr. Carsten Herrmann-Pillath forscht seit vielen Jahren zur internationalen und speziell chinesischen Wirtschaft. Neben den europäischen Wissenschaftlern trugen Forscher von der „Beijing Normal University“ in Peking zu der Studie bei.
Originalveröffentlichung: Björn Vollan & al.: Cooperation and authoritarian values: An experimental study in China, European Economic Review 2017, DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.euroecorev.2017.01.007
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Björn Vollan,
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
der Philipps-Universität Marburg,
Robert-Bosch-Juniorprofessur für nachhaltige Ressourcennutzung
Tel.: 06421 28-23725
E-Mail: bjoern.vollan@wiwi.uni-marburg.de
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(Foto: Björn Vollan; die Bilder dürfen nur für die Berichterstattung über die hier angezeigte wissenschaftliche Veröffentlichung verwendet werden.)
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Der Marburger Ökonom Björn Vollan, seine Koautoren Yexin Zhou und Biliang Hu sowie weitere Teammitgl ...
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