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12.08.2003 07:33

Zwischen "voll geil" und "megapeinlich" - Über die Faszination von Girl Groups und Boy Bands

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Oft belächelt und selten ernst genommen: Die fast ausschließlich weiblichen Fans von Girl Groups und Boy Bands haben es nicht leicht, sich gegenüber Eltern, Geschwister und anderen Nichtfans zu behaupten. So genannte Teeniebands begleiten die Mädchen in der Phase der Selbstfindung, die die Pubertät mit ausmacht. Die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Bettina Fritzsche erforschte im Rahmen ihrer Dissertation an der Freien Universität Berlin die Gefühlswelt von Pop-Fans und untersuchte näher die bestimmenden Faktoren, die zur Entwicklung von Fans und ihrer spezifischen Kultur beitragen.

    Mehrere sich scheinbar widersprechende Faktoren bestimmen den Charakter und den Zweck des Fankults: Entfaltung und Entwicklung der eigenen Identität, aber auch die Identifizierung mit einer Symbolfigur; Schaffen von eigenen Freiräumen und gleichzeitiges Einfügen in eine Fangemeinde oder Clique. Folglich ist die Lebensdauer des Fankultes begrenzt - sie erstreckt sich meistens auf die Übergangsphase vom Mädchen zur Jugendlichen. In diesen Jahren des Übergangs findet eine Identitätsentfaltung statt: Die Heranwachsenden streben nach größere Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von den Eltern, damit einhergehend müssen sie lernen, die eigenen Interessen und Vorstellungen zu verteidigen. Die Mädchen-Clique wird dann wichtig, um Zusammenhalt unter Gleichaltrigen aufzubauen und um sich sowohl von der Kinder- als auch der Erwachsenenwelt abzugrenzen.

    In einer Phase ihres Lebens, in der sie sich mit Verunsicherungen und neuen Anforderungen auseinandersetzen müssen, ist das Engagement in einer Fanbewegung ein Rückhalt. Diese Kultur eröffnet einen Experimentierraum für Mädchen; diesen Raum zu bestimmen und gelegentlich seine Grenzen auszureizen ist für sie ein Erlebnis, das sie als ermächtigend empfinden. Es kann ihnen auch den Mut und das Selbstbewusstsein geben, sich gegen bestimmte stereotype Anforderungen ihres Umfeldes zur Wehr zu setzen. Allerdings vermittelt dieses Genre generell ein relativ normenkonformes Bild. Die "Backstreet Boys" zum Beispiel stellen beinahe klischeehafte weiße Mittelklassejungen dar. Aber schon die "Spice Girls" oder die "No Angels" weisen eine große Bandbreite von verschiedenen, wenn auch idealisierten, Frauentypen auf, mit denen sich Mädchen auseinandersetzen können.

    Eine Form der Auseinandersetzung ist der Tanz. Im Freundeskreis werden die Choreographien der Girl Groups gerne imitiert. Das bedeutet nicht nur eine Annäherung an die Stars, sondern ermöglicht auch die Inszenierung des eigenen Körpers innerhalb eines gewissen Schutzraumes. Zusammen Tanzschritte einzustudieren und voneinander zu lernen festigt darüber hinaus die Gruppe. Andere Konstellationen können spielerisch erprobt werden. So kann sich das schüchternste Mädchen auch mal als selbstbewusste und dominante "Scary Spice" präsentieren, ohne dass es zu Reibereien innerhalb des Cliquengefüges kommt. Auch die Choreographien von Boy Bands werden einstudiert: Das ist als eine Umkehrung der Fan-Star-Beziehung und als gleichzeitiges Experimentieren mit dem Verhältnis zwischen Mann und Frau und den ihnen zugeordneten Rollen zu verstehen.

    In der Fan-Kultur werden nicht nur bestimmte Leidenschaften ausgelebt, gleichzeitig werden immer wieder die Grenzen zu einem völligen Kontrollverlust ausgelotet. Gelegenheit hierzu bietet vor allem der Konzertbesuch. Ein Erlebnis, das für die Fans oft zweischneidig ist: Zwar sind sie den Stars so nah wie nie zuvor, doch gleichzeitig werden sie sich der Unerreichbarkeit der Stars bewusst. Das Konzert ist vorrangig ein gemeinschaftliches Erlebnis, das als rauschhaft und irreal erlebt wird. Weinen, Kreischen, Schreien: Der Spaß am Erleben einer emotionalen Ausnahmesituation in der Mädchen-Clique wiegt hier stärker als der Wunsch, unbedingt in die Nähe der Stars zu gelangen und mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Indem Boy Group-Fans ihre Stars zu Sex-Objekten machen, die sie auf Konzerten 'anmachen' können, haben sie als Mädchen die seltene Gelegenheit, ein männliches Vorrecht zeitweilig für sich in Anspruch zu nehmen. Eine offensiv-aggressive Demonstration des Begehrens wird noch immer meist von Männern ausgeübt. In diesem Kontext haben Bands einen Vorteil gegenüber Einzelkünstlern: Die Mädchen machen einander dabei nicht Konkurrenz. Freundinnen können sich unterschiedliche Künstler einer Band aussuchen und dennoch zusammen Fan sein. Wird hingegen nur ein einziger Star angehimmelt, kann es schon mal zu Konkurrenzgefühlen kommen.

    Ein Reigen kommerzieller Produkte formt, begleitet und definiert den Fan: Bettwäsche, Fanzeitschriften, CDs, Poster. Das ist ein Phänomen einer zunehmend medial geprägten Gesellschaft, das sich seit den 1970er Jahren verstärkt. Die Zielgruppe der ausgeklügelten Medienkampagnen werden immer jünger - momentan liegt das Einstiegsalter von "Bravo"-Lesern im Durchschnitt bei acht Jahren. Die jüngsten Fans, die die Erziehungswissenschaftlerin Bettina Fritzsche befragte, waren erst zehn Jahre alt. Spätestens mit fünfzehn oder sechzehn Jahren wenden sie sich jedoch anderen Dingen zu. Zwar ist wichtig, ein bestimmtes Alter erreicht zu haben um Fan sein können; gleichzeitig gilt es zu vermeiden, als Fan zu alt zu werden. Sind Mädchen erstmal in ihre neue Rolle als Jugendliche hineingewachsen, entledigen sie sich daher schnell des Fankults, der als Begleiter durch die emotionale Berg- und Talfahrt der Pubertät diente. Dann sind Pop-Fans plötzlich nur noch "peinlich".

    Von Gesche Westphal

    Literatur:
    Dr. Bettina Fritzsche, Pop-Fans. Studie einer Mädchenkultur, erschienen in der Reihe "Geschlecht und Gesellschaft", herausgegeben von Ilse Lenz et al., Opladen: Leske + Budrich, 2003, ISBN 3-8100-3770-2.

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
    Dr. Bettina Fritzsche, FB Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin, Arbeitsbereich "Qualitative Bildungsforschung", Arnimallee 11, 14195 Berlin. Tel.: 030 / 838-55267, E-Mail: zoranied@zedat.fu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater, Pädagogik / Bildung, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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