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22.09.2003 09:50

Ein lange vergessener Publizist: Kurt Hiller

Klaus Walter Stabsstelle Hochschulkommunikation
Philipps-Universität Marburg

    Wiederentdeckung eines intellektuellen Aktivisten / Marburger Fachtagung beschäftigt sich am 4. Oktober mit dem literarisch-politischen Publizisten Kurt Hiller

    Die Kurt-Hiller-Gesellschaft e.V. und das Institut für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg veranstalten am Samstag, 4. Oktober 2003, ab 11 Uhr eine Fachtagung mit dem Thema "Offene Fragen der Kurt-Hiller-Forschung". Die Tagung findet im Kanada-Saal der Universitätsbibliothek, Wilhelm-Röpke-Straße 4, statt

    Kurt Hiller war einer der wirksamsten literarisch-politischen Publizisten im ausgehenden Kaiserreich und - vor allem - in der Weimarer Republik und einer der Weggefährten von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky. 1885 in Berlin geboren, erregte er zum ersten Mal 1907 Aufsehen mit seiner juristischen Dissertation "Die kriminalistische Bedeutung des Selbstmordes", die 1908 gedruckt unter dem Titel "Das Recht über sich selbst" erschien. Hiller wandte sich dort gegen die - damals noch rechtsgültige - Strafbarkeit des Selbstmordes und die Bestrafung der Tötung auf Verlangen. Von dieser Arbeit gingen auch Impulse zum Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen 218 und die Strafbestimmungen gegen Homosexualität (§ 175 StGB) aus.

    In der Folgezeit betätigte sich Hiller zunächst als Schriftsteller, der den Begriff "Asphaltliterat" positiv auf sich selbst anwandte. Mit dem von ihm herausgegebenen Gedichtband "Kondor", der Texte der bekanntesten deutschen Expressionisten (darunter Georg Heym und Else Lasker-Schüler) versammelte, wurde er zum Stichwortgeber des Literarischen Expressionismus (dieser Begriff wurde von ihm erstmals verwandt).

    Ab 1914 gründete Hiller den Literarischen Aktivismus, der Literatur gezielt in den Dienst politischen Eingreifens stellte. Damit - also mit Hiller - begann in Deutschland die Geschichte der linken literarischen Intelligenz als einer deutlich sichtbaren Bewegung.

    Nach dem Ersten Weltkrieg war Hiller einer der Führer der deutschen Friedensbewegung und stand auf deren linkem Flügel. Er war enger Mitarbeiter des Sexualreformers Magnus Hirschfeld. Große öffentliche Wirkung erzielte er durch den von ihm angeregten Gegenentwurf zum Strafgesetzbuch, mit dem er gegen die Strafbarkeit von Homosexualität vorging. Von 1924 bis 1933 war er einer der Haupt-Autoren der "Weltbühne".

    Als Jude und Intellektueller wurde Hiller 1933 sofort verfolgt: verhaftet, misshandelt und anschließend ins Konzentrationslager Oranienburg eingeliefert. 1934 emigrierte er nach Prag, 1938 nach London. Dort gründete er den "Freiheitsbund Deutscher Sozialisten" und prägte - lange bevor die SPD selbst sich dazu bekannte - einen neuen Begriff: "Freiheitlicher Sozialismus".

    Erst 1955 kam Kurt Hiller aus der Emigration zurück. Er starb 1972 in Hamburg. 1969 erschien bei Rowohlt seine politische Autobiographie ("Leben gegen die Zeit I: Logos"), 1973 posthum seine erotische ("Leben gegen die Zeit II: Eros). In seiner Geburtsstadt Berlin wurde Ende 2000 ein Park nach ihm benannt - angeregt von den "Schwusos", einer Interessengemeinschaft schwuler Jungsozialisten, die damit unter anderem Hillers lebenslangen Kampf für die Reform des Sexualstrafrechts gewürdigt wissen wollten.

    Im Übrigen ist es aber jahrzehntelang recht still um Kurt Hiller gewesen: Seine Bücher waren vergriffen, der Nachlass war unzugänglich. Beides beginnt sich nun zu ändern: 1998 wurde eine Kurt-Hiller-Gesellschaft gegründet. Mittlerweile ist die Erschließung und Verwaltung des Hiller-Nachlasses an sie übergegangen. Die Marburger Tagung soll, wie der Politikwissenschaftler Professor Georg Fülberth mitteilt, erste Ergebnisse der auf diese Weise neubelebten Hiller-Forschung präsentieren. Insofern könne von ihr aus die Wiederentdeckung eines streitbaren Intellektuellen ihren Anfang nehmen.

    Die Tagung wird vom Ursula-Kuhlmann-Fonds des Marburger Universitätsbundes e.V. unterstützt.

    Programm der Fachtagung:

    Offene Fragen der Kurt-Hiller-Forschung
    Freitag, 4. Oktober 2003
    11.00 Uhr Begrüßung: Georg Fülberth; Eröffnung: Dr. Till Böttger (1. Vorsitzender der Kurt-Hiller-Gesellschaft)
    11.15 Uhr Dr. Till Böttger (Leipzig): Lücken in der Erforschung von Leben und Werk Kurt Hillers
    11.45 Uhr Dr. Harald Lützenkirchen (Neuss): Der Nachlass Kurt Hillers
    12.15 Uhr Diskussion
    13.00 Uhr Mittagspause
    14.00 Uhr Vorstellung der Rundfunkdiskussion zwischen Kurt Hiller und Walter D. Schultz aus dem Jahre 1959 als Tondokument
    15.00 Uhr Öffentliche Mitgliederversammlung 2003 der Kurt-Hiller-Gesellschaft.
    17.00 Uhr Ende


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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