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29.09.2003 13:21

Völkernamen, Ländernamen, Landschaftsnamen

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Vor dem Symposium der Namenforscher in Leipzig (1. bis 3. 10. 2003 in Leipzig) im Gespräch mit dem Onomastik-Professor Dr. Jürgen Udolph

    Den Lesern des Leipziger Uni-Journals ist er aus der Rubrik "Nomen" bekannt; den Hörern des Berliner RadioEins aus der Sendung "Numen Nomen Namen". Momentan laufen bei ihm die Fäden für das Symposion des Arbeitskreises für Namenforschung, das wichtigste Treffen der deutschen Namenforscher, zusammen: Prof. Jürgen Udolph - Sprachwissenschaftler und Namenforscher an der Universität Leipzig, seit Oktober 2000 Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Onomastik.

    "Zufall", sagt der Professor. Beim letzten Symposion in Wien bedurfte es einigen Grübelns, ehe das Thema für Leipzig 2003 gefunden war. Nun treffen sich vom 1. bis 3. Oktober rund 160 Namenforscher und Sprachwissenschaftler, um sich über "Völkernamen, Ländernamen, Landschaftsnamen" zu verständigen. Die Annahme, dass der Arbeitskreis für Namenforschung seit den 1980er Jahren im Laufe seiner Tagungen das Spektrum von Familiennamen über Flurnamen schließlich auf Ortsnamen ausweitete und jetzt erneut sein Blickfeld ausdehnen werde, diese Annahme ist besagter Zufall. Der jedoch durchaus Achtung gebietet. "Es ist ein wirklich gutes Thema", schwärmt der Leipziger Prof. Jürgen Udolph, deutschlandweit einziger Inhaber eines Lehrstuhls für Namenkunde. "Es ist noch nicht richtig gut bearbeitet."
    Im zurückliegenden Semester hat er seine Studenten am Institut für Slavistik der Universität Leipzig mit einem Seminar auf das Symposion eingestimmt, rund 100 haben die Onomastik als Magister-Nebenfach belegt. Es ging um Worte wie "Sachsen" oder "Hessen", aber auch um Wortteile wie "-gau" oder
    "-falen", die beide landschaftliche Charakteristika wie "Gebiet am Wasser" bzw. "flaches Land" ausdrücken. Die Herkunft eines Namens wie "Sachsen" jedoch sei noch nicht genau geklärt. Klar sei lediglich, so Prof. Udolph, dass der Terminus "Sachsen" einst mit jenen Herrschern, Fürsten und Eroberern gen Osten zog, die in slavische Gebiete vordrangen - somit wanderte der Name durch die Lande und die Zeit, das Volk der Sachsen allerdings blieb in seinem Ursprungsgebiet beheimatet. Auf diesem Wege wurde aus dem alten Land der Sachsen das heutige Niedersachsen und aus dem alten Land der Slaven das heutige Sachsen. "Das ist ein besonderes Phänomen." Inzwischen bezeichnet "Sachsen" zugleich ein Bundesland und seine Bewohner. Ebenso verhält es sich mit "Hessen", dessen namentliche Herkunft noch immer "ein ungelöstes Rätsel" ist. Das sind Nüsse, an die sich Prof. Udolph mit Vorliebe wagt - wobei sich der Namenforscher, dessen wissenschaftliche Laufbahn von der Göttinger Georg-August-Universität an die Universität Leipzig führte, beileibe nicht auf Sachsen und Hessen beschränkt. 1997 interpretierte er die Sage vom Rattenfänger von Hameln als Siedlungstross junger Erwachsener im Zuge der deutschen Ostkolonisation - fast ein Dutzend Orts-, Flur- und Personennamen aus Hameln und dem Weserbergland fand der akribische Sucher in der Priegnitz und der Uckermark wieder (wenn auch - nach immerhin 800 Jahren - zum Teil in abgewandelter Form); und 1999 antwortete er in seinem Buch auf die Frage "Woher kommt eigentlich das Wort 'Ostern'?" mit Belegen aus nordgermanischen Sprachen.
    Als werktägliche Fingerübung unterhält Prof. Udolph derweil populäre Namenforschung auf RadioEins und im Journal der Universität Leipzig. In acht bis zehn Minuten oder auf 20 bis 40 Zeilen klärt er dort Familiennamen auf - und siehe da, aus Dümichen wird ein Daumen und aus Genscher ein Gänsehirt. Beim Berliner Sender ist der Radioprofessor seit knapp fünf Jahren "on Air", immer montags bis freitags, immer mittags. 1300 Familiennamen stapeln sich inzwischen im Regal seines Büros am Institut für Slavistik der Universität Leipzig. Und das Porträt über den Onomastiker, das kürzlich bei 3sat über den Bildschirm lief, vervielfachte die Zahl der E-Mails im Minutentakt. "Zu 90, 95 Prozent kriegen wir die Bedeutung raus", versichert Prof. Udolph, der für das beginnende Semester ein Seminar zu den Einsendungen geplant hat. Hinter "wir" steckt neben dem Professor der Namen zudem Dr. Dietlind Krüger - nach unerquicklichem Hase-Igel-Wettlauf mit diversen Ministerien ist es gelungen, die halbe Stelle der wissenschaftlichen Mitarbeiterin über die Familiennamenberatung zu finanzieren.
    Bei aller vergnüglichen Knobelei, die die Personennamen Prof. Udolph bereiten, sie bleiben ein Steckenpferd. Natürlich, sie sind "ein wunderbarer Weg, um Namenforschung in die Öffentlichkeit zu bringen", doch die wissenschaftliche Leidenschaft steckt der umtriebige Forscher in Gewässernamen. Zu dieser Thematik hat der Sprachwissenschaftler und Historiker promoviert und habilitiert; Hans Krahe, der Begründer des Fachzweiges der Hydronymie, war ihm "wissenschaftlicher Großvater". Der Lockruf, dem Prof. Udolph immer weiter in die Namenkunde von Seen und Flüssen folgt, der ihn immer überzeugter in die frühe Geschichte Europas führt, fasst er mit den Worten: "Flussnamen leuchten tiefer in die Vergangenheit." Es gibt Flüsse in Europa, deren Namen sich über 3000 Jahre und länger zurück verfolgen lassen; Namen wie "Unstrut", "Nebra" und "Saale" sind nach Prof. Udolphs Forschung indogermanischen Ursprungs - sie existierten, noch ehe sich die heutigen europäischen Sprachen in ihren Grundzügen aus dem indogermanischen Dialektgebiet heraus entfalteten und entwickelten. Kurzum: Die älteste Schicht der Gewässernamen ist älter als Einzelsprachen wie Slavisch und Deutsch, aber auch älter als Latein und teils als Griechisch. Mit Blick auf die Vor- und Frühgeschichte stellt Prof. Jürgen Udolph fest: "Jede Theorie, die bei der ursprünglichen Besiedlung nicht von den Gewässernamen ausgeht, scheitert."

    Aktuell jedoch fließt die Energie von Prof. Jürgen Udolph und Dr. Dietlind Krüger ins Symposion des Arbeitskreises für Namenforschung, das als wichtigste Veranstaltung der deutschen Namenforschung gilt. Bereits 1979 richtete die Leipziger Universität den Internationalen Kongress für Namenforschung aus, für Prof. Udolph deutlicher Ausdruck der Reputation, den die Leipziger Onomastik um Ernst Eichler und Hans Walther genoss. Und auch heute gehört Prof. em. Ernst Eichler mit seinem Vortrag zu "Landschaftsnamen im deutsch-slavischen Berührungsgebiet" - neben Prof. Thorsten Anderson aus Uppsala (Schweden), der über "Landschaften - Stämme - Reiche. Sprachliche Zusammenhänge in altnordischer Zeit" spricht - zu den Hauptreferenten des Symposions. Prof. Udolph wird derweil die Chance nutzen, sich mit seinen Fachkollegen über Namenbuchprojekte zu verständigen. Das Feld der historischen Ortsnamen Sachsens hatten Ernst Eichler und Hans Walther bereits beackert, als er im Oktober 2000 die Leipziger Professur für Onomastik antrat. Doch andere Länder und Regionen wie Hessen, Bayern, Österreich und die Schweiz sind noch zu bestellen. Prof. Jürgen Udolph ist mittendrin: Gemeinsam mit Uwe Ohainski zeichnet er für das "Niedersächsische Ortsnamenbuch" verantwortlich.

    Daniela Weber

    Info und Kontakt:
    1. bis 3. Oktober 2003
    Symposion des Arbeitskreises für Namenforschung in Leipzig
    einschl.
    am 1. Oktober, 17 Uhr: Verleihung des Henning-Kaufmann-Preises zur Förderung der westdeutschen Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage an Dr. Inge Bily (Sächsische Akademie der Wissenschaften, Leipzig) für ihre Arbeit am "Atlas altslavischer Ortsnamen"
    Hörsaalgebäude, Hörsaal 15, Augustusplatz 04109 Leipzig

    Universität Leipzig
    Philologische Fakultät
    Institut für Slavistik, Deutsch-Slavische Namenforschung
    Beethovenstr. 15
    04107 Leipzig
    Prof. Dr. Jürgen Udolph
    Telefon: 0341/9737460
    Dr. Dietlind Krüger
    Telefon: 0341/9737474


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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