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15.08.2018 11:42

Das Gegenüber entscheidet, wie ich mich verhalte

Jennifer Hohensteiner Public Relations und Kommunikation
Goethe-Universität Frankfurt am Main

    Sozialpsychologische Studie belegt: Das Aufwachsen in einer sozialen Klasse ist prägend für das spätere Auftreten, noch mehr aber die Kommunikationssituation

    FRANKFURT. Sind Menschen mit mehr Geld und Bildung dominanter und weniger warmherzig? Eine sozialpsychologische Studie an der Goethe-Universität hinterfragt Stereotypen.

    Wie wird unser Verhalten durch unsere soziale Klasse beeinflusst? Diese Frage beschäftigt die Soziologie schon seit jeher. Je nachdem, ob Menschen in einem Arbeitermilieu aufwachsen oder in einem Akademikerhaushalt, übernehmen sie für diese Schicht charakteristische Verhaltensweisen, so die Hypothese. Die Frankfurter Sozialpsychologin Dr. Anna Lisa Aydin hat neue Belege für diese Hypothese gefunden. Ihre gemeinsam mit Forschenden aus Zürich, Hagen, Idaho und Tel Aviv erarbeitete Studie, die im Fachmagazin Social Psychological and Personality Science erschienen ist, zeigt jedoch auch, dass Menschen nicht nur stur ihr klassenspezifisches Verhalten zeigen, sondern flexibel auf ihr Gegenüber aus anderen sozialen Klassen reagieren.

    Ein Großteil der Forschung zum Einfluss sozialer Klasse beruht auf den Ideen des Soziologen Pierre Bourdieus. Er beschreibt, wie sich das Umfeld, in dem wir aufwachsen, tief in unsere Identität einschreibt. Sozialpsychologische Autoren argumentieren, dass Menschen aus einer niedrigeren sozialen Klasse über weniger Ressourcen verfügen und ihre Umwelt in geringerem Maße beeinflussen können. Sie seien somit stärker auf gegenseitige Hilfe angewiesen, was dazu führe, dass Zusammenhalt ein wichtiger Wert sei. Die Menschen identifizierten sich mit diesem Wert und verhielten sich dementsprechend kooperativ. Menschen aus einer höheren sozialen Klasse hingegen verfügten über mehr Ressourcen, sie könnten zwischen mehreren Alternativen entscheiden und seien weniger auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Dies resultiere in individualistischeren Selbstkonzepten, bei denen es zentral sei, seine Umwelt nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die unterschiedlichen Verhaltensweisen stellen somit eine Anpassungsleistung an das jeweiliges Lebensumfeld dar.

    Diese Theorie ließ sich in den vorliegenden Studien zum Teil stützen. Insgesamt wurden mehr als 2000 Personen in Deutschland befragt. So war den Befragten, die sich einer niedrigeren sozialen Klasse zugehörig fühlten, ein warmherziger und kooperativer Umgang mit anderen Menschen aus ihrer sozialen Klasse wichtiger als jenen, die sich einer höheren sozialen Klasse zugehörig fühlten. Darüber hinaus legten diejenigen, die mehr verdienten und besser gebildet waren, mehr Wert darauf, im Kontakt mit anderen ihre Kompetenz zu zeigen und dominant aufzutreten als die Angehörigen der Gruppe mit geringerem Verdienst und weniger guter Ausbildung.

    Die Befürchtung der Autoren: Derartige Verhaltensunterschiede könnten zu einer weiteren Zunahme sozialer Ungleichheit in Deutschland führen. Denn wer dominanter auftritt, hat bessere Chancen auf sozialen Aufstieg. Die beobachteten Verhaltensunterschiede waren jedoch relativ klein. Deutlich grösser war der Einfluss der sozialen Klasse des Gegenübers. Wie verhalten sich Menschen, wenn sie es mit jemandem aus einer niedrigeren oder höheren Klasse zu tun haben? Die Mehrheit der Befragten bezeichnete die sozialen Unterschiede in Deutschland als nicht bzw. weniger gerechtfertigt. Sie fanden es folglich wichtig, sich gegenüber Menschen mit weniger Geld und Bildung warmherzig und kooperativ zu verhalten. Umgekehrt legten sie Wert darauf, gegenüber Menschen mit mehr Geld und Bildung kompetent zu erscheinen und sich zu behaupten.

    Diese Befunde sind insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland und vielen anderen Teilen der Welt zunimmt, obwohl sie von den meisten Menschen als ungerechtfertigt wahrgenommen wird. Während die auf soziologischen Theorien basierende Forschung erklären kann, wie sich diese Ungleichheit durch die Prägung in den unterschiedlichen sozialen Klassen noch verstärken kann, bietet die aktuelle Studie einen etwas optimistischeren Ausblick: Sobald es nämlich zum Austausch zwischen Personen unterschiedlicher Klassen kommt und die Klassenunterschiede als illegitim empfunden werden, zeigt sich Solidarität gegenüber Armen und ein Selbstbehauptungswille gegenüber Reichen.

    Publikation: Aydin, A. L., Ullrich, J., Siem, B., Locke, K. D., & Shnabel, N. (in press). The effect of social class on agency and communion: Reconciling rank-based and identity-based perspectives.
    Manuscript accepted for publication in Social Psychological and Personality Science. http://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/1948550618785162
    https://psyarxiv.com/waz8e/
    Informationen: Dr. Anna Lisa Aydin, Institut für Psychologie, Theodor-W.-Adorno-Platz 6, PEG, 5.G030, Telefon ++49(0)69 798 35287, E-Mail Aydin@psych.uni-frankfurt.de

    Aktuelle Nachrichten aus Wissenschaft, Lehre und Gesellschaft in GOETHE-UNI online (www.aktuelles.uni-frankfurt.de)

    Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Mainz ist sie Partner der länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main(siehe auch www.uni-frankfurt.de/59086401/rhein-main-allianz). Internet: www.uni-frankfurt.de

    Herausgeberin: Die Präsidentin der Goethe-Universität Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Theodor-W.-Adorno-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Anna Lisa Aydin, Institut für Psychologie, Theodor-W.-Adorno-Platz 6, PEG, 5.G030, Telefon ++49(0)69 798 35287, E-Mail Aydin@psych.uni-frankfurt.de


    Originalpublikation:

    http://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/1948550618785162
    https://psyarxiv.com/waz8e/


    Weitere Informationen:

    https://aktuelles.uni-frankfurt.de/aktuelles/sozialpsychologische-studie-das-geg...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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