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14.10.2003 14:06

Misthaufen als Verwundetenlager

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Misthaufen als Verwundetenlager
    Medizinhistorische Aspekte des Krieges 1870/71

    Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 war es gängige Praxis, Verwundete auf Misthaufen zu betten, was vergleichsweise komfortabel, aber der Wundhygiene wenig dienlich war. Dafür wurden die Verwundeten reichlich mit Wein versorgt. Unter anderem zu diesen Ergebnissen gelangt eine Untersuchung, die sich mit Theodor Fontanes "Der Krieg gegen Frankreich 1870/71" befaßte. Sie wurde von Dr. Bernd Achilles im Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität zu Köln erstellt.

    Die Lagerung von Verwundeten auf Misthaufen hatte den praktischen Grund, daß das Sanitätswesen der Armeen in dieser Zeit vor allem im Umfeld größerer Schlachten völlig unzureichend war. Dies hatte zur Folge, daß es auf den Verbandsplätzen und in den Feldlazaretten schlicht an geeigneten Lagermöglichkeiten für Verwundete fehlte.

    Die Verabreichung von Wein an die Verwundeten hatte dagegen durchaus eine medizinische Bedeutung. In den Lazaretten bestand für die Verwundeten eine große Gefahr, sich beim Genuß von Trinkwasser mit dem Ruhrerreger zu infizieren. Dies war beim Wein nicht der Fall, da Shigellen in saurem Milieu nicht überleben. Zwar war damals der Ruhrerreger noch nicht bekannt; dennoch war sich das Sanitätspersonal durchaus des Umstandes bewußt, daß verseuchtes Trinkwasser bei Verbreitung verschiedenster Krankheiten eine wichtige Rolle spielt.

    Auffallend ist an den von Fontane zitierten Berichten von Offizieren - so Dr. Achilles - daß sie zwar sehr lakonisch über eigene Verwundungen berichten, aber meist im Ton großer Anteilnahme die Leiden anderer Verwundeter beschreiben. Diese Anteilnahme erstreckt sich keineswegs nur auf die eigenen Kameraden, sondern ebenso auf die Verwundeten der Gegenseite. In den Verlustlisten, die sich in Fontanes "Krieg gegen Frankreich" finden, fällt außerdem auf, daß die Offiziere prozentual deutlich höhere Verluste aufweisen als die Mannschaften. Ursache dafür dürfte sein - so Dr. Achilles - daß Offiziere auch dann nicht das Schlachtfeld verließen, wenn sie leicht verwundet waren. Vielmehr verblieben sie so lange im Einsatz, wie es ihr Zustand eben erlaubte. Der Verhaltenskodex der Offiziere ließ keine andere Haltungsweise zu. Dabei muß berücksichtigt werden, daß eine Truppe, die ihren Offizier verloren hatte, grundsätzlich als nicht mehr militärisch einsatzfähig betrachtet wurde. Daher war das möglichst lange Verbleiben der Offiziere in der Kampflinie von höchster Bedeutung, zumal sie von den Folgen einer Verwundung in ihrer dirigierenden Funktion auch tendenziell weniger beeinträchtigt waren als die Mannschaften in ihrer eigentlichen Kombattantenfunktion.

    Der wenige Jahre zuvor beschlossenen "Genfer Konvention" war es zu verdanken, daß die Neutralität der Sanitätstruppen auf beiden Seiten geachtet wurde. Dies hatte aber auch zur Folge, daß beispielsweise Ärzte aus dem gegnerischen Lager an der Versorgung leicht verwundeter Soldaten beteiligt waren, die unmittelbar danach wieder ins Gefecht zurückkehren konnten. Hierdurch wurden beispielsweise französische Sanitätsoffiziere de facto Teil der deutschen, also feindlichen Kriegsmaschinerie. Die "Genfer Konvention" räumte allerdings dem Sanitätspersonal nicht nur das ausdrückliche Recht ein, auch im vom Feind beherrschten Gebiet tätig zu sein; nach Beendigung solcher Tätigkeit hatten sie auch Anspruch darauf, der eigenen Armee unbehelligt wieder zugeführt zu werden. Somit bestand für sie nicht mehr die Gefahr des Abgeschnittenwerdens oder der Gefangenschaft.

    Dem Militärsanitätswesen im deutsch-französischen Krieg entstammte - so Dr. Achilles - im übrigen auch die Konzeption der Pavillion-Krankenhäuser, die damals als ein enormer Fortschritt im Hospitalwesen angesehen wurde. Damit kommt dem Militärsanitätswesen eine Pionierfunktion zu. Mit dem Pavillionsystem sollte vor allem der Ansteckungsgefahr auf dem Luftwege entgegen gewirkt werden, indem Krankensäle mit guter Belüftung und prompter Beseitigung von Schmutz und Exkrementen sowie mit guter Beleuchtung geschaffen wurde.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias

    Für Rückfragen steht Ihnen Dr. Daniel Schäfer unter der Telefonnummer 0221/478-5266, der Faxnummer 0221/478-6794 und der E-Mail-Adresse ajg01@uni-koeln.de zur Verfügung.
    Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web
    (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.html).
    Für die Übersendung eines Belegexemplars wären wir Ihnen dankbar.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    regional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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