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29.10.2003 12:33

Das Berufsrisiko des Lokführers

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Das Berufsrisiko des Lokführers
    Zwischen Traumberuf und Trauma

    In Deutschland ereignen sich bis zu 1.000 Eisenbahnsuizide pro Jahr, sodass etwa fünf Prozent aller Lokführer jährlich mit einem Suizid konfrontiert werden. Außerdem kann es im Bahnverkehr zu weiteren schweren Unfällen, zum Teil mit Personenschaden kommen. Das Risiko für eine seelische Traumatisierung ist deshalb für Lokführer erheblich. Gefährdet sind vor allem dienstältere, sehr erfahrene Lokführer: Sie werden hauptsächlich im Streckenverkehr eingesetzt, wo sich häufiger Suizide ereignen als im Rangierdienst. Ihr Risiko, an einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken, steigt mit ihrer Dienstzeit. Sie bedürfen gezielter professioneller Hilfe sowie sozialer Unterstützung. Diese Ergebnisse einer entsprechenden Studie, durchgeführt von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität zu Köln (Leitung: Prof. Dr. Karl Köhle) in Kooperation mit der Deutschen Bahn AG (gefördert von der Dr.-Lotte-Köhler-Stiftung, München), fanden nun auch Eingang in die Dissertationsschrift von Dr. Stefanie Pütz.

    Unfälle, bei denen der Betroffene um sein Leben oder das eines anderen fürchten muss, führen bei den meisten Menschen zu einer akuten Belastungsreaktion. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um einen Beinahe-Unfall handelt oder tatsächlich einer der Beteiligten zu Schaden kommt: Die Gefahrensituation wird blitzschnell bewertet und ist von massiven emotionalen und physiologischen Prozessen begleitet. Körperlich sind Lokführer durch Unfälle nur selten schwer verletzt, das seelische Traumatisierungsrisiko hingegen gilt stets, zumal sie sich oftmals selbst um das Unfallopfer kümmern müssen. Bei der überwiegenden Anzahl der Betroffenen klingt die Symptomatik (wiederkehrende emotional hoch belastende Erinnerungen in Verbindung mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten sowie Konzentrations-, Schlaf- und Gedächtnisstörungen, erhöhter Schreckhaftigkeit und Reizbarkeit) nach einigen Tagen wieder ab, wenn hinreichend Ruhe und Entlastung gewährt wird. Hält diese Symptomatik länger als vier Wochen an oder tritt sie in gleicher Charakteristik Monate nach dem Unfall auf, ohne wieder abzuklingen, wird sie als posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bezeichnet. Menschen, die an einer PTBS erkrankt sind, unterliegen einem erheblichen Chronifizierungsrisiko, das in Berufsunfähigkeit einmünden kann. Entsprechend wäre es hilfreich, Lokführer in Hinblick auf die PTBS-Problematik besonders zu schulen: Sie sollten die Kriterien einer PTBS kennen und wissen, dass ein bereits gut überstandener Unfall keine Voraussagekraft für die eigene seelische Belastbarkeit hinsichtlich eines erneuten Unfalls hat. Hier gilt eben nicht das Alltagswissen: "Alles, was mich nicht umbringt, macht mich härter" - vielmehr kann es in Kombination mit anderweitigen beruflichen Belastungen zum Phänomen der kumulativen Traumatisierung kommen.

    An der Studie nahmen insgesamt 429 Lokführer (99 Prozent Männer) teil. Sie waren im Mittel 16 Jahre in ihrem Beruf tätig, wobei diejenigen, die bereits einen berufsbedingten Unfall erleben mussten, im Schnitt vier Jahre länger im Dienst waren als ihre unfallfreien Kollegen. Nahezu zwei Drittel der Befragten hatten mindestens einen Unfall erlebt. Forderte dieser Unfall ein Todesopfer, so handelte es sich zumeist um Suizid (82 Prozent). Der Grad der Traumatisierung wurde durch einen Fragebogen erhoben. Die befragten Lokführer sollten sich dabei sowohl an ihre Beschwerden innerhalb der ersten vier Wochen nach dem Unfall erinnern als auch Angaben zur aktuellen Beschwerdesituation machen. Zum Erhebungszeitpunkt wiesen 8 Prozent aller Lokführer mit einem berufsbedingten Unfall so schwere posttraumatische Symptome auf, daß diese dem Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung entsprechen dürften. Weitere 23 Prozent zeigten eine subsyndromale posttraumatische Beeinträchtigung. In fast allen Fällen bestand die Symptomatik länger als einen Monat und setzte im ersten halben Jahres nach dem Unfallereignis ein.

    Der Vergleich der Lokführer, die an einen Unfall mit Personenschaden vs. mit reinem Sachschaden beteiligt waren, ergab für solche mit Personenschaden zwar einen erhöhten Traumatisierungsgrad aber keine statistisch bedeutsame erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit für eine PTBS. Dr. Pütz kam außerdem zu dem Ergebnis, dass der Umstand, das Opfer vor, während oder nach dem Unfall gesehen zu haben, keinen statistisch relevanten Einfluss auf das Ausmaß der psychischen Traumatisierung des betroffenen Lokführers hatte. Insgesamt zeigte sich aber, dass der Traumatisierungsgrad der Lokführer mit steigendem Dienstalter zunahm, wobei die Gründe hierfür auch in weiteren beruflichen Belastungen zu suchen sind: Beinahe-Unfälle, Unfälle von Kollegen oder das Auffinden von Unfallopfern auf Gleiskörpern können kumulativ zur Entstehung einer PTBS beitragen. Nach dem Unfall konsultierten zwei Drittel der Lokführer professionelle Unterstützung (Hausarzt, zuständiger Bahnarzt, Psychotherapeut, Neurologe). Ein Drittel verzichtete gänzlich auf professionelle Hilfe. Insgesamt bewerteten sie die Unterstützung von Familie/Freunden als deutlich besser als die von Kollegen, Ärzten und Vorgesetzten. Ein Großteil hätte sich besondere Unterstützung seitens ihrer Vorgesetzten und psychologische Beratung gewünscht. Neben der Hilfe, die der Bahnarzt zur Verfügung stellen kann, können sich Lokführer auch an die Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie wenden, um weiterführende professionelle Hilfe zu erhalten, wenn die eigenen Ressourcen nicht mehr ausreichen.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias

    Für Rückfragen steht Ihnen Britta Kretschmer unter der Telefonnummer 0221/478-5833 bzw. 0221/478-4365 und der E-Mail-Adresse britta.Kretschmer@medzin.uni-koeln.de zur Verfügung.
    Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web
    (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.html).
    Für die Übersendung eines Belegexemplars wären wir Ihnen dankbar.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
    regional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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