idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
02.07.2019 10:15

Fernab und faszinierend: Die kleinsten Bewohner der größten Ozeanwüste

Dr. Fanni Aspetsberger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

    Der Südpazifische Meereswirbel ist eine Wüste im Ozean. Weil er aber riesengroß ist, beeinflussen seine mikrobiellen Bewohner dennoch wesentlich die weltweiten biogeochemischen Stoffkreisläufe. In einer beispiellosen Untersuchung haben WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen nun eine umfassende Bestandsaufnahme der mikrobiellen Bewohner des Südpazifischen Wirbels durchgeführt. Möglich wurde diese unter anderem durch einen neu entwickelten Werkzeugkasten, der die Analyse der kleinsten Meeresbewohner an Bord ermöglicht.

    In der Mitte des Südpazifiks ist man so weit von Land entfernt, wie man nur sein kann. Die Sonneneinstrahlung ist gefährlich hoch, mit einem UV-Index, der als „extrem“ eingestuft wird. Keine Staubpartikel oder Zuflüsse vom Land kommen dort noch an. Daher enthält das Wasser außerordentlich wenig Nährstoffe, man nennt es „ultraoligotroph“. Chlorophyllhaltiges Phytoplankton – winzige Algen – gibt es erst in Tiefen von über hundert Metern, deswegen ist das Oberflächenwasser des Südpazifiks das wohl klarste Meerwasser der Welt. Aufgrund seiner Abgelegenheit und enormen Größe – der Südpazifische Wirbel umfasst 37 Millionen km2 (zum Vergleich: die USA umfassen weniger als 10 Millionen km2) – ist er auch eine der am wenigsten erforschten Regionen unseres Planeten.

    Obwohl er so fernab von allem ist, ist der Südpazifische Wirbel (South Pacific Gyre, kurz SPG) wichtig: Messungen mit Satelliten und auch vor Ort deuten darauf hin, dass die Mikroorganismen, die im Wasser des SPG leben, einen wichtigen Beitrag zu den globalen biogeochemischen Kreisläufen leisten. Deshalb wollten die Bremer Wissenschaftler herausfinden, welche Mikroben in dieser Ozeanwüste leben und aktiv sind. Während einer sechswöchigen Forschungsreise auf dem Forschungsschiff RV Sonne, organisiert und geleitet vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, sammelten Greta Reintjes, Bernhard Fuchs und Tim Ferdelman Hunderte von Proben auf einer 7000 Kilometer langen Fahrt durch den Südpazifik, von Chile nach Neuseeland. An 15 Stationen und in Wassertiefen von 20 bis über 5000 Metern, also von der Oberfläche bis zum Meeresboden, untersuchten die WissenschaftlerInnen die kleinsten Meeresbewohner.

    Wenige Zellen, und die an unerwarteter Stelle

    „Überraschenderweise fanden wir im Oberflächenwasser des Südpazifischen Wirbels etwa ein Drittel weniger Zellen als in Wirbeln des Atlantiks“, berichtet Bernhard Fuchs. „Es war wahrscheinlich die niedrigste Zellzahl, die je in ozeanischen Oberflächengewässern gemessen wurde.“ Die Mikrobenarten waren größtenteils bekannt: „Im SPG leben ähnliche Gruppen von Mikroorganismen wie in anderen nährstoffarmen Meeresregionen, zum Beispiel Prochlorococcus, SAR11, SAR86 und SAR116“, so Fuchs weiter. Doch unter den vorherrschenden Bewohnern des gut durchleuchteten Oberflächenwassers gab es auch einen Überraschungsgast: AEGEAN-169, ein Organismus, der bisher nur in tieferen Gewässern gefunden wurde.

    Reintjes und ihre KollegInnen fanden ein klares Muster in der vertikalen Verteilung der Mikroorganismen im SPG. „Die Zusammensetzung der Gemeinschaft veränderte sich deutlich mit zunehmender Wassertiefe, was direkt mit dem verfügbaren Licht zusammenhing“, berichtet Reintjes. Überraschenderweise war der vorherrschende Photosynthese-betreibende Organismus, Prochlorococcus, in relativ geringer Zahl in der obersten Wasserschicht und war erst in 100 bis 150 Metern Wassertiefe häufiger vorhanden. Der neue Mitspieler, AEGEAN-169, war hingegen im Oberflächenwasser des zentralen Wirbels besonders zahlreich. „Das deutet auf eine interessante mögliche Anpassung an ultraoligotrophes Wasser und hohe Sonneneinstrahlung“, so Reintjes. „Wir werden uns das auf jeden Fall noch genauer anschauen.“ AEGEAN-169 wurde bisher nur in Wassertiefen um die 500 Meter gefunden. „Vermutlich gibt es innerhalb dieser Gruppe mehrere ökologische Arten. Um ihre Bedeutung in den nährstoffärmsten Gewässern des SPG zu erforschen, planen wir weitere metagenomische Untersuchungen.“

    Methodischer Meilenstein

    Die hier vorgestellte Forschung war nur dank einer neu entwickelten Methode möglich. Sie ermöglicht es den WissenschaftlerInnen, Proben direkt an Bord gleich nach der Entnahme zu analysieren. „Wir haben eine neuartige On-Board-Analyse-Pipeline entwickelt“, erklärt Reintjes. „Sie liefert Ergebnisse zur Identität der Bakterien innerhalb von nur 35 Stunden.“ In der Regel, wenn die Proben nach der Entnahme erst ins heimische Labor gebracht und dort analysiert werden, dauern diese Analysen viele Monate. Die Pipeline kombiniert modernste Next-Generation-Sequenzierung mit Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung und automatisierter Zellzählung. „Dank unserer Methodenentwicklung verfügen wir nun über ein System für eine effiziente, kostengünstige, feldbasierte und umfassende Analyse der Mikrobengemeinschaft“, so Reintjes. „Sie erlaubt mikrobiellen Ökologen eine gezieltere Beprobung von Lebensräumen und ermöglicht so neue Einblicke, wie vielfältig Mikroorganismen und deren Stoffwechselwege sind.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Greta Reintjes
    Abteilung Molekulare Ökologie
    Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, Deutschland
    E-Mail: greintje@mpi-bremen.de

    Dr. Bernhard Fuchs
    Forschungsgruppe Durchflusszytometrie
    Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, Deutschland
    Telefon: +49 421 2028-935
    E-Mail: bfuchs@mpi-bremen.de

    Dr. Timothy Ferdelman
    Abteilung Biogeochemie
    Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, Deutschland
    Telefon: +49 421 2028-632
    E-Mail: tferdelm@mpi-bremen.de

    Dr. Fanni Aspetsberger
    Pressesprecherin
    Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, Deutschland
    Telefon: +49 421 2028-947
    E-Mail: faspetsb@mpi-bremen.de


    Originalpublikation:

    Greta Reintjes, Halina E. Tegetmeyer, Miriam Bürgisser, Sandi Orlić, Ivo Tews, Mikhail Zubkov, Daniela Voß, Oliver Zielinski, Christian Quast, Frank Oliver Glöckner, Rudolf Amann, Timothy G. Ferdelman, Bernhard M. Fuchs (2019): On site analysis of bacterial communities of the ultra-oligotrophic South Pacific Gyre. Applied and Environmental Microbiology (Vol. 85, issue 14). DOI: 10.1128/AEM.00184-19


    Weitere Informationen:

    https://www.mpi-bremen.de/Page3655.html


    Bilder

    Unendliche Weiten: Der Südpazifische Wirbel ist mit 37 Millionen km2 der größte Ozeanwirbel.
    Unendliche Weiten: Der Südpazifische Wirbel ist mit 37 Millionen km2 der größte Ozeanwirbel.
    Tim Ferdelman / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
    None

    Die FS Sonne überquerte den SPG von Chile nach Neuseeland. Das Bild zeigt auch Chlorophyllkonzentrationen, abgeleitet aus NASA-Bildern. Dunkle Bereiche zeigen die „Ozeanwüste“.
    Die FS Sonne überquerte den SPG von Chile nach Neuseeland. Das Bild zeigt auch Chlorophyllkonzentrat ...
    modifiziert nach Google Earth / NASA
    None


    Anhang
    attachment icon An Silvester bekamen die Forschenden Besuch von diesem Kugelfisch. „Das Wasser im Südpazifischen Wirbel ist unglaublich blau“, schwärmt Fahrtleiter Tim Ferdelman.

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Unendliche Weiten: Der Südpazifische Wirbel ist mit 37 Millionen km2 der größte Ozeanwirbel.


    Zum Download

    x

    Die FS Sonne überquerte den SPG von Chile nach Neuseeland. Das Bild zeigt auch Chlorophyllkonzentrationen, abgeleitet aus NASA-Bildern. Dunkle Bereiche zeigen die „Ozeanwüste“.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).