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04.09.2019 11:52

Was bewirkt ein Abschalten der Korrekturlesefunktion bei der Vervielfältigung der Erbinformation?

Kerrin Zielke Stabsstelle für Presse und Kommunikation
Freie Universität Berlin

    Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Institut für Virologie der Freien Universität Berlin haben untersucht, was ein Abschalten der Korrekturlesefunktion der sogenannten DNA-Polymerasen – also von Enzymen zur Vervielfältigung von Erbinformationen – bewirkt. Das Forschungsteam um Professor Klaus Osterrieder ist dieser Frage im Rahmen ihrer Arbeit zur genetischen Variabilität von Herpesviren nachgegangen. Die Ergebnisse der Studie wurden in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Microbiology“ veröffentlicht.

    Bei Viren ohne Korrekturlesefunktion seien anfangs wie vom Forschungsteam erwartet mehr Fehler beim Kopieren ihrer Erbinformation entstanden, und sie seien erheblich geschwächt gewesen. Unter bestimmten Voraussetzungen jedoch konnten fehleranfällige Viren hochgradig diverse Virus-Populationen etablieren, die im Labor in Zellkulturen uneingeschränkt vermehrungsfähig gewesen seien. Diese Populationen hätten zudem eine gesteigerte Fähigkeit gezeigt, eine Krankheit auszulösen. Die Forscherinnen und Forscher hoffen, mit ihrem DNA-Virusmodell neue Erkenntnisse über die Anwendbarkeit der umstrittenen Quasispeziestheorie zu gewinnen und damit zur Klärung zentraler Fragen in der Evolution der Viren beizutragen.

    Seit Charles Darwins Feststellungen über die Entstehung der Arten durch natürliche Selektion gilt als sicher, dass im Lauf der Evolution die „fittesten“ Individuen aus Populationen selektiert werden und der Standard-Phänotyp der Art sich im Lauf der Zeit um den der jeweils fittesten Individuen ausbildet. Die Voraussetzung für jede Selektion aber ist eine gewisse Verschiedenheit aller Individuen. Diese Verschiedenheit wiederum begründet sich in genetischer Variabilität, welche die Grundlage jedes evolutionären Geschehens ist. Genetische Variabilität entsteht durch Kopierfehler in der Genomreplikation, und dabei gilt: ohne Fehler keine Variabilität und ohne Variabilität keine Veränderung. Gleichzeitig ist die in Nukleinsäuren gespeicherte Erbinformation die wertvollste Information der Organismen, und zu starke Veränderungen können diese gefährden.

    Im Lauf der Evolution haben Organismen Enzyme zur Vervielfältigung von Erbinformation hervorgebracht, sogenannte DNA-Polymerasen. Diese besitzen eine Korrekturlesefunktion und können dadurch die Zahl der Kopierfehler (Mutationen) bei der Genomreplikation stark senken. Die wenigen Fehler, die dennoch immer entstehen, garantieren eine gewisse Variabilität und sind die Voraussetzung für spätere Selektion; die Tatsache, dass es nur wenige sind, garantiert eine nötige Stabilität der Information auch über Generationen hinweg.

    Nach der Beobachtung, dass das Abschalten der Korrekturlesefunktion der DNA-Polymerasen in den Herpesviren unter Umständen zu hochgradig diversen Virus-Populationen führen kann, analysierte das Forschungsteam die Gene dieser Populationen. „Die genetischen Analysen deuten darauf hin, dass dieses Verhalten wahrscheinlich nicht durch einzelne, besonders fitte Viren innerhalb der diversen Population ausgelöst wird, sondern möglicherweise auf ein kooperatives Verhalten der Gesamtpopulation zurückgeht“, erläutert Virologie-Professor Klaus Osterrieder. „Ein solches Verhalten, bei dem diverse Populationen, die aus nicht besonders fitten Individuen bestehen, uniformen Populationen aus sehr fitten Individuen überlegen sein können, wird seit Längerem für RNA-Viren postuliert und in der sogenannten Quasispeziestheorie beschrieben.“ RNA-Viren seien die einzigen bekannten Organismen, die ihr Erbgut natürlicherweise ohne Korrekturlesefunktion replizieren und dadurch sehr hohe Fehlerraten erzeugen. „Die „Quasispeziestheorie ist unter Virologen und Genetikern umstritten“, sagt Klaus Osterrieder. „Diese Theorie verlangt den Sturz eines zentralen Dogmas der Evolutionstheorie: Wenn keine fitten Individuen selektiert werden können, muss die Selektion anders verlaufen, in diesem Fall auf der Ebene der Population, des ,Ensembles‘, sodass sich am Ende erfolgreiche Kooperativen gegen erfolgreiche Individuen durchsetzen können.“ Die Forscherinnen und Forscher des Instituts für Virologie der Freien Universität Berlin hoffen, mit ihrem DNA-Virusmodell künftig zur Aufklärung dieser zentralen Frage in der Evolution der Viren beitragen zu können.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Klaus Osterrieder, geschäftsführender Direktor des Instituts für Virologie, Freie Universität Berlin, Telefon: 030 838-51822, E-Mail: no.34@fu-berlin.de


    Originalpublikation:

    https://www.nature.com/articles/s41564-019-0547-x


    Weitere Informationen:

    https://naturemicrobiologycommunity.nature.com/users/292496-nikolaus-osterrieder...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Biologie, Chemie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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