Prof. Dr. Gabriele Pisarz-Ramirez vom Institut für Amerikanistik der Universität Leipzig sieht in den Massenprotesten der Black-Lives-Matter-Bewegung nach dem gewaltsamen Tod des Afro-Amerikaners George Floyd eine neue Qualität: Zum ersten Mal werde in den USA über grundlegende Reformen bei der Polizei nachgedacht. In dieser angespannten Situation trage US-Präsident Donald Trump mit seinen Äußerungen zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei, sagt sie. Auch in Deutschland sieht die Professorin für "American Studies und Minority Studies" eine zunehmende Gefahr durch "Alltagsrassismus". Im Interview mahnt sie, diese Entwicklung ernstzunehmen und über Veränderungen nachzudenken.
In den USA reißt nach dem gewaltsamen Tod des Afro-Amerikaners George Floyd die Protestwelle nicht ab. Wohin, glauben Sie, kann das noch führen?
Die Demonstrationen erinnern an die Massenproteste zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren. Allerdings hat es seither in der Geschichte der USA immer wieder Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus gegeben. Die Unruhen im Zusammenhang mit der Misshandlung des Afro-Amerikaners Rodney King in Los Angeles 1992 oder auch die Proteste nach dem Tod des unbewaffneten Michael Brown in Ferguson 2014 durch eine Polizeikugel sind nur zwei Beispiele für zahlreiche Momente, in denen sich angestaute Frustration und berechtigte Wut über polizeiliche Willkür, aber auch andauernde Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten Bahn gebrochen haben. Diesmal war es der Tod George Floyds, der das Fass zum Überlaufen brachte. Doch bereits in den Wochen zuvor haben die erschreckenden Auswirkungen der Pandemie auf die afroamerikanische Bevölkerung mit unverhältnismäßig hohen Todesfallzahlen die strukturellen Ungleichheiten der amerikanischen Gesellschaft infolge von rassistischen Benachteiligungen erneut offen zutage treten lassen. Beobachter attestieren den Protesten insofern eine neue Qualität, da zum ersten Mal über grundlegende Reformen in der Polizei nachgedacht wird. Vielfach wird eine Umverteilung von Mitteln von der Polizei auf andere Bereiche wie etwa Sozialarbeit oder Bildung gefordert. Ob solche Veränderungen auch tatsächlich umgesetzt, das heißt gesetzlich verankert werden können, ist allerdings fraglich, da sowohl der mehrheitlich republikanische Senat als auch Präsident Trump solchen Reformen erwartungsgemäß ablehnend gegenüberstehen.
US-Präsident Donald Trump wird in dem Zusammenhang immer wieder schlechtes Krisenmanagement vorgeworfen. Wie schätzen Sie sein Agieren ein?
Von einem Präsidenten würde man in einer solchen Situation eine Geste der Versöhnung und Deeskalation erwarten. Donald Trump tut aber genau das Gegenteil – er trägt mit seinen Einlassungen zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Die von ihm geäußerte Drohung, das Militär gegen friedlich protestierende Amerikaner einzusetzen, untergräbt zudem das verfassungsmäßige Recht auf Meinungsfreiheit. Trump ist vor allem daran gelegen, seine Kernwählerschaft zu bedienen, die ihn trotz seines Versagens bei der Bekämpfung der Pandemie weiter unterstützt.
Wie stehen Ihrer Ansicht nach seine Chancen für eine Wiederwahl im November?
Die durch die Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise in den USA mit zur Zeit 40 Millionen Arbeitslosen schadet Trump enorm. Schließlich war - neben der Mauer zu Mexiko - eine starke Wirtschaft sein zentrales Wahlversprechen. Momentan erhält er auch nicht nur aus den Reihen der Republikaner viel Kritik, so vom Ex-Präsidenten George W. Bush, auch seine Umfragewerte sind miserabel: Eine aktuelle CNN-Umfrage zeigt, dass 57 Prozent der Befragten unzufrieden mit seiner Arbeit als Präsident sind. Dabei verliert er auch in traditionell republikanischen Bundesstaaten an Unterstützung. Seine Wahlchancen sind damit deutlich gesunken. Sehr viel wird davon abhängen, ob und inwieweit sich die Wirtschaft in den kommenden Monaten erholt. Zu beobachten ist gerade, wie Trump wiederholt die Legitimität von Briefwahlen in Frage stellt, ein Manöver, das Kritiker als Versuch werten, die Wahl im November zu torpedieren beziehungsweise ihr Ergebnis anzufechten, sollte er verlieren.
Auch in Deutschland gehen immer mehr Menschen gegen Rassismus auf die Straße. Dabei gibt es das Problem auch bei uns schon viel länger. Warum begehren die Menschen hier erst jetzt auf?
Tatsächlich gab es nach den Morden des NSU, dem Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle und dem Anschlag in Hanau, die ja ebenfalls rassistisch motiviert waren, öffentliche Beileidsbekundungen und Kundgebungen, die aber bei weitem nicht die Dimensionen erreichten wie die gegenwärtigen Proteste, obwohl diese Anschläge sich in Deutschland selbst ereignet hatten. Der gewaltsame Tod von George Floyd und die Proteste in den USA haben aber nun nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Menschen dazu bewogen, gegen Rassismus zu demonstrieren. Inwieweit dieses Engagement nachhaltig ist, muss sich zeigen. Es ist wichtig, dass die nun aufgeworfenen Fragen – etwa nach Rassismus auch in der deutschen Polizei – nicht abgetan werden, sondern tatsächlich zum Nachdenken darüber führen, was sich auch in Deutschland verändern muss. Einen direkten Vergleich der Polizei in Deutschland und in den USA halte ich aber für problematisch – es gibt hier wesentliche Unterschiede in Bezug auf Ausbildung, Zielsetzungen und Auftreten. Es gibt in Deutschland einen Alltagsrassismus, der sich als gesellschaftliches Phänomen auch in der Polizei spiegelt. Von strukturellem oder gar institutionellem Rassismus zu sprechen, halte ich aber nicht für zutreffend.
Prof. Dr. Gabriele Pisarz-Ramirez
Institut für Amerikanistik
Telefon: +49 341 97-37343
E-Mail: pisarz@rz.uni-leipzig.de
Prof. Dr. Gabriele Pisarz-Ramirez
Foto: Privat
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