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30.01.2004 10:41

Ewig lebt die Königin. Der Mythos der Preußenkönigin Luise im Wandel der Zeit

Hedwig Görgen Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Die Berliner legen noch heute Blumen am Mausoleum für Königin Luise von Preußen im Charlottenburger Schlosspark ab. Wie keine andere Königin wurde sie nach ihrem frühen Tode im Jahr 1810 zum Mythos und zur Nationalheiligen erhoben. Ihr Mann, Friedrich Wilhelm, stiftete ihr zu Ehren das Eiserne Kreuz. Der Dichter Heinrich von Kleist schrieb: "Dein Haupt scheint mir wie von Strahlen umschimmert." Der Bildhauer Fritz Schaper verewigte und idealisierte sie mit ihrem Sohn Wilhelm im Arm als "preußische Madonna". Warum wurde diese Frau, die nach zehn Geburten mit 34 Jahren starb, Grundlage für einen Kult, der sich über hundert Jahre hielt und Dichter, Künstler und Filmemacher inspirierte? Dieser Frage geht Dr. Philipp Demandt in seiner Dissertation an der Freien Universität nach. Der Kunsthistoriker untersucht den Wandel des Luisenkults im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts und wie sich in seiner Kunst und Literatur die Epochen von der Kaiserzeit bis zur heutigen Zeit widerspiegeln.

    Mit einundzwanzig Jahren war Luise 1797 an der Seite von Friedrich Wilhelm III., den sie mit siebzehn geheiratet hatte, Königin von Preußen geworden. Mit dem Ehepaar endete die Zeit der Verschwendungssucht am Königshof, stattdessen zogen Sitte und Bescheidenheit ein, was beide bei der Bevölkerung natürlich populär machte. Die Königin schenkte binnen anderthalb Jahrzehnten zehn Kindern das Leben. Sie traf ihren Todfeind Napoleon 1806 in Tilsit, nachdem Preußen Frankreich in der Schlacht unterlegen war und flehte ihn um Erbarmen mit dem Staat Preußen an. Zwar war dieses Bemühen vergeblich, fortan galt sie jedoch als Symbolfigur des nationalen Widerstandes, des Mutes und der Vaterlandsliebe.

    Doch der Kult um Luise konnte erst nach ihrem Tode aufblühen, denn das "gebrochene Mutterherz" an dem sie gestorben sein soll, erweckte Mitleid und rückte ihr Leben in ein milderes Licht. Die Diskrepanz zwischen Mythos und Wirklichkeit zeigt sich zum Beispiel an einer Episode im Jahr 1803: Einige Stunden früher als gewöhnlich verabschiedete sich Luise von einem Hofball - zwei Stunden später gab man die Geburt einer gesunden Tochter bekannt. Ereignisse wie diese verschweigen viele Biographen, denn eine Mutter, die noch im neunten Monat tanzen ging, passte schlecht ins Bild der stillen, häuslichen Luise. Feldherr August Gneisenau kritisierte "Sie war zu sehr Frau, zu wenig Königin (...) Selbst ihr Herz war ihrem Gemahl nicht immer zugewandt, viel mehr einem andern, was sie auch nicht verhehlte." Damit spielt er auf die schwärmerische Liebe der Königin zu Zar Alexander I. von Russland an. Auch ihre mütterlichen Qualitäten stellt er in Frage: "Als Mutter war sie nicht achtungswürdig, da sie sich um die Erziehung ihrer Kinder nicht ernstlich bemühte." Er konnte aber nicht verhehlen, "dass ich nach dem Tode dieser Fürstin mehr für sie fühle, als es oft bei ihrem Leben nicht der Fall war." Hier ist der Schlüssel zum verklärenden Mythos um eine früh verstorbene Ikone zu finden, wie er sich bei Grace Kelly oder Lady Diana später wiederholen sollte.

    Wegen ihres lieblichen Aussehens und wegen der perfekten Rollenerfüllung als liebevolle und aufopfernde Gattin und Mutter wurde sie zur Muse für die prominentesten zeitgenössischen Künstler. Wichtigstes Werk ist Christian Daniel Rauchs Sarkophagskulptur im Charlottenburger Mausoleum, das im Auftrag ihres Gatten entstand. Es war jahrzehntelang das einzige vollplastische Bild der Königin, zu dem die Bürger Zugang hatten. Rauch stellt die Königin als Schlafende dar: Das Haupt ist zur Seit geneigt, die Arme, nur bis zu den Ellenbogen bedeckt, sind locker unterhalb des Busens verschränkt, die rechte Hand ruht auf der linken Brust. Die Konturen des Körpers zeichnen sich deutlich unter dem Laken ab. Die Skulptur versinnbildlicht und verklärt Luise zugleich. Ihre Weiblichkeit und Schönheit wird hervorgehoben, ein Kranz aus Sternen um das ruhende Haupt entrückt sie zugleich ins Himmlische.

    Der Einfluss des Luisenkultes schlug sich in vielen Lebensbereichen nieder: Luises Tugenden prägten die Kindererziehung und das deutsche Frauenbild bis in die Nachkriegszeit. In kaum einem bürgerlichen Kinderzimmer fehlte das 1896 veröffentlichte Kinderbuch Königin Luise in fünfzig Bildern für Jung und Alt, das oft über Generationen weitergereicht wurde. Bilder wie Als Mutter an der Wiege oder Die Königin in ihrem Heim stärkten den Mythos des "Engels aus dem Hohenzollernhaus" und machen deutlich, welches Rollenklischee an die Kleinsten weitergegeben wurde. Lange galt ihr Vorbild auch als Inbegriff des staatsbürgerlichen Verhaltens. Die märchenhafte Schönheit der Preußenkönigin sowie ihr sagenhafter Mut und ihre Tugend ließen sich gut für die vaterländische Erziehungskultur implementieren. Soldaten des Dritten Reiches konnten sie in Kolberg, dem letzten Film der Nazizeit aus dem Jahr 1945, als leuchtendes Beispiel für Durchhaltewillen und Opfergeist bewundern.

    Das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte eine Zäsur in der Luisenverehrung. Man verzichtete bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts im Wissen um die einstigen Auswüchse des Luisenkultes auf jede besondere Würdigung der historischen Gestalt der Luise. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands jedoch kam die Suche nach einer neuen Identität auf. Bei der Entdeckung der deutschen Geschichte, die lange Zeit von der Nazizeit überschattet war, erlebte die Figur Luise eine Renaissance. So restaurierte man das Schloss zu Paretz, wo sie wohnte und zu Hohenzieritz, wo sie starb. Zehntausende besuchen jährlich diese Orte. Im Preußenjahr 2001 hatten Reisen, Musicals, Wochenendausflüge rund um das Thema Luise Hochkonjunktur. Und so hat sich Luises Kult wieder mit dem Zeitgeist erneuert: Ewig lebt die Königin.

    Von Gesche Westphal

    Nähere Informationen erteilt Ihnen gerne:

    Dr. Philipp Demandt, Tel.: 030/443 40271, E-Mail: philippde@gmx.de

    Das Buch Luisenkult ist kürzlich im Böhlau Verlag erschienen und kostet 36,90 Euro.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Personalia
    Deutsch


     

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