Wissenschaftler machen einen möglichen Grund für die vielen Skandale in der Finanzwelt aus: Arbeitnehmer in dieser Branche sind häufig weniger vertrauenswürdig und weniger sozial eingestellt.
Ob Cum-Ex-Geschäfte oder Wirecard – in regelmäßigen Abständen erschüttert ein Skandal die Finanzindustrie. Das ohnehin bereits gebeutelte Image sinkt nach jeder neuen Enthüllung und Kunden, Politik und Gesellschaft verlieren zunehmend Vertrauen. Matthias Heinz und Matthias Sutter, beide Ökonomen des Exzellenzclusters ECONtribute: Markets & Public Policy der Universitäten Köln und Bonn, haben gemeinsam mit Heiner Schumacher (KU Leuven) und Andrej Gill (Universität Mainz) einen möglichen Grund für die Skandale der Finanzbranche gefunden: Sie haben in einer experimentellen Studie die Vertrauenswürdigkeit von Studierenden gemessen und festgestellt, dass die am wenigsten vertrauenswürdigen später verstärkt in der Finanzindustrie arbeiten.
Dazu führten die Wissenschaftler eine Langzeitstudie mit Studierenden der Wirtschaftswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt durch. In einer ersten Welle im Jahre 2013 befragten sie 265 Studentinnen und Studenten nach ihren Berufswünschen, sozialen Präferenzen und Persönlichkeitsmerkmalen. Zusätzlichen testeten sie in einem computergestützten Laborexperiment, einem so genannten Trust Game, wie vertrauenswürdig die Studierenden sind. Die Studierenden erhielten acht Euro und konnten einer zweiten Person einen Betrag zwischen 0 und 8 Euro geben. Der Betrag wurde von den Forschern anschließend verdreifacht und die zweite Person konnte dann entscheiden, wieviel sie hiervon der ersten Person zurückgeben wollte. Personen, die einen höheren Betrag zurückgaben galten als vertrauenswürdiger als andere. Das Ergebnis: Studierende, die ihre Karriere in der Finanzwelt planten, waren um 30 Prozent weniger vertrauenswürdig als solche, die nach ihrem Studium ihren Berufseinstieg in einer anderen Branche sahen. 2019 und 2020 wiederholte das Forschungsteam die Befragung und stellte fest, dass die weniger vertrauenswürdigen Personen auch tatsächlich in der Finanzwelt einen Job angenommen hatten.
Vertrauen hat in der Finanzwelt einen besonders hohen Stellenwert – und ist Grundlage für eine Geschäftsbeziehung zwischen Kunden und Beratern. Nutzen Berater das ihnen entgegengebrachte Vertrauen aus, kann es zu einem Fehlverhalten der Mitarbeiter im Finanzwesen kommen – zum Beispiel, da sie die ihnen vorliegenden komplexen Informationen der Finanzwelt besser einzuschätzen wissen als ihre Kunden. Das wiederum kann zur Quelle für Skandale und Betrug werden. Dem könnte die Finanzwelt entgegenwirken, indem sie die weniger vertrauenswürdigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Einstellung aussortiert. Die Forschungsergebnisse lassen jedoch auch einen anderen Schluss zu:
„Studierende, die in der wettbewerbsintensiven Finanzwelt arbeiten möchten, sind weniger vertrauenswürdig als jene, die in anderen Branchen arbeiten wollen. Die Finanzwelt scheint aber weniger vertrauenswürdige Personen im Laufe eines Einstellungsprozesses nicht auszusortieren, sondern tatsächlich einzustellen. Zudem wechseln nur vier Prozent der Arbeitnehmer aus den Finanzen in eine andere Branche, was die Auswahl der Mitarbeiterinnen besonders wichtig macht“, erläutert Matthias Heinz, Professor bei ECONtribute: Markets & Public Policy und an der Universität zu Köln die Ergebnisse. Es sei weitere Forschung notwendig, um Einstellungsprozesse in der Finanzwelt zu verstehen und Implikationen für die Politik abzuleiten, fasst das Forschungsteam zusammen.
Die Studie ist im Rahmen des Exzellenzclusters ECONtribute: Markets & Public Policy entstanden. Dereinzige von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Exzellenzcluster in den Wirtschaftswissenschaften ist an den Universitäten in Bonn und Köln sowie dem Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und dem Institute on Behavior & Inequality (briq) angesiedelt. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ziel von ECONtribute ist es, Märkte besser zu verstehen und eine grundlegend neue Herangehensweise für die Analyse von Marktversagen zu finden, die den sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der heutigen Zeit, wie zunehmender Ungleichheit und politischer Polarisierung oder globalen Finanzkrisen, gerecht wird.
Inhaltlicher Kontakt:
Professor Dr. Matthias Sutter
Lehrstuhl für Economics: Design & Behavior an der Universität zu Köln
Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern Bonn
matthias.sutter@coll.mpg.de
Professor Dr. Matthias Heinz
Proffesur für Strategie an der Universiät zu Köln
heinz@wiso.uni-koeln.de
Presse und Kommunikation:
Katrin Tholen
+49 221 470 3555
tholen@wiso.uni-koeln.de
Zur Publikation:
Die Studie ist als ECONtribute-Discussion Paper erschienen: https://ideas.repec.org/p/ajk/ajkdps/022.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Psychologie, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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