Damit autonome Fahrzeuge am Straßenverkehr teilnehmen können, muss sichergestellt werden, dass sie andere nicht gefährden. Eine neue Software, die an der Technischen Universität München (TUM) entwickelt wurde, vermeidet Unfälle, indem sie im Millisekundentakt verschiedene Varianten einer Verkehrssituation vorausberechnet.
Das Auto fährt auf eine Kreuzung zu. Aus der Querstraße kommt ein Auto, noch ist nicht zu erkennen, ob es rechts oder links abbiegt. Gleichzeitig läuft direkt vor dem Auto ein Fußgänger auf die Fahrbahn, auf der anderen Straßenseite steht eine Fahrradfahrerin. Ein Mensch, der bereits Routine im Straßenverkehr hat, schafft es in den meisten Fällen, die Bewegungen der anderen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer richtig einzuschätzen.
„Für autonome Fahrzeuge, die durch Computerprogramme gesteuert werden, ist eine solche Situation eine enorme Herausforderung“, erklärt Prof. Matthias Althoff, Professor für Cyber-Physical Systems an der TUM. „Doch autonomes Fahren wird nur dann auf Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen, wenn man sicher sein kann, dass die Fahrzeuge – egal wie unübersichtlich die Verkehrssituation ist – keine anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer gefährden.“
Algorithmen blicken in die Zukunft
Das oberste Ziel bei der Entwicklung von Software für autonome Fahrzeuge sei es daher sicherzustellen, dass diese keine Unfälle verursachen. Zusammen mit seinem Team hat Althoff, der Mitglied der Munich School of Robotics and Machine Intelligence an der TUM ist, jetzt ein Softwaremodul entwickelt, das während der Fahrt permanent das Geschehen analysiert und prognostiziert: Die Sensordaten des Fahrzeugs werden im Millisekundentakt erfasst und ausgewertet. Die Software berechnet nun für jede Verkehrsteilnehmerin und jeden Verkehrsteilnehmer alle möglichen Bewegungen – zumindest soweit sich diese im Einklang mit der Straßenverkehrsordnung befinden; drei bis sechs Sekunden blickt das System auf diese Weise in die Zukunft.
Auf Grundlage dieser künftigen Szenarien ermittelt das System für das Fahrzeug verschiedene Bewegungsoptionen. Gleichzeitig kalkuliert das Programm mögliche Notmanöver, mit denen das Fahrzeug – durch Beschleunigen oder Abbremsen – an einen sicheren Ort gebracht werden kann, ohne andere zu gefährden. Nur wenn eine Route ohne voraussehbare Kollision befahren werden kann und gleichzeitig ein Notmanöver möglich ist, darf sie vom autonomen Fahrzeug genutzt werden.
Schnelle Berechnung durch vereinfachte Modelle
Eine derart detaillierte Prognose des Verkehrsgeschehens galt bisher als zu aufwändig und daher als nicht praktikabel. Das Münchner Forschungsteam konnte jetzt nicht nur zeigen, dass eine Datenauswertung in Echtzeit und eine gleichzeitige Simulation der künftigen Verkehrssituation theoretisch möglich ist, sondern auch den Nachweis erbringen, dass sie zuverlässige Ergebnisse liefert.
Möglich werden die schnellen Berechnungen durch vereinfachte dynamische Modelle. In der sogenannten Erreichbarkeitsanalyse wird errechnet, welche Positionen zum Beispiel ein Auto oder eine Fußgängerin in der Zukunft einnehmen kann. Werden nun alle Eigenschaften der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer dabei berücksichtigt, ist die Berechnung aufwendig. Althoff und sein Team arbeiten daher mit vereinfachten Modellen. Diese sind den realen in ihrem Bewegungsspielraum überlegen – aber mathematisch einfacher zu erfassen. So können sie durch den größeren Bewegungsspielraum mehr mögliche Positionen einnehmen – darin sind gleichzeitig auch die Positionen enthalten, die für die realen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer erwartet werden.
Reale Verkehrsdaten für eine virtuelle Testumgebung
Für die Evaluierung erstellten die Informatikerinnen und Informatiker ein virtuelles Modell, das auf realen Daten basiert. Diese hatte das Team bei Testfahren mit einem autonomen Fahrzeug in München gesammelt. Auf diese Weise konnte eine Testumgebung geschaffen werden, die alltägliche Verkehrsszenarien widerspiegelt. „Mit Hilfe der Simulationen konnten wir zeigen, dass das Sicherheitsmodul zu keinerlei Leistungseinbußen im Fahrverhalten führt, dass die Prognose-Kalkulationen korrekt sind, Unfälle verhindert werden und das Fahrzeug im Notfall beweisbar sicher gestoppt wird“, resümiert Althoff.
Die neue Sicherheitssoftware könne die Entwicklung von autonomen Fahrzeugen erleichtern, weil sie mit allen gängigen Programmen zur Bewegungssteuerung kombinierbar sei, betont der Informatiker.
Mehr Informationen:
Die Forschung wurde gefördert durch das Projekt CAR@TUM der BMW Group, dem Projekt Ko-HAF – kooperatives hochautomatisiertes Fahren des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG (AL 1185/3-2, AL 1185/4-2).
Die Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM) an der Technischen Universität München ist ein integratives Forschungszentrum. Ziel dieses Zentrums ist es, die Grundlagen der Robotik, der Perzeption und der Künstlichen Intelligenz zu erforschen, um Technologien für die Bereiche Gesundheit, Arbeit und Mobilität zu entwickeln. Beispielsweise werden lernfähige und vernetzte Roboterassistenten für die Industrie der Zukunft, autonom fliegende und fahrende Roboterteams für die Mobilität der Zukunft und medizinische Nanoroboter sowie Assistenzroboter für ein selbstbestimmtes Leben im Alter entwickelt.
Prof. Dr. Matthias Althoff
Professur für Cyber-Physical Systems
Technische Universität München
Tel +49 89 289 18134
althoff(at)in.tum.de
http://www6.in.tum.de/Main/Althoff
Christian Pek, Stefanie Manzinger, Markus Koschi, Matthias Althoff: „Using online verification to prevent autonomous vehicles from causing accidents“, Nature Machine Intelligence 2, 518-528 (2020).
https://www.nature.com/articles/s42256-020-0225-y
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Informationstechnik, Verkehr / Transport
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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