Wie wurde der öffentliche Raum in europäischen Städten in den Jahren von 1450 bis 1700 genutzt? Was passierte in kleinen Straßen und auf großen Plätzen, welche Gebäude waren wichtig und wieso? Wie prägten normale Einwohnerinnen und Einwohner das Leben einer Stadt? Diesen Fragen geht das internationale Forschungsprojekt „PUblic REnaissance: Urban Cultures of Public Space between Early Modern Europe and the Present“ (PURE) nach, das mit einer Million Euro gefördert wird. Deutscher Partner ist die FAU, die das frühneuzeitliche Hamburg erforscht und unter anderem eine App und eine Webseite mit einer interaktiven Stadttour durch das Jahr 1686 entwickelt hat.
„Moin, Moin, ich heiße Johann und bin ein Hamburger Papierhändler“ – das sagt zur Begrüßung die fiktive Person, die in einer App durch das Hamburg des Jahres 1686 führt. Die Erfinder von „Johann“ und seiner Tour durch die Stadt sind Prof. Dr. Daniel Bellingradt, Juniorprofessur für Buchwissenschaft, insbesondere Historische Kommunikationsforschung an der FAU, und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Claudia Heise. Das FAU-Team entwickelte eine etwa einstündige – in Deutsch und auf Englisch verfügbare – kostenlose Stadttour durch das Hamburg des Jahres 1686. „Johann“ führt zu bekannten und weniger bekannten Orten seines Hamburg bei einer Jagd nach Neuigkeiten. In Hamburg war 1686 viel geschehen.
Aufgewühltes Hamburg im Jahr 1686
„Wir haben sieben Stationen aus dem Hamburg der Gegenwart ausgesucht, zu denen die Zuhörerinnen und Zuhörer laufen müssen“, erklärt Bellingradt. „Und wenn ihr GPS-Tracking das richtige Signal sendet, aktiviert sich an jeder Station eine ausgewählte Etappe der Geschichte rund um den fiktiven Papierhändler Johann.“ Alle Stationen sind auch virtuell – also ohne GPS-Tracking und echte Bewegung durch Hamburg – am Bildschirm erleb- und abrufbar. Die Texte, Bilder und Töne werden allgemeinverständlich erklärt und eingeordnet, und bieten mit Museumsobjekten und Archivmaterialien einen lebendigen Einblick in bislang versteckte Geschichten der Stadt Hamburg im Jahr 1686. Um das damalige Hamburg besser erlebbar zu machen, kooperiert das FAU-Team u.a. mit dem Museum für Hamburgische Geschichte.
„Die Stadttour ist eigentlich ein Spaziergang durch Hamburg mit einer geolokalisierten historischen Karte des Jahres 1686 und einer aktuellen Stadtkarte. Unsere Tour führt in ein aufgewühltes Hamburg, in dem gerade erst zwei Hamburger Politiker öffentlich hingerichtet und Flugschriften verbrannt worden sind – und allerlei Gerüchte in den Kaffeehäusern und Gaststätten im Umlauf sind“, sagt Heise. „Unser Tourguide Johann ist auf der Jagd nach Flugschriften und Gerüchten und führt die App-Nutzer in Buchhandlungen und Kirchen, zu Zeitungsständen auf Marktplätzen, in ein Kaffeehaus und zum Opernhaus.“
Interaktive Webseite und App
Die anderen Partner des internationalen Forschungsprojekts – die niederländische Rijksuniversiteit Groningen, die britische University of Exeter, die spanische Universitat de València und das Italienisch-Deutsche Historische Institut in Trient – haben ebenfalls ähnliche Stadttouren zu vier weiteren europäischen Städten entworfen: zu Exeter, Deventer, Valencia und Trient. Ab sofort können alle Interessierten auf der interaktiven Webseite http://www.hiddencities.eu durch die fünf Städte navigieren, sich Objekte anschauen, Aktivitäten erkunden, die Orte spielerisch miteinander vergleichen – und in einen Dialog mit der heutigen Welt setzen. Die Apps sind auf dem Google Play Store (Android) und dem Apple App Store kostenlos zum Download verfügbar.
„Jede ausgewählte Station in Hamburg macht auf Orte der Geselligkeit und Kommunikation aufmerksam. Auf Orte, an denen Waren, Wissen und Nachrichten produziert, verkauft und konsumiert wurden – und an denen um Deutungshoheiten gerungen wurde“, erläutert der Kommunikationshistoriker Prof. Dr. Daniel Bellingradt. „Den vorhandenen Spuren aus der frühen Neuzeit folgen wir bei unserer Stadttour: Die vergangene und heutige Stadt hat viele Gemeinsamkeiten, was man nicht nur an den großteils erhaltenen Straßenverläufen und Plätzen erkennt.“ Darüber hinaus untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit Museen, Archiven und Kulturbetrieben auch zeitgenössische Objekte – im Falle Hamburgs von teuren Spottmedaillen bis zu preiswerten Kleindrucken – die mit bestimmten städtischen Orten und sozialen Räumen in Verbindung gebracht wurden und sich jetzt in Ausstellungen oder Depots befinden.
Geisteswissenschaften sichtbar machen
Als transnationales geisteswissenschaftliches Forschungsprojekt wird PURE, das von 2019 bis 2022 läuft, mit einer Million Euro gefördert. Finanziert wird das deutsche Projekt des „Humanities in the European Research Area“ (HERA) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Im HERA-Netzwerk arbeiten 26 europäische Forschungsförderer und die EU-Kommission zusammen, um Geisteswissenschaften im Europäischen Forschungsraum und in den EU-Forschungsrahmenprogrammen sichtbar zu machen.
Prof. Dr. Daniel Bellingradt
Juniorprofessur für Buchwissenschaft, insbesondere Historische Kommunikationsforschung
daniel.bellingradt@fau.de
http://www.hiddencities.eu
http://hiddenhamburg.eu
Mit der Hidden Cities-App Städte historisch erkunden.
Calvium
Calvium
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Medien- und Kommunikationswissenschaften
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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