idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
19.01.1998 00:00

Fehlgeleitetes Gedächtnis

Dr.rer.pol. Dipl.-Kfm. Ragnwolf Knorr Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Rheumatologie: DFG foerdert FAU-Projekt "Fehlgeleitetes Gedaechtnis"

    Dass Impfungen vor vielen Krankheiten schuetzen, ist vor allem den Memory-T-Zellen zu verdanken, einer Art von "Gedaechtniszellen" des koerpereigenen Abwehrsystems. Spezielle ausgereifte und aktive Zellen dieses Typs, die an Oberflaechenstrukturen gut erkennbar sind, koennen aber auch eine Immunreaktion abbremsen und Entzuendungen hemmen. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade solche Zellen sich in hoher Zahl in der Gelenkfluessigkeit von Patienten anreichern, die an chronischer Polyarthritis leiden, also an fortschreitender Zerstoerung von Knorpel und Knochen durch entzuendliche Prozesse in der Gelenkinnenhaut. In einem DFG-gefoerderten Projekt von Dr. Hendrik Schulze-Koops (Medizinische Klinik III und Institut fuer Klinische Immunologie, Direktor: Prof. Dr. Joachim R. Kalden) an der Universitaet Erlangen-Nuernberg wird dieser scheinbar paradoxe Befund naeher analysiert.

    T-Zellen werden nach Kontakt mit ihrem spezifischen Antigen aktiviert. Einige gehen direkt zum Angriff ueber und zerstoeren infizierte Koerperzellen, andere unterstuetzten als T-Helferzellen weitere Zellen in deren Abwehrkampf. T-Helferzellen tragen auf ihrer Zellmembran das Oberflaechenmolekuel CD4, weshalb sie auch als CD4posT-Zellen bezeichnet werden. CD4posT-Zellen beeinflussen und regulieren eine Immunreaktion in entscheidendem Masse. Waehrend viele der aktivien T-Zellen nach dem Antigenkontakt absterben, entwickeln sich einige antigenspezifische T-Zellen zu Memory-T-Zellen, die als langlebige Abwehrzellen die "Erinnerung" an den Erreger bewahren und bei jedem neuen Kontakt eine schnelle, verstaerkte Immunantwort ausloesen koennen.

    Zu den Kennzeichen der chronischen Polyarthitis zaehlt eine Anhaeufung aktivierter Leukozyten in der entzuendeten Innenschicht der Gelenke. Was die Erkrankung ausloest, ist bis heute unbekannt; Beobachtungen lassen jedoch darauf schliessen, dass T-Helferzellen sowohl zu Beginn als auch beim chronischen Fortschreiten der Gelenkentzuendung eine zentrale Rolle spielen.

    Drei Typen Helferzellen

    Solche Zellen koennen in mindestens drei Gruppen unterteilt werden, die unterschiedliche Substanzen absondern und voneinander abweichende Funktionen uebernehmen. Helferzellen mit der Bezeichnung Th1 foerdern die Aktivierung von Makrophagen - grossen Lymphozyten, die Fremdkoerper angreifen und aufloesen - und sind an zellulaeren Immunantworten beteiligt. Th2-Zellen wirken dagegen daempfend auf Makrophagen und produzieren Stoffe, die bei allergischen Reaktionen eine Rolle spielen. Th0-Zellen sind moeglicherweise noch unspezialisierte Vorlaeufer, aus denen die beiden erstgenannten Gruppen entstehen.

    Dass aus den Vorlaeuferzellen die jeweils "richtigen" T-Helferzellen ausdifferenzieren, ist fuer eine erfolgreiche Immunabwehr entscheidend. Aber auch bei fehlgeleiteten, pathologischen Immunmechanismen finden sich Hinweise auf eine Steuerung durch Th1- und Th2-Zellen. Zur Entstehung von Autoimmunkrankheiten im Tiermodell scheinen Immunreaktionen entscheidend beizutragen, die vor allem von Th1-Zellen gesteuert werden. Umgekehrt ist die Differenzierung von Th0- zu Th2-Zellen oft zu beobachten, wenn die Entzuendungsprozesse bei diesen Modellerkrankungen abklingen.

    Der Beweis, dass aehnliche Vorgaenge den Verlauf von Autoimmunkrankheiten beim Menschen regeln, steht noch aus. Doch haben einige Studien kuerzlich aufgedeckt, dass aus chronisch entzuendeten Gelenken entnommene T-Zellen vor allem Interleukin-2 und Interferon-g produzieren, was fuer Th1-Zellen typisch ist, waehrend das fuer Th2-Zellen charakteristische Interleukin-4 nicht nachzuweisen war. Die Entzuendungsprozesse bei chronischer Polyarthritis werden also moeglicherweise durch Th1-Zellen aufrechterhalten, ohne dass Th2-Zellen, die die Entzuendung stoppen koennten, sich in ausreichendem Masse bilden.

    Entgueltig spezialisiert

    Dies bleibt freilich nur eine Vermutung, solange die T-Zellen, die solche Entzuendungen in Gang setzen und halten, nicht aufgespuert sind. Heute weiss man zumindest, dass ein grosser Teil der T-Helferzellen in Fluessigkeit und Gewebe rheumatoider Gelenke aktivierte Memory-T-Zellen sind. Vor kurzem konnte nachgewiesen werden, dass besonders haeufig Zellen einer bestimmten Untergruppe hier aufzufinden sind, denen der Zelloberflaechenmarker CD27 fehlt. Die Funktion dieses Molekuels ist nicht vollstaendig geklaert, doch wird angenommen, dass seine Abwesenheit den letzten Schritt im Prozess der Differenzierung von CD4pos Memory-T-Zellen anzeigt. Dies verweist darauf, dass in den entzuendeten Gelenken chronisch aktivierte, endgueltig differenzierte Memory-T-Zellen angereichert sind.

    Bei Untersuchungen an Zellproben gesunder Probanden hat sich herausgestellt, dass aus Memory-T- Helferzellen Interferon-g unabhaengig davon produzieren koennen, ob der Marker CD27 an ihrer Oberflaeche ausgepraegt wird oder nicht. Dagegen ist die Produktion und Sekretion von Interleukin-4 strikt auf die weit differenziertere Gruppe von Zellen beschraenkt, die diesen Marker nicht aufweisen. Einzelne Zellen dieser Fraktion sondern Interleukin-4 ab, andere produzieren Interferon-g. Dies deutet darauf hin, dass sowohl Th1- als auch Th2-aehnliche Helfer-T-Zellen darunter sind.

    CD27neg Memory-T-Zellen, die sich in so reichlicher Zahl in rheumatoidem Gewebe finden, koennen also sowohl dem ersten wie dem zweiten Typ von Helferzellen angehoeren. Moeglicherweise sind darunter Zellen, die in entzuendlich veraenderten Gelenken ihr spezifisches Antigen antreffen. Zudem koennen diese Zellen die Immunglobulinproduktion durch B-Zellen stimulieren. Es liegt daher nahe zu vermuten, dass sie fuer Entstehung und Verlauf von chronischen Gelenkentzuendungen von zentraler Bedeutung sind. Es handelt sich um die einzigen Memory-T-Zellen, die das immunprotektive, Th2-spezifische Zytokin Interleukin-4 produzieren koennen. Wie oben beschrieben, scheint fuer die chronische Polyarthritis aber gerade ein Mangel an Interleukin-4 und ein Ueberschuss an Interferon-g typisch, was auf eine fehlgeleitete Differenzierung von Memory-T-Zellen hinweisen koennte.

    In dem DFG-Projekt sollen zunaechst der Phaenotyp und der Differenzierungs- und Aktivierungszustand von Memory-T-Helferzellen ohne CD27-Marker in der rheumatoiden Gelenkinnenschicht und dem peripheren Blut von Patienten mit chronischer Polyarthritis analysiert werden. Es soll untersucht werden, inwieweit sich diese Zellen bei Rheumatikern von Zellen mit identischen Oberflaechenmarkern bei Gesunden unterscheiden. Schliesslich soll versucht werden, Mechanismen zu identifizieren, die eine vorwiegende Polarisierung von Th1-Zellen bei Patienten mit chronischer Polyarthritis foerdern. Auf diesem Weg kann zur Entwicklung neuer Therapiekonzepte beigetragen werden.

    Kontakt: Dr. Hendrik Schulze-Koops, Medizinische Klinik III und Institut fuer Klinische Immunologie und Rheumatologie, Glueckstr. 4a, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/85 -3795


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).