idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
10.12.2021 12:54

Das Tetra-Neutron – Messwerte belegen Existenz eines lange gesuchten Teilchens aus vier Neutronen

Dr. Andreas Battenberg Corporate Communications Center
Technische Universität München

    Während alle Atome außer Wasserstoff aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt sind, sucht die Physik seit 50 Jahren nach einem Teilchen, das aus zwei, drei oder vier Neutronen besteht. Experimente eines Teams von Physikern der Technischen Universität München (TUM) am Beschleuniger-Labor auf dem Forschungscampus Garching geben nun Grund zu der Annahme, dass es ein Teilchen aus vier gebundenen Neutronen tatsächlich gibt.

    Während sich die Kernphysik darüber einig ist, dass es im Universum keine Systeme gibt, die nur aus Protonen bestehen, suchen Physikerinnen und Physiker seit über 50 Jahren nach Teilchen, die aus zwei, drei oder vier Neutronen zusammengesetzt sind.

    Würde ein solches Teilchen existieren, müssten Teile der Theorie der starken Wechselwirkung neu überdacht werden. Darüber hinaus könnte das eingehendere Studium dieser Teilchen helfen, die Eigenschaften von Neutronensternen besser zu verstehen.

    „Die starke Wechselwirkung ist im wahrsten Sinne des Wortes die Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält. Schwerere Atome als Wasserstoff, wären ohne sie undenkbar“, sagt Dr. Thomas Faestermann, unter dessen Leitung die Versuche stattfanden.

    Alles deutet nun darauf hin, dass in einem der letzten Experimente am inzwischen stillgelegten Tandem-Van-de-Graaff-Beschleuniger auf dem Forschungscampus Garching genau solche Teilchen entstanden sind.

    Die lange Suche nach dem Tetra-Neutron

    Schon vor 20 Jahren publizierte eine französische Arbeitsgruppe Messwerte, die sie als die Signatur der gesuchten Tetra-Neutronen interpretierten. Spätere Arbeiten einer anderen Gruppe zeigten jedoch, dass die angewandte Methodik die Existenz eines Tetra-Neutrons nicht beweisen kann.

    2016 versuchte eine Gruppe in Japan Tetra-Neutronen aus Helium-4 zu erzeugen, indem sie es mit einem Strahl aus radioaktiven Helium-8-Teilchen beschossen. Bei dieser Reaktion sollte Beryllium-8 entstehen. Tatsächlich konnten sie vier solcher Atome nachweisen. Aus ihren Messergebnissen folgerten sie, dass das Tetra-Neutron ungebunden sei und schnell wieder in vier Neutronen zerfalle.

    Faestermann und sein Team beschossen bei ihren Versuchen ein Lithium-7-Target mit auf etwa zwölf Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Lithium-7-Teilchen. Hierbei sollte neben dem Tetra-Neutron Kohlenstoff-10 entstehen. Und in der Tat gelang es den Physikern, diese Spezies nachzuweisen. Eine Wiederholung bestätigte das Ergebnis.

    Der Indizienbeweis

    Die Messergebnisse des Teams entsprachen der Signatur, die ein Kohlenstoff-10 im ersten angeregten Zustand und ein Tetra-Neutron mit einer Bindungsenergie von 0,42 Megaelektronenvolt (MeV) zeigen würden. Den Messungen zufolge wäre das Tetra-Neutron ungefähr so stabil wie das Neutron selbst. Danach würde es mit einer Halbwertszeit von 450 Sekunden durch Beta-Zerfall zerfallen. „Dies ist für uns die einzige physikalisch in allen Punkten plausible Erklärung der gemessenen Werte“, erläutert Dr. Thomas Faestermann.

    Mit seinen Messungen erreicht das Team eine Sicherheit von deutlich über 99,7 Prozent oder 3 sigma. Doch damit ein Teilchen in der Physik als sicher existent gelten darf, wird eine Sicherheit von 5 sigma verlangt. Gespannt warten die Forscher daher nun auf eine unabhängige Bestätigung.

    ###

    Das Maier-Leibnitz-Laboratorium mit seinem Tandem-Van-de-Graaff-Beschleuniger wurde gemeinsam von der Technischen Universität München und der Ludwig Maximilians-Universität München betrieben. Aus baulichen Gründen wurde die Anlage Anfang 2020 stillgelegt. Alle fünf Autoren der Publikation sind Absolventen oder Mitarbeitende der Technischen Universität München.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Thomas Faestermann
    Technische Universität München
    Fachbereich Physik E12
    E-Mail: thomas.faestermann@ph.tum.de


    Originalpublikation:

    Indications for a bound tetraneutron
    Thomas Faestermann, Andreas Bergmaier, Roman Gernhäuser, Dominik Koll, Mahmoud Mahgoub
    Physics Letters B 824 (2022) 136799 – DOI: 10.1016/j.physletb.2021.136799


    Weitere Informationen:

    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0370269321007395 Originalpublikation
    https://mediatum.ub.tum.de/1636862 Weiteres Bildmaterial
    https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/37067 Presseinformation auf der TUM-Hoempage
    https://www.forschung-garching.tum.de/maier-leibnitz-laboratorium/ Website des Beschleunigerlabors


    Bilder

    Dr. Thomas Faestermann in der Einstiegsluke des Tandem-Van-de-Graaff-Beschleunigers auf dem Forschungscampus Garching. Mehr als zehn Millionen Volt beschleunigen Lithium-Ionen hier auf rund zwölf Prozent der Lichtgeschwindigkeit.
    Dr. Thomas Faestermann in der Einstiegsluke des Tandem-Van-de-Graaff-Beschleunigers auf dem Forschun ...
    Uli Benz / TUM

    Schematische Darstellung der Reaktion zu Kohlenstoff-10 und dem Tetra-Neutron
    Schematische Darstellung der Reaktion zu Kohlenstoff-10 und dem Tetra-Neutron
    Thomas Faestermann / TUM


    Anhang
    attachment icon Künstlerische Darstellung eines Tetra-Neutrons

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Chemie, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Dr. Thomas Faestermann in der Einstiegsluke des Tandem-Van-de-Graaff-Beschleunigers auf dem Forschungscampus Garching. Mehr als zehn Millionen Volt beschleunigen Lithium-Ionen hier auf rund zwölf Prozent der Lichtgeschwindigkeit.


    Zum Download

    x

    Schematische Darstellung der Reaktion zu Kohlenstoff-10 und dem Tetra-Neutron


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).