Interaktive Trainingsprogramme für Zuhause können die Einschränkungen während eines Lockdowns erträglicher machen. Mit Livestreaming-Sportangeboten lässt sich die körperliche Aktivität deutlich steigern, zeigte ein Forschungsteam aus zehn Ländern unter Leitung des Instituts für Sportwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt. Gleichzeitig verbesserte sich das Wohlbefinden im Vergleich zu einer inaktiven Kontrollgruppe. Das Team hatte vor einem Jahr die negativen Auswirkungen der Corona-Einschränkungen auf Bewegung und Wohlbefinden beschrieben.
FRANKFURT. Gut 40 Prozent weniger aktiv waren die Menschen während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Dies hatte eine internationale Studie unter Leitung der Goethe-Universität Frankfurt gezeigt. Auch das psychische Wohlbefinden sank; der Anteil an Menschen mit einem Risiko für Depressionen verdreifachte sich. Um diese nachteilige Entwicklung abzumildern, entwarf das Forschungsteam ein Online-Trainingsprogramm für Zuhause und untersuchte, ob sich die gesundheitlich so wichtige körperliche Aktivität auch während eines Lockdowns aufrechterhalten lässt. Die Ergebnisse der Studie erschienen kürzlich im British Journal of Sports Medicine.
Von 763 gesunden Probanden aus neun Ländern von vier Kontinenten trainierte die eine Hälfte vier Wochen mit einem Livestream-Programm, die andere bildete die Kontrollgruppe. Die Trainierenden konnten aus täglichen Workouts - etwa mit dem Fokus Kraft, Ausdauer, Balance oder Entspannung - wählen. Professionelle Trainer:innen begleiteten sie dabei aktiv mit Kamera und Mikrofon. Wöchentlich füllten beide Gruppen standardisierte Fragebögen zu körperlicher Aktivität, Angstgefühlen, mentalem Wohlbefinden, Schlafqualität, Schmerz und Sportmotivation aus.
Besonders wirksam war das Trainingsprogramms für das Bewegungsverhalten der Teilnehmenden: Die körperliche Aktivität war anfangs in der Online-Gruppe durchschnittlich bis zu 65 Prozent höher als in der Vergleichsgruppe, und auch nach vier Wochen noch um 20 bis 25 Prozent erhöht. Damit überschritten die Kurs-Teilnehmer:innen die WHO-Empfehlungen von mindestens 150 Minuten mäßiger oder 75 Minuten intensiver Bewegung pro Woche jeweils deutlich, während die Kontrollgruppe diese nur knapp erreichte. Gleichzeitig verbesserten sich die Motivation Sport zu treiben, das psychologische Wohlbefinden und der Schlaf; Angstgefühle nahmen ab. „Diese Verbesserungen sind zwar gering, aber dennoch potenziell relevant“, betont Studienleiter Dr. Jan Wilke vom Institut für Sportwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt. „Unsere Testpersonen waren ja alle gesund - die Effekte bei Patienten könnten deutlich größer ausfallen, insbesondere bei Menschen mit chronischen Erkrankungen“. Zudem seien für solche Wirkungsstudien vier Wochen sehr knapp. Teilnehmer:innen, die mehr Kurse als die geforderten zwei pro Woche belegten, gaben eine noch bessere Fitness und ein größeres Wohlgefühl an, notierten aber keine weiteren Verbesserungen bei Schlaf und Ängsten.
Leider beendete nur knapp die Hälfte der Teilnehmenden die Studie. Die Forschergruppe macht dafür insbesondere den hohen wöchentlichen Aufwand beim Ausfüllen der Fragebögen verantwortlich. Diese häufige Abfrage sollte sicherstellen, dass die Studie auch bei möglicherweise endenden Lockdown-Vorschriften Aussagen erlaubt. Die im Zeitraum sich ändernden lokalen Bedingungen könnten auch die Motivation mancher Teilnehmenden verringert haben, etwa wenn Fitnessstudios vor Ort wieder öffneten. Zudem waren die Vorgaben sehr streng: Wer nicht an den Fragebogen-Erhebungen teilnahm, wurde aus der Studie gestrichen.
„Train at home, but not alone“ - am besten zusammen zu Hause trainieren, so fasst die Arbeitsgruppe ihre Erkenntnisse zu Bewegungsangeboten im Pandemie-bedingten Lockdown zusammen. Denn: Nachdem beide Gruppen im Anschluss an den Livestreaming-Hauptteil der Studie Zugriff auf aufgezeichnete Inhalte erhielten, reduzierten sich die beobachteten Unterschiede teils. Dies ist laut Wilke sowohl auf die Aktivierung der Kontrollgruppe als auch auf die Veränderung der Angebotsform zurückzuführen.
Ausdrücklich unterstreichen die Studienautor:innen die Bedeutung von Bewegung im Alltag: Körperliche Inaktivität verursacht nach aktuellen Daten acht bis neun Prozent aller vorzeitigen Todesfälle, erhöht das Risiko von Herz- und Stoffwechselerkrankungen, Krebs und auch die Anfälligkeit gegenüber Coronaviren. Vermutlich sei es daher umso wichtiger, im Lockdown Online-Training auch für Menschen mit chronischen Krankheiten – etwa Diabetiker:innen – anzubieten, deren Gesundheit möglicherweise unter den Pandemie-Einschränkungen besonders leidet.
PD Dr. Jan Wilke
Institut für Sportwissenschaften
Goethe-Universität Frankfurt
Tel. +49 (69) 798-24588,
wilke@sport.uni-frankfurt.de
Jan Wilke, Lisa Mohr, Gustavo Yuki, Adelle Kemlall Bhundoo, David Jiménez-Pavón, Fernando Laiño, Niamh Murphy, Bernhard Novak, Stefano Nuccio, Sonia Ortega-Gómez, Julian David Pillay, Falk Richter, Lorenzo Rum, Celso Sanchez-Ramírez, David Url, Lutz Vogt, Luiz Hespanhol. Train at home, but not alone: a randomised controlled multicentre trial assessing the effects of live-streamed tele-exercise during COVID-19-related lockdowns. Br. J. Sports Med. (2022) https://doi.org/10.1136/bjsports-2021-104994
Sportangebot per Lifestreaming fördert Aktivität und Wohlbefinden während der Pandemie-Lockdowns.
Jan Wilke
Jan Wilke, Goethe-Universität Frankfurt
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Sportwissenschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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