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12.05.2022 10:32

Wie Haizähne Evolutionsprozesse entschlüsseln können

Alexandra Frey Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Zahnformen des Tigerhais: Schon der Embryo wechselt – und verschluckt – seine Zähne

    Vom Embryo bis zum Schildkröten-Knacker: Ein Team um die Paläobiologin Julia Türtscher von der Universität Wien erforschte den mehrfachen Wechsel der Zahnform beim Tigerhai. Die kürzlich im Journal of Anatomy veröffentlichte Studie ist auch für die Paläontologie zentral, um aus den unzähligen erhaltenen Haizähnen Rückschlüsse auf ausgestorbene Arten ziehen zu können.

    Knorpelfische, also Haie und Rochen, besitzen ein sogenanntes Revolvergebiss: Sobald sie einen Zahn verlieren, kommt ein neuer hinterher, und das ein Leben lang. „Dementsprechend haben wir sowohl von lebenden als auch von fossilen Knorpelfischen eine unglaubliche Menge an Zähnen, anhand derer wir auch für frühere Zeiten untersuchen können, wann und wie welche Art entstand beziehungsweise wieder ausstarb“, erklärt Julia Türtscher vom Institut für Paläontologie der Universität Wien. Eine besondere Herausforderung bei solchen Forschungsarbeiten: Bei den meisten Haiarten verändert sich die Zahnform im Laufe ihres Lebens.

    Multiple Zahnformen erschweren Analyse

    „Diese so genannte Heterodontie, also das Vorkommen unterschiedlicher Zahnformen in einem Gebiss, hat sich als eine der größten Herausforderungen für diese Analysen erwiesen, denn hier fehlt es bisher an systematischem Wissen“, so die Nachwuchswissenschafterin. Obwohl jedes Jahr zahlreiche Haiarten entdeckt und beschrieben werden, sind detaillierte Beschreibungen von Zahnformen und Heterodontie-Mustern für die meisten Arten kaum vorhanden oder nur unzureichend bekannt.
    Für den Tigerhai konnte diese Lücke nun mit einer Studie des Instituts für Paläontologie der Universität Wien geschlossen werden. Mithilfe der geometrischen Morphometrie an Zähnen des Tigerhais Galeocerdo cuvier wurden von Julia Türtscher und ihren Kolleg*innen die Zahnformen für dessen vier verschiedene Entwicklungsstadien, vom Embryo bis zum erwachsenen Tier, analysiert und im Detail beschrieben.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Form der Haizähne im Laufe des Hailebens graduell und subtil verändert: Die Zähne werden einerseits größer und andererseits komplexer“, so Türtscher. So weisen die Zähne dieser Haie ein Sägemuster auf, die so genannte Zähnelung, und jede einzelne dieser Sägekanten ist bei erwachsenen Tieren noch einmal – also sekundär – gezähnelt. Dieser komplexe Aufbau ermöglicht es den erwachsenen Tigerhaien, sich von einem unglaublich breiten Beutespektrum zu ernähren: Sie können selbst Schildkrötenpanzer mühelos durchschneiden und große Beutetiere wie andere Haie oder Meeressäuger durchtrennen.

    Die jüngeren und kleineren Tigerhaie hingegen besitzen nur einfach gezähnelte Zähne: Sie ernähren sich auch hauptsächlich von kleineren Fischen, bei denen diese zusätzliche Sägehilfe nicht nötig ist.

    Tigerhai-Embryos bilden schon im Mutterleib Zähne

    Die vorliegende Studie liefert auch die erste umfassende Beschreibung der Zahnform von Tigerhai-Embryos: Demnach bilden die Embryonen bereits im Mutterleib Zähne, allerdings zuerst noch ohne Zähnelungen. Bereits vor der Geburt setzt jedoch der sogenannte permanente Zahnwechsel ein und die neu gebildeten Zähne weisen erste primäre Zähnelungen auf. „Das heißt, die ersten Zähne werden sogar noch im Mutterleib gewechselt – und dabei verschluckt“, erklärt Türtscher.

    Je größer die Tiere werden, umso größer werden die Zähne und umso mehr primäre Zähnelungen kommen hinzu. Die sekundären Zähnelungen entwickeln sich allerdings erst relativ spät, wenn die Tiere eine beachtliche Größe angenommen haben. „Es scheint generell ein Zusammenhang zu bestehen zwischen doppelt gezähnelten Zähnen und einer großen Körpergröße: Tigerhaie gehören mit einer Maximallänge von 5,5 Metern zu den größten räuberischen Haien unserer Meere. Außerdem sehen wir auch bei ihren ausgestorbenen Verwandten, dass die großen Arten doppelt gezähnelte Zähne hatten, während kleinere Arten nur eine einfache Zähnelung aufwiesen“, erklärt Zweitautor Patrick L. Jambura vom Institut für Paläontologie der Universität Wien.

    „Die vorliegende Studie trägt insgesamt deutlich zu unserem Wissen über Zahnmerkmale im Laufe der Entwicklung des Tigerhais bei – sie bietet damit eine Grundlage für weitere morphologische und genetische Studien über die Zahnvariation bei Haien und wird sicherlich dazu beitragen, die vielen Entwicklungs- und Evolutionsprozesse der heutigen und vergangenen Knorpelfische zu entschlüsseln“, sagt Jürgen Kriwet, der Leiter der Arbeitsgruppe für evolutionäre Morphologie am Institut für Paläontologie.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Julia Türtscher, BSc MSc
    Institut für Paläontologie
    Josef-Holaubek-Platz 2 (UZA II), 1090 Wien
    M: +43 1 4277 53525
    julia.tuertscher@univie.ac.at


    Originalpublikation:

    Türtscher, J., Jambura, P. L., López‐Romero, F. A., Kindlimann, R., Sato, K., Tomita, T., & Kriwet, J. (2022). Heterodonty and ontogenetic shift dynamics in the dentition of the tiger shark Galeocerdo cuvier (Chondrichthyes, Galeocerdidae). Journal of Anatomy.
    DOI: https://doi.org/10.1111/joa.13668


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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