idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
03.10.2022 21:00

Soldaten mit vielfältiger Herkunft in einer Armee der griechischen Antike

Alexandra Frey Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Genome aus einer Schlacht zwischen Griechen und Karthagern im 5. Jahrhundert v. u. Z. enthüllen die fernen Ursprünge einiger der Kämpfer

    Handel und Kolonialisierung führten im 1. Jahrtausend v. u. Z. zu einem beispiellosen Anstieg der Mobilität im Mittelmeerraum, was auch zu militärischen Konflikten führte. Eine neue interdisziplinäre Studie unter der Leitung eines internationalen Forscher*innenteams von der Universität von Georgia (Athens), der Harvard Universität, der Universität von Northern Colorado, der Universität Florenz und der Universität Wien veranschaulicht, wie antike Kriegsführung ein weiterer Auslöser für den Kontakt zwischen fernen Kulturen war, welcher Soldaten mit angestammter Herkunft in Nordosteuropa, dem Kaukasus und der eurasischen Steppe auf die Insel Sizilien brachte. Die Studie ist aktuell im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen.

    Zum 5. Jahrhundert v. u. Z. waren Griech*innen aus der Ägäis und Phönizier*innen aus der Levante über das gesamte Mittelmeergebiet verbreitet und hatten dort viele Küstenhandelsposten und Kolonien gegründet. In einigen strategisch wichtigen Regionen wie der Insel Sizilien führte dies zu Konflikten um die wirtschaftliche und territoriale Vorherrschaft, die in militärische Auseinandersetzungen mündeten. In den Schriften von antiken Historikern wie Herodot und Diodorus Siculus gibt es Berichte über zwei bedeutende Schlachten, in denen Phönizier aus dem nordafrikanischen Karthago die griechische Stadt (Polis) Himera angriffen. Während der ersten Schlacht im Jahr 480 v. u. Z. verteidigte ein griechisches Bündnis zwischen Himera, Syrakus und Agrigento die Polis erfolgreich; aber als die Karthager 409 v. u. Z. in einem Racheakt mit einer großen Söldnerarmee zurückkehrten, kämpften die Himeraner weitgehend ohne Unterstützung und die Polis wurde zerstört und aufgegeben.

    Details über diese Schlachten können nun – 2.500 Jahre später – durch Untersuchungen der Genome durch die Wissenschafter*innen aufgedeckt werden. Seniorautor Ron Pinhasi von der Universität Wien fasst zusammen: "Diese Fallstudie beleuchtet Kriegsführung als Mechanismus für kulturellen Kontakt und positioniert Soldaten, insbesondere Söldner, als Überbringer von Ideen, Technologien, Sprachen und Genen über große Entfernungen."

    Skelette aus einer der größten griechischen Grabstätten

    Ausgrabungen in Himera, einer antiken griechischen Stadt an der Nordküste Siziliens, seit den 1990er Jahren haben über 10.000 Bestattungen und damit eine der größten griechischen Nekropolen freigelegt, die jemals entdeckt wurde. Darunter befinden sich mehrere Massengräber mit Skeletten, die Archäolog*innen als gefallene Soldaten der Schlachten des 5. Jahrhunderts v. u. Z. interpretiert haben, da es sich bei den Bestatteten um Männer jungen bis mittleren Alters handelt, und einige von ihnen typische Kampfverletzungen oder Pfeilspitzen in ihren Skeletten stecken haben. Es wird angenommen, dass mehrere geordnete, kleinere Massengräber die Gefallenen der siegreichen Armee von 480 v. u. Z. enthalten. Ein größeres Massengrab mit dicht gedrängten Personen wird den Gefallenen der Schlacht von 409 v. u. Z. zugeschrieben, die von den Überlebenden des karthagischen Angriffs vor der Aufgabe der Stadt hastig begraben wurden. Die neue Studie im Fachjournal PNAS untersucht die genetischen Verwandtschaften dieser Soldaten und anderer zeitgenössischer Sizilianer, indem sie die Genome von 54 Individuen analysiert, die in Himera und anderen Stätten in Westsizilien ausgegraben wurden.

    "Die Ergebnisse machen deutlich, dass die griechische Kolonialisierung in der klassischen Antike nicht nur zur Ausbreitung der ägäischen Völker im gesamten Mittelmeerraum führte, sondern auch einen breiteren Kosmopolitismus ermöglichte. Während die Sizilianer*innen des 1. Jahrtausends v. u. Z. größtenteils von der lokalen Bevölkerung aus der Bronzezeit abstammen, haben die Bewohner*innen von Himera nicht nur ägäische und lokale sizilianische Vorfahren, sondern kommen auch von viel weiter entfernt", sagt der Genetiker David Reich von der Harvard Universität, Seniorautor der Studie.

    Die genetische Vielfalt der Soldaten übertraf die der Zivilbevölkerung von Himera sogar. "Wir waren erstaunt, unter den Soldaten der Schlacht von 480 v. u. Z. viele Individuen zu finden, die von weit außerhalb des Mittelmeerraums abstammen, etwa aus dem Kaukasus, Nordosteuropa und der eurasischen Steppe, einer Region, die in der Antike als Skythien bekannt war. Eine solch extreme genetische Vielfalt in einem einzigen Bestattungskontext ist beispiellos für diese Periode der klassischen Geschichte", sagt Co-Erstautorin Alissa Mittnik vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Leipzig), die die genetischen Analysen durchführte, als sie Postdoktorandin an der Harvard University war.

    Die Archäologin Laurie Reitsema von der Universität von Georgia, Co-Erstautorin, und ihr Team haben die stabilen Isotope der Bestatteten Himeras untersucht. Die Isotope von Elementen wie Strontium und Sauerstoff, die mit Nahrung und Wasser aufgenommen und in Knochen und Zähne eingebaut werden, geben Aufschluss darüber, wo ein Mensch aufgewachsen ist. "Viele der Soldaten von 480 v. u. Z. hatten Isotopensignaturen außerhalb Siziliens, was darauf hindeutet, dass sie erst als Erwachsene dorthin gereist sind. Als wir die Isotopenergebnisse mit den genetischen Ergebnissen verglichen, fanden wir eine frappierende Korrelation: Alle Soldaten mit genetischem Ursprung außerhalb des Mittelmeers waren auch eindeutig isotopisch ortsfremd. Mit den genetischen Daten wissen wir jetzt, wo sie wahrscheinlich geboren wurden."

    Co-Erstautorin Britney Kyle von der Universität von Colorado ergänzt: "Die genetisch und isotopisch 'fremden' Individuen wurden zusammen in einer Reihe größerer Massengräber beigesetzt, was zeigt, dass ihre besondere soziale Stellung von den Überlebenden, die sie bestatteten, anerkannt wurde. Vielleicht wurden sie von den Mitgliedern derselben Einheiten identifiziert, für die sie kämpften. In historischen Quellen wird auch beschrieben, dass Syrakus, eine der Städte, die Himera zu Hilfe kamen, eine große Anzahl von Söldnern in seiner Armee beschäftigte. Es ist unglaublich, ein so klares Beispiel dafür zu sehen, wie Genetik und Isotopenanalysen die historischen Berichte und archäologischen Belege bestätigen und bereichern."

    Im Gegensatz zur ersten Schlacht, deuteten für das Massengrab der Schlacht von 409 v. u. Z., die die Himeraner verloren, nachdem ihre Verbündeten keine unterstützenden Truppen entsandt hatten, weder Isotope noch Genetik auf eine fremde Herkunft der Gefallenen hin und zeigten stattdessen ihre tiefen einheimischen Wurzeln. "Die meisten Soldaten in der späteren Schlacht waren Nachkommen indigener Sizilianer*innen und Migrant*innen aus der Ägäis. Ehen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen scheinen in Himera die Norm gewesen zu sein", erklärt David Caramelli, Direktor der Fakultät für Biologie an der Universität Florenz und leitender Autor dieser Studie.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Univ.-Prof. Ron Pinhasi, PhD
    Department für Evolutionäre Anthropologie
    Universität Wien
    Djerassiplatz 1, 1030 Wien
    +43-1-4277-54721
    ron.pinhasi@univie.ac.at


    Originalpublikation:

    Reitsema, Laurie J., Mittnik, Alissa, Reich, David, Kyle, Britney, Caramelli, David, Pinhasi, Ron, et al: The diverse genetic origins of a Classical period Greek army. In: PROCEEDINGS OF THE NATIONAL ACADEMY OF SCIENCES (ISSUE: VOL. 119, ISS. 0). 2022

    DOI: 10.1073/pnas.2205272119


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).