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24.10.2022 17:00

Neu entdeckte Proteinfunktion beeinflusst Zellatmung

Johannes Scholten Stabsstelle Hochschulkommunikation
Philipps-Universität Marburg

    Das Geheimnis blieb 50 Jahre unentdeckt: Zusätzlich zu der schon seit langem bekannten Funktion bei der Hormonproduktion erfüllt Ferredoxin 1 (FDX1) weitere, bislang unbekannte Aufgaben, die der Energieumwandlung in den Mitochondrien dienen. Dies hat eine länderübergreifende Forschungskooperation unter Marburger Federführung herausgefunden, indem es FDX1 mit modernsten molekularen Werkzeugen untersuchte. Dabei stellte sich auch heraus, dass ein potenzielles Krebsmedikament anders wirkt als bisher gedacht. Das Team berichtet im Fachblatt „Nature Chemical Biology“ über seine Ergebnisse.

    Ferredoxin-Proteine übernehmen den Elektronentransport bei Energieumwandlungen, etwa bei der Zellatmung und bei der Photosynthese. „Die Bedeutung der Ferredoxine beim Menschen zeigt sich in schweren genetischen Erkrankungen wie mitochondrialer Myopathie und sensorischen Neuropathien“, erläutert der Marburger Zellforscher Professor Dr. Roland Lill, der die Forschungsarbeiten leitete.

    Die beiden Ferredoxine des Menschen, FDX1 und FDX2 beschränken sich strikt auf je eigene, unterschiedliche Substrate, mit denen sie arbeiten. Während die Aufgabe von FDX1 bei der Erzeugung von Steroidhormonen schon seit 1967 bekannt ist, studierte Lill mit seiner Arbeitsgruppe seit Jahren die Struktur und Funktion des verwandten FDX2. Nach und nach zeigte das Team, dass FDX2 an zwei Schritten der Herstellung von Eisen-Schwefel-Clustern beteiligt ist, ohne die zahlreiche lebenswichtige Enzyme nicht funktionieren.

    Nunmehr nahm sich die Gruppe um Lill das andere Ferredoxinprotein FDX1 vor, um zu überprüfen, ob es ebenfalls etwas mit der Bildung von Eisen-Schwefel-Clustern zu tun hat. Das Team nutzte die zielgenaue Veränderung der DNA mittels CRISPR-Cas9, um das FDX1-Gen auszuschalten. „Überraschenderweise wiesen die betroffenen Zellen einen starken Wachstumsdefekt auf“, berichtet Lill. „Zwar erwies sich die Eisen-Schwefel-Proteinbiogenese dieser Zellen ohne FDX1 als absolut normal“, ergänzt Mitverfasser Dr. Oliver Stehling aus Lills Labor. „Aber wir fanden heraus, dass die Zellen nicht in der Lage sind, Liponsäure herzustellen, einen wichtigen Faktor, der für etliche Aufgaben der Mitochondrien gebraucht wird, zum Beispiel für den Zitronensäurezyklus.“ Aufgrund der fehlenden Liponsäure funktioniert die Zellatmung nicht mehr, was die Wachstumsstörungen erklärt.

    Weitere Untersuchungen galten dem verheißungsvollen Krebshemmer Elesclomol. „Wir fanden heraus, dass der Wirkstoff sich nicht, wie behauptet, gegen FDX1 richtet, sondern stattdessen die Liponsäuresynthase beeinflusst“, sagt Lills Mitarbeiter Dr. Vinzent Schulz, der Erstautor der Studie.

    Worauf beruhen nun die auffälligen Vorlieben der beiden Ferredoxine für ihr jeweiliges Ziel-Substrat? Wie die Gruppe feststellte, geht die Substratspezifität auf kurze unterschiedliche Abschnitte der Aminosäure-Sequenz der beiden Proteine zurück. „Diese feinen strukturellen Details liefern den Grund dafür, dass sich FDX1 und FDX2, trotz ihrer großen Ähnlichkeit, so deutlich hinsichtlich ihrer Reaktivität unterscheiden“, führt Lill aus. „Wir konnten sogar die Spezifität der beiden Proteine umdrehen, indem wir diese kleinen Stücke zwischen den beiden Ferredoxinen austauschten.“

    Professor Dr. Roland Lill leitet das Institut für Zytobiologie und Zytopathologie der Philipps-Universität und gehört dem Marburger „LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie“ an und amtiert als Vizepräsident der Von Behring-Röntgen-Stiftung. Der Biochemiker ist Träger des Leibnizpreises, des am höchsten dotierten deutschen Wissenschaftspreises; die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert Lills Arbeit derzeit durch das Reinhard-Koselleck-Programm, das besonders wagnisreiche Forschungsprojekte unterstützt.

    An der Publikation beteiligten sich neben Lills Arbeitsgruppe und dem Chemiker Professor Dr. Lars-Oliver Essen von der Philipps-Universität Marburg auch Wissenschaftler der Universitäten in Grenoble sowie Pennsylvania in den USA. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das europäische COST-Programm und weitere Fördereinrichtungen unterstützten die Forschungsarbeit finanziell.

    Originalveröffentlichung: Vinzent Schulz & al.: Functional spectrum and specificity of mitochondrial ferredoxins FDX1 and FDX2, Nature Chemical Biology 2022, DOI: 10.1038/s41589-022-01159-4, URL: https://www.nature.com/articles/s41589-022-01159-4

    Weitere Informationen:
    Ansprechpartner: Professor Dr. Roland Lill,
    Institut für Zytobiologie und Zytopathologie
    Tel.: 06421 28 66449
    E-Mail: lill@staff.uni-marburg.de


    Bilder

    Die Arbeitsgruppe von Roland Lill (vordere Reihe, 4. von rechts) studiert, wie und wozu Eisen-Schwefel-Proteine in Zellen entstehen.
    Die Arbeitsgruppe von Roland Lill (vordere Reihe, 4. von rechts) studiert, wie und wozu Eisen-Schwef ...
    Foto: Martin Stümpfig
    Das Bild darf nur für die Berichterstattung über die zugehörige wissenschaftliche Veröffentlichung verwendet werden.


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Die Arbeitsgruppe von Roland Lill (vordere Reihe, 4. von rechts) studiert, wie und wozu Eisen-Schwefel-Proteine in Zellen entstehen.


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