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05.09.2023 12:34

ERC Starting Grant für Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin

Christine Xuan Müller Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Europäischer Forschungsrat fördert Dr. Lukas Hakelberg mit über 1,4 Millionen Euro für Forschungsprojekt zur Entstehung von Steueroasen im Globalen Süden

    Der Politikwissenschaftler Dr. Lukas Hakelberg vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem ERC Starting Grant gefördert. Für sein auf fünf Jahre angelegtes Forschungsprojekt mit dem Titel „The Whiteness of Wealth Management: Colonial Economic Structure, Racism, and the Emergence of Tax Havens in the Global South“ (WOWMA) wird der Politologe mit über 1,49 Millionen Euro gefördert. Lukas Hakelberg will in einem noch nie dagewesenen Umfang die politische und wirtschaftliche Entwicklung kleiner, tropischer Inselstaaten untersuchen. Gleichzeitig prüft er, inwieweit rassistische Vorurteile Investor:innen dazu veranlasst haben, von weißen Oligarchien regierte Länder als Steueroasen zu bevorzugen.

    „Tropische Inseln werden oft als ‚Steueroasen‘ stigmatisiert. Aber nur wenige tropische Inseln sind tatsächlich wichtige Exporteure von Finanzdienstleistungen. Dies ist überraschend, da viele von ihnen Eigenschaften aufweisen, die die Wirtschaftswissenschaft mit ‚Steueroasen‘ in Verbindung bringt: Sie sind klein, innenpolitisch souverän, von den großen Finanzzentren innerhalb weniger Stunden erreichbar und praktizieren britisches Gewohnheitsrecht“, erklärt Lukas Hakelberg. Im WOWMA-Projekt will er unter anderem der Frage nachgehen, warum dennoch nur wenige solcher Inselstaaten die Gewährung von Steuervorteilen als Entwicklungsstrategie nutzen konnten?

    Allgemein wird davon ausgegangen, dass die politische Stabilität - die oft mit modernen Indikatoren für gute Regierungsführung gemessen wird - den Unterschied ausmache. „Die Wahrnehmung von politischer Stabilität durch ausländische Investoren ist jedoch mit rassistischen Vorurteilen verwoben“, betont der Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin. Frühere Untersuchungen hätten gezeigt, dass tropische Inseln ihr britisches Erbe betonen mussten, um während der Dekolonisierung für ausländisches Kapital attraktiv zu bleiben. Britische Symbolik signalisierte in diesem Zusammenhang fortwährende politische Kontrolle durch weiße Oligarchien.

    Das Ziel von WOWMA ist es zu erklären, warum einige tropische Inselstaaten in der Lage waren, politische Stabilität durch ein Bild des Weißseins zu vermitteln. Frühere Forschungen analysierten vor allem die Rechtsstaatlichkeit tropischer Inselstaaten. Das WOWMA-Projekt geht hingegen der Hypothese nach, dass die landwirtschaftliche Eignung darüber bestimmt, welche Inselstaaten sich zu Steueroasen entwickelt haben und welche nicht.
    Auf Inseln mit hoher landwirtschaftlicher Eignung führten die Kolonialregime Plantagenwirtschaft ein. Sklavenarbeit und hohe Nachfrage nach Zucker und Baumwolle in Europa machten dieses Geschäftsmodel hochprofitabel, was die spätere Einführung von Einkommensteuern durch die Kolonialverwaltung begünstigte. Gleichzeitig wurden die von Plantagenwirtschaft geprägten Inseln früher unabhängig, da die Ausbeutung der schwarzen Mehrheitsbevölkerung dort eine Gegenbewegung erzeugte, die mächtige Gewerkschaften hervorbrachte. Aus den Gewerkschaften entstanden in den 30er und 40er Jahren schließlich politische Parteien, die politische Rechte durchsetzten und die Unabhängigkeit forderten.

    Inseln mit niedriger landwirtschaftlicher Eignung wurden von der Kolonialverwaltung hingegen meist sich selbst überlassen. Hier betrieben Siedler Subsistenzwirtschaft, die auf dem Anbau von Nutzpflanzen, Fischerei und der Ausbeutung von Schiffswracks basierte. Ohne Profite lohnte sich die Einführung von Einkommensteuern nicht. Zudem entstand keine Arbeiterklasse, die durch Gewerkschaften und politische Parteien hätte mobilisiert werden können. Somit bestimmten weiße Oligarchien die Regierungsgeschäfte hier weit länger als in den benachbarten von Plantagenwirtschaft geprägten Inseln.

    WOWMA stellt damit eine neue Theorie über die Entstehung von Steueroasen im globalen Süden auf, die die koloniale Wirtschaftsstruktur einer Insel mit dem Fehlen von Einkommenssteuern und dem Fortbestehen einer weißen Oligarchie in Verbindung bringt. Besonders jene Inseln, die politisch weiterhin von weißen Oligarchien kontrolliert wurden und keine Einkommensteuern eingeführt hatten, wurden in den 60er Jahren aus der Perspektive westlicher Investor:innen als Steueroasen attraktiv. Um diese Theorie zu testen, kombiniert das Projekt zwei methodologische Ansätze. Zunächst werden aus Kolonialarchiven gewonnene Originaldaten mit Methoden der kausalen Inferenz statistisch untersucht. Zudem führen die Projektmitglieder Umfrageexperimente durch, in denen vermögende Befragte aus einer Reihe von hypothetischen Länderpaaren immer jenes auswählen müssen, das sie als Standort für ihre Vermögenswerte bevorzugen würden. Hierbei soll geklärt werden, ob die Hautfarbe des Staatsoberhaupts die Entscheidung beeinflusst, rassistische Vorurteile also fortbestehen.

    Lukas Hakelberg ist seit November 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich für Internationale und Vergleichende Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf internationaler, vergleichender und historischer Politischer Ökonomie. Er hat sich in der Vergangenheit unter anderem mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen Staaten erfolgreich gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung vorgehen und welchen Effekt internationale Steuerkooperation auf nationale Steuerpolitiken hat.

    Von September 2016 bis Oktober 2019 war Lukas Hakelberg im Horizont 2020 Projekt „Combatting Fiscal Fraud and Empowering Regulators (COFFERS)“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg beschäftigt. Seine Promotion in Politik- und Sozialwissenschaften hat er im November 2016 am Europäischen Hochschulinstitut (EHI) in Florenz abgeschlossen. Zuvor war er im Referat Mittlerer Osten des Europäischen Auswärtigen Dienstes in Brüssel und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin tätig. Am Otto-Suhr-Institut hat Lukas Hakelberg auch den Masterstudiengang Politikwissenschaft und am Institut d'Études Politiques de Paris (Sciences Po) den Diplomstudiengang Affaires Européennes abgeschlossen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Lukas Hakelberg (PhD EU), Freie Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenshaft, Schwerpunkt Internationale und Vergleichende Politische Ökonomie, Ihnestraße 22, 14195 Berlin, E-Mail: lukas.hakelberg@fu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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