Die Atmosphäre in Europa ist in den letzten Dekaden durch Treibhausgas-Emissionen deutlich trockener geworden im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Dies zeigt eine von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL geleitete internationale Jahrringstudie. Das verschärft Dürren und erhöht die Waldbrandgefahr.
Die Untersuchung von Jahrringdaten bis zurück ins Jahr 1600 zeigt: Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist demnach die Luft über weiten Teilen Europas trockener geworden als im gesamten übrigen Zeitraum - und der Trend hält an. Angesichts der Dürreereignisse in vielen Regionen Europas in den letzten Jahren sei dies bedenklich, so Kerstin Treydte, Erstautorin der Studie in der Fachzeitschrift Nature Geoscience und Forscherin an der WSL.
Ein Mass für die Lufttrockenheit ist das Dampfdruckdefizit (Englisch: vapor pressure deficit, kurz VPD). Diese physikalische Grösse beschreibt den Unterschied zwischen dem tatsächlichen und dem maximal möglichen Wassergehalt der Luft, also sozusagen den „Wasserdurst“ der Luft. Wasserdurstige Luft, also hohes VPD, zieht vermehrt Wasser aus dem Boden und aus Pflanzen, reduziert das Wachstum und kann sogar zum Absterben von Bäumen führen. Die ausgetrocknete Vegetation und die trockenen Böden erhöhen die Waldbrandgefahr. Zwar ist bekannt, dass VPD in einem sich erwärmenden Klima ansteigt. Über die räumliche Ausprägung und langfristige Schwankungen bis in vorindustrielle Zeit ohne menschlichen Einfluss wusste man bisher jedoch noch wenig
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Varianten von Atomen in Jahrringen
Treydte konnte erstmals Veränderungen im VPD grossräumig in Europa über 400 Jahre rekonstruieren. Dafür stellte sie gemeinsam mit einem internationalen Team von 67 Forschenden Daten von Sauerstoff-Isotopen in Jahrringen aus ganz Europa zu einem grossen Netzwerk zusammen. Isotope sind unterschiedlich schwere Varianten eines Atoms, die über das Wasser aufgenommen werden und deren Anteil von Jahrring zu Jahrring schwankt (siehe Box). Die Schwankungen werden zum Grossteil durch das VPD gesteuert. Daher geben Sauerstoff-Isotope in Jahrringen Auskunft über die Lufttrockenheit in der Vergangenheit.
Menschgemacht und am stärksten in Mitteleuropa
Anhand von zusätzlichen Modellsimulationen konnte die Autorenschaft die Erkenntnisse aus den Jahrringdaten testen. Auch die Modelle kommen zum Ergebnis, dass die Lufttrockenheit im 21. Jahrhundert im Vergleich zur vorindustriellen Zeit aussergewöhnlich hoch ist. Darüber hinaus zeigen sie, dass die heutigen VPD-Werte ohne Treibhausgas-Emissionen nicht hätten erreicht werden können. Der Einfluss des Menschen ist also offensichtlich.
Die Kombination aus Jahrringdaten, Modelsimulationen und direkten Messungen legt zudem regionale Unterschiede offen: In Nordeuropa hat der Wasserdurst der Luft im Vergleich zur vorindustriellen Zeit am wenigsten stark zugenommen, weil die Luft dort kühler ist und damit weniger Wasser aufnehmen kann im Vergleich zu südlicheren Regionen. In den zentraleuropäischen Tiefländern und in den Alpen und Pyrenäen hingegen ist der VPD-Anstieg besonders stark, mit höchsten Werten in den Dürrejahren 2003, 2015 und 2018.
Konsequenzen für Wälder und Landwirtschaft
Eine weitere Zunahme des VPD stellt längerfristig eine Bedrohung vieler lebenswichtiger Ökosystemfunktionen dar. «Für die Landwirtschaft hat VPD eine besonders grosse Bedeutung, denn je höher es ist, desto grösser ist der Wasserbedarf der Nutzpflanzen. Mehr Bewässerung wird nötig und die Erträge sinken. Bei Wäldern sind Holzversorgung und Kohlenstoffbindung gefährdet, was zu Unsicherheiten hinsichtlich der Klimaregulierung und der zukünftigen Kohlenstoffspeicherung dieser Ökosysteme führt», sagt Treydte. Gerade in den dichtbesiedelten Regionen Europas sei das schon besorgniserregend und zeige die Dringlichkeit der Emissionsreduzierung und Wichtigkeit der Anpassung an den Klimawandel. «Unsere Erkenntnisse werden dabei helfen, Simulationen künftiger Klimaszenarien zu präzisieren und die potenzielle Bedrohung durch hohes VPD für Ökosysteme, Wirtschaft und Gesellschaft abzuschätzen», so Treydte.
Box: Sauerstoff-Isotope in Jahrringen berichten vom vergangenen Klima
Isotope sind unterschiedlich schwere Varianten von Atomen, die in der Natur vorkommen. Wasser beispielsweise enthält leichte und schwere Varianten von Sauerstoff-Atomen. Bäume nehmen es über die Wurzeln auf, geben einen Teil davon über die Blätter wieder an die Luft ab und nutzen den übrigen Teil zum Aufbau neuer Zellen, z.B. im Holz. Das Verhältnis zwischen leichten und schweren Isotopen verändert sich vom Wasser im Boden bis zur Bildung von Holz. Diese Änderungen werden zum Grossteil durch das VPD gesteuert. So enthalten die Sauerstoffisotope in den Baumringen Informationen über die vergangene und gegenwärtige Lufttrockenheit.
Kerstin Treydte https://www.wsl.ch/de/mitarbeitende/treydte/
Arthur Gessler https://www.wsl.ch/de/mitarbeitende/gessler/
Recent human-induced atmospheric drying across Europe unprecedented in the last 400 years. DOI 10.1038/s41561-023-01335-8, https://www.nature.com/articles/s41561-023-01335-8
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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