Mehrere Hundert Millionen Menschen könnten 2100 in Gebieten leben, in denen das Grundwasser keine Trinkwasserqualität mehr hat
Grundwasser bildet das größte ungefrorene Süßwasserreservoir der Welt und ist für das Leben auf der Erde von entscheidender Bedeutung. Wie sich die globale Erwärmung auf dessen Temperatur auswirkt und was das für Mensch und Natur bedeutet, haben Forscher*innen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) mit Beteiligung der Universität Wien jetzt untersucht. Die Studie zeigt, dass bis zum Jahr 2100 voraussichtlich zwischen 77 und 188 Millionen Menschen in Gebieten leben werden, in denen das Grundwasser den höchsten von einem Land festgelegten Grenzwert für die Trinkwassertemperatur überschreitet. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in Nature Geoscience.
Das Klimasystem erwärmt sich. Grund dafür ist die erhöhte Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre, welche Wärmeabstrahlung einschränken. Einen großen Teil dieser Wärme nehmen die Ozeane auf, aber auch Böden und das Grundwasser wirken als Wärmesenken. Bisher ist jedoch wenig darüber bekannt, wie sich diese Erwärmung der Erdoberfläche räumlich und zeitlich auf das Grundwasser auswirkt. "Um die Lücke zu schließen, haben wir die prognostizierten Veränderungen der Grundwassertemperatur bis zum Jahr 2100 auf globaler Ebene dargestellt", sagt Susanne Benz vom Institut für Photogrammetrie und Fernerkundung (IPF) des KIT. "Wir stellen globale Temperaturkarten für Grundwasser in Tiefen von fünf und 30 Metern unter der Erdoberfläche zur Verfügung. Diese zeigen, dass an Orten mit flachem Grundwasserspiegel und/oder hoher atmosphärischer Erwärmung weltweit die höchsten Grundwassererwärmungsraten zu erwarten sind."
Die Forschenden beziehen sich auf die Klimaszenarien "SSP 245" und "SSP 585". Solche Szenarien beschreiben verschiedene sozioökonomische Entwicklungen sowie unterschiedliche Verläufe des atmosphärischen Treibhausgasgehalts in der Zukunft. SSP 245 stellt dabei etwa die Mitte der möglichen zukünftigen Treibhausgasentwicklungen dar, SSP 585 den oberen Rand.
Millionen Menschen von zu warmem Trinkwasser betroffen
Die Studie zeigt, dass die Grundwassertemperaturen bis zum Jahr 2100 um 2,1 Grad nach SSP 245 und um 3,5 Grad nach SSP 585 ansteigen werden. Ist das Grundwasser zu warm, kann es nicht bedenkenlos getrunken werden, sondern muss etwa abgekocht werden – davon sind heute schon ca. 30 Millionen Menschen betroffen. Die neue Studie zeigt nun, dass diese Zahl drastisch ansteigen kann: Nach SSP 245 steigt die Zahl auf 76 bis 188 Millionen Menschen, nach SSP 585 auf 59 bis 588 Millionen an, so die Studie. Die starken Schwankungen hängen mit der räumlichen Variabilität des Klimawandels und der Tiefe des Grundwasserspiegels zusammen. Die geringsten Erwärmungsraten prognostizieren die Forschenden für Gebirgsregionen wie die Anden oder die Rocky Mountains.
Temperaturänderungen beeinflussen Ökosysteme
Die Folgen sind allerdings noch viel weitereichender, denn Grundwasser ist nicht nur Trinkwasserquelle für Menschen, sondern auch Lebensraum. Der Grundwasserökologe Christian Griebler von der Universität Wien forscht zur biologischen Vielfalt in Grundwasserökosystemen und zu damit zusammenhängenden Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufen. Erwärmt sich das Grundwasser, sind Mikroorganismen aktiver und Tiere atmen schneller. Als Resultat wird der verfügbare Sauerstoff schneller verbraucht und das ganze System gerät so aus dem Gleichgewicht.
"Ohne Sauerstoff gibt es kein höheres Leben und der Verlust führt zu dramatischen Veränderungen bei den mikrobiologischen Prozessen", erklärt Griebler. "Bei Sauerstoffmangel kommt es zu sogenannten anaeroben Atmungsprozessen von Bakterien. Dabei entstehen gelöstes Eisen und Mangan, Schwefelwasserstoff oder Methan. Das beeinträchtigt die Grundwasserqualität drastisch, es kann nicht mehr ohne weiteres als Trinkwasser genutzt werden bzw. nur nach sehr teurer Aufbereitung." Unter sauerstofffreien Bedingungen werden auch Schwermetalle und Nährstoffe mobilisiert die im Sediment festgelegt waren, wie etwa Arsen und Phosphor. Diese Gefahr sieht Griebler vor allem dort, wo Sauerstoffkonzentrationen im Grundwasser bereits jetzt schon sehr niedrig sind, wie beispielsweise unter großen Städten; auch Wien ist ein solches Beispiel.
Zudem beeinflusst wärmeres Grundwasser den Temperaturhaushalt von Flüssen und anderen grundwasserabhängige Ökosystemen. Viele Fischarten, insbesondere der Lachs, sind von den veränderten Bedingungen betroffen. Laichplätze in Flüssen, die auf das zuströmende kalte Grundwasser angewiesen sind, könnten durch die Erwärmung zu warm werden und so die erfolgreiche Fortpflanzung gefährden. Dies stellt eine Herausforderung für die biologische Vielfalt dar und birgt zudem das Risiko, dass sich Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe empfindlich verändern.
"Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, Maßnahmen zum Schutz der Grundwasserressourcen zu ergreifen und nachhaltige Lösungen zu finden, um den negativen Auswirkungen des Klimawandels auf das Grundwasser entgegenzuwirken", appelliert Benz. "Eine wichtige Stellschraube beim Schutz von Grundwasser ist die Landnutzung. In städtischen Bereichen und unter großflächig versiegelten Oberflächen, liegt die Grundwassertemperatur im Durchschnitt um mindestens 2°C höher als in Bereichen mit unversiegelten Böden. Keine weitere Bodenversiegelung und eine Entsiegelung sind wichtige Maßnahmen zum Schutz des Grundwassers", so Griebler.
Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Griebler
Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie, Universität Wien
1030 Wien, Djerassiplatz 1
T +43-1-4277-76416
christian.griebler@univie.ac.at
www.univie.ac.at
Susanne A. Benz, Dylan J. Irvine, Gabriel C. Rau, Peter Bayer, Kathrin Menberg, Philipp Blum, Rob C. Jamieson, Christian Griebler, Barret L. Kurylyk: Global groundwater warming due to climate change. Nature Geoscience, 2024.
DOI: 10.1038/s41561-024-01453-x
https://www.nature.com/articles/s41561-024-01453-x
https://medienportal.univie.ac.at/media/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/a...
Prozesse und Auswirkungen die mit einer Erwärmung des Grundwasses im Zusammenhang stehen
C: UMCES IAN Media Library, Dylan Irvine, Springer Nature Journals
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Geowissenschaften, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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