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23.07.2004 16:57

Zum 75. Todestag von Paul Flechsig

Dr. Bärbel Adams Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Vor 75 Jahren, am 22. Juli 1929, verstarb Paul Emil Flechsig, der langjährige Ordinarius für Psychiatrie an der Universität Leipzig und "nach Wernicke ... originellste unter den Hirnforschern der Neuzeit" (Henneberg) in Leipzig. Mit seinen bahnbrechenden Arbeiten zur Anatomie des Gehirns, die längst zu den Klassikern in der Medizin gehören, ist Flechsig zu Recht zu den "Vätern der Neuroanatomie" gerechnet worden.

    Flechsig wurde am 29. Juni 1847 in Zwickau geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er von 1865 bis 1870 Medizin in Leipzig, u.a. bei den Gebrüdern Weber und bei Carl Ludwig, der früh seine Begabung erkannte und sein lebenslanger Förderer wurde. 1873 betraute ihn Carl Ludwig mit der Leitung der histologischen Abteilung am Physiologischen Institut. Nach seiner Habilitation 1875 wurde er, der bis dahin keine nachweisbare Berührung mit der Psychiatrie gehabt hatte, auf Empfehlung des Internisten Kußmaul und auf Betreiben Carl Ludwigs auf den in Leipzig zu gründenden Lehrstuhl für Psychiatrie berufen und mit dem Aufbau der neuen Nervenklinik beauftragt. Gleichzeitig erhielt er von der Fakultät Urlaub, um sich an den wichtigsten europäischen Kliniken auf seine klinische Tätigkeit vorzubereiten. Ludwig soll zu dieser auch für die damaligen Verhältnisse Aufsehen erregenden und ungewöhnlichen Berufung geäußert haben: "... von der Psyche wissen die Psychiater nichts, Flechsig weiß wenigstens etwas vom Gehirn!". 1884 wurde Flechsig zum Ordinarius für Psychiatrie berufen und war in dieser Funktion bis 1921 tätig. In den Jahren 1894/95 war er Rektor der Universität Leipzig.

    Obwohl Flechsig die Aufgaben als Direktor der Klinik gewissenhaft und durchaus erfolgreich wahrnahm, gehörte sein Herz und seine Lebensarbeit der Hirnforschung. Bereits als Assistent am pathologischen Institut war Flechsig bei der Sektion eines totgeborenen Kindes die zeitlich unterschiedliche Entwicklung der Markscheiden (Myelinhülle) im Gehirn aufgefallen. Er erkannte sofort die grundlegende Bedeutung dieser Beobachtung, die zur Grundlage seiner gesamten späteren hirnanatomischen Forschung wurde. Indem er in seinem "Myelogenetischen Grundgesetz" nachweisen konnte, dass die Nervenfasern einer definierten Leitungsbahn ihre Myelinhülle gleichzeitig, andere Fasersysteme aber in gesetzmäßiger Reihenfolge zeitlich versetzt entwickeln, hatte er zum ersten Mal eine verlässliche Methode gefunden, Ursprung und Verlauf der Nervenfasern im Gehirn durch die histologische Analyse der Entwicklung der Myelinhülle der einzelnen Leitungsbahnen zu bestimmen. In jahrzehntelanger Arbeit untersuchte Flechsig die unterschiedlichen Faserzüge des Rückenmarkes (der tractus spinocerebellaris dorsalis wurde lange Zeit nach ihm genannt), und des Gehirns. Er charakterisierte Ursprung und Verlauf der Pyramidenvorderstrangbahn, den Verlauf der zentrale Hörbahn und viele weitere Fasersysteme, deren Bezug zum Namen Flechsig heute kaum noch bekannt ist. In mühevoller Arbeit war er bis zuletzt dabei, eine myelogenetische Gliederung der Hirnrinde zu erstellen. Dabei unterschied er jene Rindenfelder, welche schon vor der Geburt reifen und mit den Sinnessphären verbunden sind von jenen corticalen Gebieten, die keine direkte Verschaltung mit den Sinnessphären mehr zeigen und die er "Assoziationszentren" nannte. In ihnen wollte er die höheren Gehirnleistungen lokalisiert wissen. Flechsig war dabei fest davon überzeugt, dass alle seelischen Vorgänge direkt Erzeugnisse des Gehirns seien und durch die exakte neuroanatomische Analyse untersuch- und aufklärbar seien. In seiner Rektoratsrede von 1894 "Gehirn und Seele", die ihn auch außerhalb seines Fachgebietes bekannt und berühmt machte, fasst er diese Gedanken zum ersten Mal zusammen.

    Flechsig's Lokalisations- und Erklärungsversuche der höheren Hirnfunktionen auf dem Boden seiner neuroanatomischen Analysen, schon zu seinen Lebzeiten heftig umstritten, waren dem Zeitgeist verhaftet und hatten keinen Bestand. Geblieben aber ist sein großer Beitrag zur Erforschung der Struktur des Gehirns, mit dem er dazu beigetragen hat, die Grundlagen für die faszinierende Entwicklung der modernen Neurowissenschaften zu legen.

    Volker Bigl


    weitere Informationen:
    Prof. Dr. Volker Bigl
    Telefon: o341 97 25 700
    E-Mail: bigl@medizin.uni-leipzig.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-leipzig.de/~pfi/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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