idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
20.02.2025 08:51

Neue Erkenntnisse zu Mechanismen der Spracherholung nach Schlaganfall

Ulf Walther Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Eine aktuelle Studie zeigt, wie sich das Gehirn in den ersten Monaten nach einem Schlaganfall reorganisiert, um das Sprachvermögen wieder zu verbessern. Die Erkenntnisse helfen, die Funktionsweise von funktionellen Netzwerken im Gehirn besser zu verstehen. Sie bergen zudem das Potential, in weiterer Zukunft in der personalisierten Therapie nach einem Schlaganfall zum Einsatz zu kommen. Das haben Forschende des Wilhelm-Wundt-Instituts für Psychologie der Universität Leipzig, des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, des Universitätsklinikums Leipzig und der Universität Cambridge herausgefunden. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift BRAIN veröffentlicht.

    Es ist ein Alptraum: Man erleidet einen Schlaganfall und kann sich danach nicht mehr richtig verständigen. In vielen Fällen erholt sich das Sprachvermögen bis zu einem gewissen Grad in den Tagen und Wochen danach. Denn das Gehirn versucht selbstständig, stimuliert durch eigene Anstrengungen und logopädische Sprachtherapie, das Sprachvermögen soweit möglich wieder herzustellen. Welche Prozesse bei der Spracherholung genau greifen, war bisher nicht bekannt.

    „In unserer Studie haben wir Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten der Universitätsklinik über drei Phasen hinweg untersucht: direkt nach dem Schlaganfall und dann zwei Wochen und ein halbes Jahr danach“, erläutert Autorin Prof. Dr. Gesa Hartwigsen vom Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig und vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Während frühere Studien sich auf die Aktivität „klassischer“ Sprachzentren im Gehirn konzentrierten, gingen die Autor:innen der vorliegenden Studie einen Schritt weiter: Sie untersuchten erstmals die Interaktionen zwischen verschiedenen Hirnbereichen, Areale genannt, auf Netzwerkebene. „Denn an Sprache sind viele Hirnareale beteiligt, die funktionelle Netzwerke bilden“, so die Wissenschaftlerin. „Wie genau diese Hirnareale während der Spracherholung zusammenarbeiten und sich gegenseitig beeinflussen, war allerdings noch unklar."

    Schnelle Hilfe durch andere Netzwerkareale

    Die Autor:innen der Studie stellten drei Prinzipien fest: „Erstens erhalten sprachspezifische Netzwerkareale der linken Gehirnhälfte, die durch den Schlaganfall betroffen sind, bereits sehr schnell funktionelle Verstärkung von anderen Netzwerkarealen“, berichtet Hartwigsen. „Diese ‚domänen-allgemeinen‘ Areale sind in beiden Seiten des Gehirns vorhanden und nehmen hier kognitive Stützfunktionen wahr.“ Zweitens, so fanden die Wissenschaftler:innen heraus, „springen die spiegelbildlich angelegten Bereiche der rechten Gehirnhälfte ein, die normalerweise weniger in der Sprachverarbeitung involviert sind als die der durch den Schlaganfall beschädigten linken Seite“, erläutert Dr. Philipp Kuhnke. Diese spiegelbildlich angelegten Bereiche nennt man auch Homologe. „Und drittens konnten wir sehen, dass sich bei der Spracherholung auch die Netzwerkkommunikation zwischen den Spracharealen in der linken Hirnhälfte wieder intensiviert“, so der Wissenschaftler.

    Anpassungsprozesse sind selbst flexibel

    Die funktionellen Anpassungsprozesse zur Wiedergewinnung eingebüßter Sprachkompetenz wandelten sich bei den Patient:innen über mehrere Monate hinweg teils stark. Wie dies geschah, hing unter anderem davon ab, ob sich das vom Schlaganfall beschädigte Gewebe bei Patient:innen im vorderen oder im hinteren Teil der linken Gehirnhälfte befand. Da sich die Verteilung sprachspezifischer Areale bei Rechtshänder:innen und Linkshänder:innen unterscheidet, wurden ausschließlich Rechtshänder:innen untersucht, die einen Schlaganfall in der linken Gehirnhälfte erlitten hatten.

    Insgesamt wurden 51 Proband:innen – 34 Patient:innen sowie 17 gesunde Kontrollproband:innen – an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsklinik Leipzig unter Leitung von Prof. Dr. Dorothee Saur untersucht. Während sich diese mit Sprachaufgaben beschäftigten, wurde ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) gemessen. Anschließend werteten die Forscher:innen die Daten mit einem Modellierungsverfahren aus, das kausale Zusammenhänge berücksichtigt. Das Verfahren erlaubt es, die Richtung der Netzwerkkommunikation zwischen verschiedenen Hirnarealen zu bestimmen. „Durch unsere Methode konnten wir nicht nur feststellen, welche Bereiche gleichzeitig aktiviert sind, sondern auch, welcher Teil welchen anderen in welcher Erholungsphase beeinflusst“, erläutert Dr. Philipp Kuhnke.

    Potential für spätere personalisierte Therapie

    „Die Erkenntnisse bergen das Potential, in Zukunft Patientinnen und Patienten individuell therapieren zu können, etwa mit einer gezielten Neurostimulation“, so Prof. Dr. Gesa Hartwigsen. Doch bis dahin müsse noch weiter geforscht werden, mit noch mehr Proband:innen sowie umfangreicheren und detaillierteren Analysen. Parallel arbeiten die Wissenschaftler:innen daran, Schlüsselfaktoren zu identifizieren, mit denen sich eine gute Spracherholung nach einem Schlaganfall bereits kurz nach dem Ereignis prognostizieren lässt.

    Birgit Pfeiffer


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Gesa Hartwigsen
    Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie
    Professorin für kognitive einschließlich Biologische Psychologie
    Telefon: +49 341 97 - 39576
    gesa.hartwigsen@uni-leipzig.de
    https://www.cbs.mpg.de/2038465/hartwigsen

    Dr. Philipp Kuhnke
    Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie
    Wissenschaftlicher Mitarbeiter
    Telefon: +49 341 97-39578
    philipp.kuhnke@uni-leipzig.de
    https://www.lw.uni-leipzig.de/wilhelm-wundt-institut-fuer-psychologie/arbeitsgru...


    Originalpublikation:

    „Dynamic reorganization of task-related network interactions in post-stroke aphasia recovery”, https://doi.org/10.1093/brain/awaf036


    Bilder

    KI-gestützte Versinnbildlichung der Netzwerkkommunikation im menschlichen Gehirn.
    KI-gestützte Versinnbildlichung der Netzwerkkommunikation im menschlichen Gehirn.
    Dr. Philipp Kuhnke
    Mit Verwendung von ChatGPT-4o

    Drei Prinzipien der Netzwerkinteraktion bei der Spracherholung
    Drei Prinzipien der Netzwerkinteraktion bei der Spracherholung
    Dr. Philipp Kuhnke


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    KI-gestützte Versinnbildlichung der Netzwerkkommunikation im menschlichen Gehirn.


    Zum Download

    x

    Drei Prinzipien der Netzwerkinteraktion bei der Spracherholung


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).