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05.03.2025 15:16

HSBI-Forschende entwickeln KI-Anwendung zur Vorhersage von Korrosion an Spundwänden in Häfen und Kanälen

Dr. Lars Kruse Ressort Hochschulkommunikation
Hochschule Bielefeld

    Wie lange hält eine Ufereinfassung im Hafen noch? Im interdisziplinären Forschungsprojekt iRON entwickeln Informatiker und Wasserbauingenieure am Campus Minden der Hochschule Bielefeld eine innovative Anwendung für die Standardisierung der obligatorischen Messungen der Spundwanddicke. Der Clou: Integrierte KI-Methoden helfen, die natürliche Korrosion der Spundwände zu überwachen und den Zeitpunkt nötiger Reparaturen vorherzusagen. Die drei größten deutschen Seehäfen unterstützen das Projekt: Rostock Port GmbH, Hamburg Port Authority AöR und bremenports GmbH. Außerdem ist mit Arcelor Mittal Commercial RPS auch ein renommierter Spundwandhersteller Partner des Projekts.

    Minden (hsbi). Vorsichtig häufelt Sarah Flohr weißes Pulver auf einen Messlöffel und steuert die Öffnung eines Erlenmeyerkolbens an. Ein kleiner Wackler, doch der größte Teil des Pulvers landet sicher in der Flüssigkeit. „Ups!“ Die 29-Jährige schmunzelt. „Wasseranalysen gehören nicht gerade zu meinen täglichen Aufgaben.“ Schließlich ist Flohr Informatikerin, ihr geht es eigentlich mehr um die Daten, die bei der Wasseranalyse erhoben werden.

    Im Labor am Campus Minden der Hochschule Bielefeld (HSBI) ist Sarah Flohr an diesem Tag nicht die einzige Informatiker:in. Das gesamte Team des interdisziplinären Forschungsprojekts iRON trifft sich hier zwischen den Reagenzgläsern – und das besteht aus Wasserbauingenieuren und Informatiker:innen. „Damit auch sie eine Idee von der wasserbaulichen Realität hinter den nackten Daten bekommen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Andreas Kahlfeld mit einem Augenzwinkern. Der Professor für Wasser- und Verkehrsbau am Campus Minden hat das Projekt angestoßen: Andreas Kahlfeld engagiert sich in der Arbeitsgruppe „Instandhaltung von Wasserbauwerken“ der Hafentechnischen Gesellschaft e. V. (HTG), die sich unter anderem mit der Überprüfung der Stabilität von Spundwänden beschäftigt. Spundwände bestehen aus gewalztem Stahl und dienen zur Einfassung und Befestigung von Ufern an Kanälen und in Häfen. „Sie stehen im Wasser und sind der natürlichen Korrosion ausgesetzt. Mit der Zeit verlieren sie an Tragfähigkeit“, erklärt der Professor. Kurz: Die Spundwände rosten. Deshalb lassen die Wasserstraßen- und Hafenverwaltungen sie in regelmäßigen Abständen durch Taucher überprüfen, die an verschiedenen Messpunkten die aktuelle Dicke der Wände messen.

    BMBF-Förderung für vier Jahre, Hamburg, Bremen und Rostock an Bord

    Das Problem dabei: „Jede Verwaltung geht individuell vor. Die erhobenen Daten werden in unterschiedlichen Formaten erfasst, in PDF-, Word- oder Exceldateien, zum Teil sogar einfach auf Papier. Das erschwert die anschließende statistische Analyse zur Prognose der weiteren Abrostung enorm“, erläutert Andreas Kahlfeld. Mehr noch: „Umweltbedingungen wurden bis jetzt höchstens ansatzweise erfasst.“ Dabei beeinflussen gerade sie das Korrosionsverhalten der Spundwände, weiß der Wasserbauingenieur: „Je nachdem, wie hoch beispielsweise der Salzgehalt, der pH-Wert oder die Temperatur des Wassers ist, wie tief es ist oder welche Verwirbelungen es etwa durch Schiffsschrauben gibt, rosten die Spundwände schneller oder langsamer.“ Andreas Kahlfeld bittet zum Strömungskanal im Labor, durch den gerade eine kleine Flutwelle rauscht. „Auch der Wellengang wirkt sich aus, er verändert die Lage der Spritzwasserzone und damit das lokale Korrosionsverhalten.“

    Wie also könnten sich die Daten am besten vereinheitlichen und automatisiert analysieren lassen? Informatik-Expertise war gefragt, also zog Andreas Kahlfeld seine HSBI-Kollegin Prof. Dr. Grit Behrens zu Rate, Expertin für Angewandte Informatik am Campus Minden und Software-Spezialistin. Ihr Vorschlag: „Wir entwickeln nicht nur eine Anwendung für die einheitliche Erfassung der Daten, sondern integrieren auch KI-Methoden. So lassen sich nicht nur die komplexen und variablen Umwelt-Parameter einbinden, sondern erstmals auch intelligente Vorhersagen über die zu erwartende Korrosion der Spundwände treffen.“ Das war zugleich die Idee für das gemeinsame, interdisziplinäre Forschungsprojekt iRON. iRON steht für intelligent pRediction of cOrrosioN on sheet pile walls’, also für die intelligente Vorhersage von Korrosion an Spundwänden im Wasserbau. Das interessierte nicht nur das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das eine vierjährige Förderung bewilligte, sondern vor allem die Praktiker: Die Managementgesellschaften der drei größten deutschen Seehäfen in Bremen, Hamburg und Rostock sowie der Spundwandhersteller Arcelor Mittal Commercial RPS stiegen als externe Projektpartner ein.

    Zu wenige und uneinheitliche Daten fürs KI-Training – synthetische Daten als Lösung

    Mit dem Start im vergangenen Jahr hieß es für den Informatik-Part des Projekts zunächst vor allem: Daten sammeln. „Wir machen sie in einem ersten Schritt in einer zentralen Datenbank in einem einheitlichen Excel-Format zugänglich“, sagt Sarah Flohr, die nach Abschluss ihrer Masterarbeit in Informatik an der HSBI als Doktorandin im Projekt arbeitet. „Auf Basis dieser Daten trainieren wir dann unsere KI. Sie soll lernen, welche Parameter sich wie auf die Korrosion auswirken, und dann Schlüsse auf die weitere Entwicklung möglich machen.“ Vor allem für das Training werden so viele Daten wie möglich gebraucht – hier kommen die Projektpartner ins Spiel: „Die Häfen liefern die Messdaten der Spundwandkorrosionen und die gewässerkundlichen Parameter, während der Spundwandhersteller die Ergebnisse seiner Tests mit verschiedenen Stahllegierungen teilt“, erklärt Andreas Kahlfeld. „Und im Sommersemester werden meine Studierenden selbst Daten erheben mit der Analyse von Wasserproben aus dem Mittellandkanal.“

    Den Informatiker:innen ist das allerdings noch nicht genug. „Für ein KI-Training sind es noch zu wenig Daten. Zudem sind sie lückenhaft, weil nicht immer sämtliche Parameter erhoben werden konnten, und die Daten sind unsicher, weil von menschlicher Hand gemessen“, umreißt Sarah Flohr die Herausforderungen. „Nicht zuletzt liegen nur für kurze Zeitreihen Daten vor.“ Heißt: Eine einzelne Spundwand wird nur etwa alle zehn oder gar zwanzig Jahre gemessen, für die Zwischenzeit gibt es keine Daten. Dem wollen die Forschenden mit sogenannten Transfer-Learning- und Few-Shot-Learning-Techniken begegnen: „Für das Training generieren wir synthetische Daten, aus denen die KI lernt, wie Abrostungsdaten aussehen, welche Parameter es gibt und wie sie sich zueinander verhalten. Anschließend trainieren wir sie mit realen Daten nach“, erläutert Flohr den Ansatz. Sie zeigt den Wasserbauingenieuren an ihrem Rechner eine erste Lernkurve der KI. „So können wir auch mit wenigen Daten gute Ergebnisse erzielen.“

    Für die Beurteilung der Datenqualität braucht es aber nach wie vor menschliche Expertise. „Wir kennen uns zwar mit Digitalisierung und Maschinellem Lernen aus, nicht aber mit Wasserbauwerken“, bekennt Grit Behrens. Sind tatsächlich alle relevanten Parameter im Datenmodell erfasst? Sind die gelieferten Daten realistisch und die erzielten Ergebnisse schlüssig? Die Wasserbauingenieur:innen liefern den Input. „Unser Ziel ist eine Anwendung für die Praxis. Sie soll nicht nur den höchsten Ansprüchen der Informatik genügen, sondern auch denen des Wasserbaus“, sagt Grit Behrens. Der Anfang ist gemacht.


    Weitere Informationen:

    https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/ki-anwendung-zur-vorhersage-von-ko... Pressemitteilung auf www.hsbi.de


    Bilder

    Das Forschungsprojekt iRON bietet wissenschaftlichen Hilfskräften wie Michael Nickel die Möglichkeit, ihr theoretisches Wissen in der Praxis zu erproben wie beispielsweise bei der Datensammlung im Hamburger Hafen.
    Das Forschungsprojekt iRON bietet wissenschaftlichen Hilfskräften wie Michael Nickel die Möglichkeit ...

    G. Behrens

    Am Strömungskanal im Wasserbaulabor auf dem Campus Minden lässt sich nachvollziehen, mit welchen Kräften Wasser auch auf Spundwände wirkt.
    Am Strömungskanal im Wasserbaulabor auf dem Campus Minden lässt sich nachvollziehen, mit welchen Krä ...

    G. Behrens


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Bauwesen / Architektur, Informationstechnik, Verkehr / Transport, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

    Das Forschungsprojekt iRON bietet wissenschaftlichen Hilfskräften wie Michael Nickel die Möglichkeit, ihr theoretisches Wissen in der Praxis zu erproben wie beispielsweise bei der Datensammlung im Hamburger Hafen.


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    Am Strömungskanal im Wasserbaulabor auf dem Campus Minden lässt sich nachvollziehen, mit welchen Kräften Wasser auch auf Spundwände wirkt.


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