Die goldgelbe Vergilbung der Rebe, eine unter Winzerinnen und Winzern gefürchtete Rebenkrankheit, breitet sich nicht nur in den Weinbergen aus. Eine gemeinsame Studie der Eidg. Forschungsanstalt WSL und Agroscope zeigt, dass verwilderte Weinreben und bestimmte Insekten im Wald zur Verbreitung beitragen.
Ein Glas Merlot aus dem Tessin – ein Genuss, den viele zu schätzen wissen. Den Winzerinnen und Winzern im Tessin bereitet jedoch eine Rebenkrankheit namens Goldgelbe Vergilbung (GGV) zunehmend Sorge. Der Erreger ist ein Phytoplasma, ein Bakterium ohne Zellwand, das durch ein Insekt, die Amerikanische Rebzikade Scaphoideus titanus, auf Reben übertragen wird. Diese sterben mit der Zeit ab (siehe Box).
Auch der Wald ist eine Infektionsquelle
Lange galt die Krankheit und ihr Management als rein landwirtschaftliche Angelegenheit und wurde von Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, untersucht. Dann bemerkten die Forschenden, dass auch der angrenzende Wald eine Rolle spielt. Denn immer wieder entweichen Rebstöcke aus ungepflegten Rebbergen – etwa, weil eine Nachfolge fehlt. Mit der Zeit können diese brachliegenden Weinberge zu Wald werden. Die Kletterpflanzen ranken sich dann an Waldbäumen hoch und sind ein potenzielles Krankheitsreservoir für die goldgelbe Vergilbung, welchem bis vor kurzem kaum Beachtung geschenkt wurde.
Deshalb begannen WSL und Agroscope im Jahr 2016 eine Forschungszusammenarbeit. Auf 13 verschiedenen Testflächen mit verwilderten Weinreben sammelten die Forschenden Rebenblätter und Insekten. Sie testeten im Labor, ob das betreffende Phytoplasma anwesend war und verglichen die genetischen Eigenschaften der Erreger von verwilderten Weinreben mit jenen von kultivierten Reben in Weinbergen.
Bekämpfung in Weinbergen genügt nicht
Es zeigte sich, dass verwilderte Weinreben ähnliche Infektionen wie kultivierte Weinreben erleiden können. Zudem waren die Krankheitserreger auf verwilderten und kultivierten Weinreben genetisch identisch. «Dies untermauert die Befürchtung, dass auch der Wald ein Infektionsreservoir ist, weil die Rebzikaden den Erreger zwischen Weinbergen und Wald hin und her tragen», sagt der WSL-Projektleiter Marco Conedera. Damit wird deutlich, warum die bisherige Bekämpfung der Rebzikade mit Insektiziden, das Entfernen infizierter Reben und der Einsatz von zertifiziert erregerfreien Reben in Weinbergen nicht ausreichte, um die Verbreitung in Weinbergen in unmittelbarer Nähe von Wäldern zu stoppen.
Ein weiteres Forschungsergebnis war, dass neben der Amerikanischen Rebzikade auch weitere Insekten – unter anderem die ebenfalls eingeschleppte Orientzikade Orientus ishidae – Träger des Phytoplasmas sind und die Krankheit potenziell zwischen Wald und Weinbergen übertragen könnten. Dies macht die Verbreitungswege der Krankheit noch komplexer.
«Jetzt ist es wichtig, dass gehandelt wird», betont Conedera. Die verwilderten Weinreben könnten dazu beitragen, dass sich die Krankheit in bisher nicht betroffene Regionen verbreitet. «Es braucht dringend Massnahmen zur Vorbeugung und Früherkennung in den anderen Weinbauregionen der Schweiz», sagt Conedera. Dazu brauche es nicht zwingend Insektizide. Auch bestimmte Formen der Landschaftspflege, wie das komplette Entfernen von verwilderten Weinreben könnten vorbeugend sehr effektiv sein.
In der nächsten Phase des Forschungsprojekts wollen die Forschenden mehr über diese potenziellen Krankheitsüberträger herausfinden und zudem untersuchen, ob die Schweizer Winzerinnen und Winzer bereit sind für solche vorbeugenden Bekämpfungsmassnahmen.
Infobox: Eigenschaften der goldgelben Vergilbung
Das Phytoplasma (Candidatus Phytoplasma vitis) ist massgeblich an der Entstehung der goldgelben Vergilbung in Weinreben beteiligt. Deshalb ist das Phytoplasma in der Schweiz und der Europäischen Union als Quarantäneorganismus eingestuft. Die GGV wurde erstmals in Frankreich in den 1950er Jahren beobachtet und in der Schweiz wurden die ersten infizierten Rebstöcke 2004 im Tessin gefunden. Seitdem hat sich die Krankheit auf fast die ganze Rebbaufläche südlich der Alpen ausgebreitet. Mittlerweile ist die GGV auch in den Kantonen Wallis, Waadt und Genf angekommen. Der Rest der Schweiz ist noch GGV-frei.
Bei der Krankheitsübertragung saugt die eingeschleppte Amerikanische Rebzikade Pflanzensaft von infizierten Reben, nimmt dabei den Erreger auf und gibt ihn an andere Reben weiter. In Weinbergen können so einzelne erkrankte Reben schnell zu Epidemien führen. Als obligatorische Kontrollmassnahmen werden Insektizide eingesetzt und infizierte Reben entfernt.
Dr. Marco Conedera
Senior Scientist WSL Cadenazzo
marco.conedera@wsl.ch
+41 91 821 5232
Attilio Rizzoli
Agroscope
attilio.rizzoli@agroscope.admin.ch
Oggier A., Conedera M., Debonneville C., Schumpp O., Rizzoli A. (2024) Gone-wild grapevines in forests host phytoplasma genotypes linked to grapevine's flavescence dorée epidemics in cultivated vineyards and competent vectors. J. Plant Pathol. 106, 1537-1548. https://doi.org/10.1007/s42161-024-01775-0
https://www.wsl.ch/de/news/sind-verwilderte-weinreben-eine-gefahr-fuer-den-weinb...
Bei infizierten Weinreben schrumpfen und verwelken oft die Trauben an der Rebe.
(Foto: Agroscope)
Alan Oggier (WSL) beim Ersetzen einer Insektenfalle an einer verwilderten Weinrebe.
(Foto: Attilio Rizzoli, Agroscope)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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