Auf der Grundlage neuer Beobachtungen mit dem ALMA-Teleskop in Chile haben Wissenschaftler*innen die bisher genaueste Kartierung dreier Regionen in der zentralen molekularen Zone der Milchstraße erstellt, die wertvolle Informationen über die Sternentstehung in dieser Region liefert / Veröffentlichung in „Astronomy & Astrophysics“
In den vergangenen Jahrzehnten haben Astronom*innen Hunderte von protoplanetaren Scheiben entdeckt – Strukturen, die vermutlich die frühen Stadien unseres eigenen Sonnensystems abbilden. Die meisten dieser Scheiben befinden sich in unserer Nähe und spiegeln wahrscheinlich nicht die extremen Bedingungen wider, die in anderen Teilen der Milchstraße herrschen. Eine der dynamischsten und turbulentesten Regionen ist die zentrale molekulare Zone (Central Molecular Zone – CMZ) in der Nähe des Galaktischen Zentrums der Milchstraße. Der dort vorherrschende hohe Druck und eine hohe Dichte führen zu einer grundlegend anderen Art der Stern- und Planetenentstehung. Die Erforschung protoplanetarer Systeme in der CMZ bietet die einzigartige Möglichkeit, bestehende Theorien zur Entstehung von Sonnensystemen zu testen und zu präzisieren.
Ein internationales Team von Forscher*innen des Kavli-Instituts für Astronomie und Astrophysik der Universität Peking (KIAA, PKU), des Shanghai Astronomical Observatory (SHAO) und des Instituts für Astrophysik der Universität zu Köln hat zusammen mit mehreren Kooperationspartnern die bisher genaueste und umfassendste Untersuchung mit der höchsten Auflösung von drei repräsentativen Molekülwolken in der CMZ der Milchstraße durchgeführt. Ihre Beobachtungen zeigen über fünfhundert dichte Molekülwolkenkerne: die Geburtsstätten von Sternen. Die Studie wurde unter dem Titel „Dual-band Unified Exploration of three Central Molecular Zone Clouds (DUET). Cloud-wide census of continuum sources showing low spectral indices“ im Fachjournal Astronomy & Astrophysics veröffentlicht.
Es ist eine große Herausforderung, solche Systeme in der CMZ ausfindig zu machen, da sie weit entfernt, schwach und umhüllt von dicken Schichten interstellaren Staubs sind. Mithilfe des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in der chilenischen Atacama-Wüste gelang es dem Forschungsteam, diese Systeme zu untersuchen. ALMA ist ein interferometrisches Teleskop, das Signale von über mehrere Kilometer verteilten Antennen kombiniert und somit eine außergewöhnliche Winkelauflösung erreicht. „Damit können wir Strukturen auflösen, die bei Entfernungen von circa 17 Milliarden astronomischen Einheiten – so weit weg ist die CMZ –, lediglich tausend astronomische Einheiten groß sind“, sagt Professor Xing Lu, Forscher am Shanghai Astronomical Observatory und Leiter des ALMA-Beobachtungsprojekts.
Durch die Neukonfiguration des Arrays und die Beobachtung bei mehreren Frequenzen führte das Team sogenannte Dual-Band-Beobachtungen durch, wobei zwei verschiedene Wellenlängen mit derselben räumlichen Auflösung erfasst werden. So wie das menschliche Auge auf Farbkontraste angewiesen ist, um seine Umgebung wahrzunehmen, liefert die Dual-Band-Bildgebung wichtige spektrale Informationen über die Temperatur, die Staubeigenschaften und die Struktur dieser entfernten Systeme.
Zu ihrer Überraschung stellten die Forscher*innen fest, dass mehr als siebzig Prozent der dichten Kerne deutlich röter erschienen als erwartet. Nachdem sie Beobachtungsfehler und andere mögliche Erklärungen ausgeschlossen hatten, stellten sie zwei mögliche Erklärungen auf, die beide auf eine weite Verbreitung protoplanetarischer Scheiben hindeuten.
„Wir waren erstaunt, diese kleinen roten Punkte überall in der Molekülwolke zu entdecken“, sagt Erstautor Fengwei Xu, der derzeit am Institut für Astrophysik der Universität zu Köln im Rahmen seiner Doktorarbeit forscht. „Sie geben uns Aufschluss über die versteckten Eigenschaften von dichten Sternentstehungskernen.“
Eine mögliche Erklärung ist, dass es sich bei diesen Kernen entgegen früheren Annahmen nicht um transparente, homogene Kugeln handelt. Stattdessen könnten sie kleinere, optisch dickere Strukturen enthalten, möglicherweise protoplanetare Scheiben, deren Selbstabsorption bei kürzeren Wellenlängen zu der beobachteten Rötung führt. „Dies stellt unsere ursprüngliche Annahme von kanonisch dichten Kernen in Frage“, sagt Professor Ke Wang, der Betreuer von Fengwei Xu’s Doktorarbeit am Kavli-Institut.
Eine andere Möglichkeit ist das Wachstum von Staubkörnern in diesen Systemen. „Im diffusen interstellaren Medium sind Staubkörner in der Regel nur wenige Mikrometer groß“, erklärt Professor Hauyu Baobab Liu vom Fachbereich Physik der Sun-Yat-sen-Nationaluniversität, der für die Modellierung des Strahlungstransfers in der Studie verantwortlich war. „Unsere Modelle deuten jedoch darauf hin, dass einige Kerne millimetergroße Körner enthalten könnten, die sich nur in protoplanetaren Scheiben bilden und dann möglicherweise durch protostellare Ausströmungen ausgestoßen werden.“
Unabhängig davon, welches Szenario sich als richtig erweisen wird, setzen beide die Existenz protoplanetarer Scheiben voraus. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich allein in den drei untersuchten CMZ-Wolken bereits über dreihundert solcher Systeme gebildet haben könnten. „Es ist aufregend, dass wir mögliche Vorkommen von protoplanetaren Scheiben im galaktischen Zentrum entdeckt haben. Die Bedingungen dort sind ganz anders als in unserer Nachbarschaft. Wir haben nun die Möglichkeit, die Planetenentstehung in dieser extremen Umgebung zu untersuchen“, sagt Professor Peter Schilke von der Universität zu Köln, der ebenfalls Fengwei Xus Doktorarbeit betreut. Das Kölner Institut für Astrophysik stellte für das Ergebnis Rechenleistung und technische Unterstützung zur Verfügung.
Künftige Multiband-Beobachtungen werden dazu beitragen, die physikalischen Eigenschaften und Entwicklungsstadien der proplanetaren Scheiben weiter einzugrenzen und einen seltenen Einblick in die frühen Prozesse zu gewähren, die Planetensysteme wie das unsere selbst in den entferntesten Winkeln der Milchstraße entstehen lassen.
Fengwei Xu
Institut für Astrophysik, Universität zu Köln
+49 221 470 2309
xufw@ph1.uni-koeln.de
https://www.aanda.org/articles/aa/full_html/2025/05/aa53601-24/aa53601-24.html
DOI: 10.1051/0004-6361/202453601
Aufnahmen des ALMA-Teleskops der zentralen molekularen Zone der Milchstraße. Das Forschungsteam verm ...
Fengwei Xu (PKU); ALMA Partnership; Laura Pérez (NRAO)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Aufnahmen des ALMA-Teleskops der zentralen molekularen Zone der Milchstraße. Das Forschungsteam verm ...
Fengwei Xu (PKU); ALMA Partnership; Laura Pérez (NRAO)
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