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20.10.2025 11:00

Ein Leptin-sensitiver Schaltkreis im Gehirn hilft uns, Angst zu überwinden und lebenswichtige Bedürfnisse zu erfüllen

Eva Schissler Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Ein Forschungsteam der Universität zu Köln und der Uniklinik Köln identifiziert einen Schaltkreis im Gehirn, der Angst entgegenwirkt und ausgeglichenes Verhalten wiederherstellt. Das Ergebnis kann zur Entwicklung von Medikamenten gegen Magersucht, eine der tödlichsten psychischen Erkrankungen, beitragen / Veröffentlichung in „Nature Neuroscience“

    Wie gelingt es uns, in einer angstauslösenden Situation zu essen, uns in unbekannte Bereiche zu wagen oder zur Ruhe zu kommen, wenn uns die Angst eigentlich zum Weiterlaufen treibt? Eine neue Studie identifiziert einen Leptin-sensitiven Schaltkreis im lateralen Hypothalamus, der hilft, Angst zu überwinden, um lebensnotwenige Verhaltensweisen wie Erkundung, Nahrungsaufnahme und die Begrenzung angstbedingter Hyperaktivität zu ermöglichen. Das Hormon Leptin wird im Fettegewebe produziert und reguliert im Gehirn den Energiehaushalt, beeinflusst Appetit und Essverhalten. Es wirkt auf Nervenzellen, die über Leptin-Rezeptoren verfügen. Viele dieser Nervenzellen befinden sich im lateralen Hypothalamus, der Gehirnregion, in der Stoffwechselsignale zusammenlaufen und das Essverhalten reguliert wird. Die Studie “A lateral hypothalamic neuronal population expressing leptin receptors counteracts anxiety to enable adaptive behavioral responses” unter der Leitung von Professorin Dr. Tatiana Korotkova, Direktorin des Instituts für Systemische Physiologie der Universität zu Köln und Principal Investigator am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD, ist in Nature Neuroscience erschienen.

    Angst ist ein wichtiger Schutzzustand, der uns davor bewahrt, uns Gefahren auszusetzen. Sie kann uns jedoch auch daran hindern, lebenswichtige Bedürfnisse zu erfüllen, wie Essen in bedrohlichen oder stressigen Situationen. Angst kann auch zu ungesunden Verhaltensweisen führen, beispielsweise zu übermäßigem Bewegungsdrang, wie dies bei der Essstörung Anorexia nervosa bekannt ist. Da die neuronalen Schaltkreise im Hypothalamus zwischen Maus und Mensch evolutionär konserviert sind, kann die Entschlüsselung Leptin-sensitiver Mechanismen im lateralen Hypothalamus eine Grundlage für klinische Translation und Arzneimittelentwicklung bieten. Im Mausmodell zeigt das Team, dass die Aktivität Leptin-sensitiver Nervenzellen des lateralen Hypothalamus den Angstzustand eines Individuums vorhersagt und so moduliert werden kann, dass adaptive Entscheidungen selbst unter angstauslösenden Bedingungen wieder ermöglicht werden.

    Die Forschenden nutzten Miniaturmikroskope, um die Aktivität einzelner Nervenzellen zu visualisieren, während die Mäuse verschiedene Umgebungen erkundeten und spontane Verhaltensweisen zeigten. „Wir haben die Aktivität Leptin-sensitiver Nervenzellen aufgezeichnet, während die Mäuse potentiell angstauslösenden Situationen ausgesetzt waren. Dabei haben wir gesehen, dass diese Nervenzellen immer dann aktiv wurden, wenn die Tiere sich trauten, von selbst in exponierte Bereiche einzutreten oder sich dort Nahrung näherten“, sagt Rebecca Figge-Schlensok, Doktorandin an der Universität zu Köln. „Als wir die Aktivität dieser Nervenzellen verstärkten, erkundeten die Mäuse mehr und konnten in herausfordernden Situationen fressen – klare Hinweise darauf, dass dieser Schaltkreis hilft, die Angst zu überwinden und adaptives, zielgerichtetes Verhalten zu unterstützen.“

    Zudem zeigen die Forschenden, dass Eingänge aus dem präfrontalen Kortex diesen angstlindernden hypothalamischen Schaltkreis selektiv bei ängstlicheren Tieren dämpfen. So werden kognitive Kontrollregionen mit der hypothalamischen Steuerung emotionaler Zustände verknüpft. „Spannend war für uns, dass die Aktivität dieser Leptin-sensitiven Nervenzellen nicht nur den aktuellen Zustand abbildet – sie sagt voraus, wer sich in einer angstauslösenden Situation stark oder weniger stark ängstlich verhalten wird“, erläutert Dr. Anne Petzold, ebenfalls Erstautorin, derzeit Gruppenleiterin am European Neuroscience Institute in Göttingen. „Verstärkter Input aus dem präfrontalen Kortex liefert einen mechanistischen Ansatz dafür, warum ängstlichere Individuen diesen angstlindernden Schaltkreis nicht ausreichend aktivieren.“

    Angst hat klare klinische Auswirkungen, insbesondere bei Anorexia nervosa. Um das therapeutische Potenzial der angstlindernden, Leptin-sensitiven Nervenzellen bei Anorexia nervosa zu untersuchen, nutzte das Team ein präklinisches Krankheitsmodell: das Aktivitätsbasierte Anorexiemodell. In diesem Modell entwickeln Mäuse mit zeitlich begrenztem Zugang zu Nahrung und frei zugänglichen Laufrädern spontan einen übermäßigen Bewegungsdrang. Dieses Symptom, das häufig bei Patient*innen mit Anorexia nervosa beobachtet wird, kann Angst vorübergehend lindern, verschlechtert jedoch die ohnehin negative Energiebilanz. Eine Verstärkung der Aktivität Leptin-sensitiver Nervenzellen im lateralen Hypothalamus reduzierte die übermäßige Bewegung auf Basiswerte und entkoppelte Angst von kompensatorischem Laufen.

    Dies weist auf einen angstlindernden, energiesparenden Mechanismus hin: „Angst und Anorexia nervosa gehen häufig Hand in Hand. Anorexia nervosa weist die höchste Mortalitätsrate unter allen psychiatrischen Störungen auf, und bis heute gibt es keine wirksame pharmakologische Behandlung“, sagt Studienleiterin Tatiana Korotkova. „Indem wir einen Leptin-sensitiven hypothalamischen Schaltkreis identifizieren, der angstgetriebenen Bewegungsdrang bremst, ohne normale Aktivität zu unterdrücken, beginnen wir zu verstehen, wie emotionaler Zustand und Energiebilanz im Gehirn zusammenhängen könnten. Der nächste Schritt ist zu untersuchen, ob eine pharmakologische Modulation dieser Nervenzellen bei Angst- und Essstörungen helfen kann.“

    Die Forschung wurde unterstützt durch den ERC Consolidator Grant HypFeedNet, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD, Sonderforschungsbereich 1451 „Schlüsselmechanismen normaler und krankheitsbedingt gestörter motorischer Kontrolle“ sowie das Center for Molecular Medicine Cologne (CMMC).


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Professorin Dr. Tatiana Korotkova
    +49 221 478 15273
    Tatiana.Korotkova@uk-koeln.de


    Originalpublikation:

    https://www.nature.com/articles/s41593-025-02078-y
    DOI 10.1038/s41593-025-02078-y


    Bilder

    Leptin-sensitive Neuronen im lateralen Hypothalamus (grün ) helfen dabei, Ängste zu überwinden, um adaptives Verhalten zu ermöglichen. Verschaltungen aus dem präfrontalen Kortex sind rot dargestellt. Weiße Linien zeigen die Aktivität einzelner Neuronen.
    Leptin-sensitive Neuronen im lateralen Hypothalamus (grün ) helfen dabei, Ängste zu überwinden, um a ...

    Copyright: Rebecca Figge-Schlensok


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Chemie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Leptin-sensitive Neuronen im lateralen Hypothalamus (grün ) helfen dabei, Ängste zu überwinden, um adaptives Verhalten zu ermöglichen. Verschaltungen aus dem präfrontalen Kortex sind rot dargestellt. Weiße Linien zeigen die Aktivität einzelner Neuronen.


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