Wir leben seit Monaten «auf Pump»: Der Swiss Overshoot Day, an dem die Schweiz die ihr rechnerisch zustehenden natürlichen Ressourcen aufgebraucht hat, ist lange her. Was seither verbraucht wird, kann der Planet längerfristig nicht verkraften. Wie können ländliche Gemeinden dazu beitragen, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren? Dies haben Forschende der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL untersucht.
Was können ländliche Gemeinden politisch tun, damit ihre Bevölkerung weniger natürliche Ressourcen verbraucht? Welchen Rahmen können sie schaffen, um ein suffizientes Leben und Wirtschaften zu fördern? Diesen Fragen ist die WSL-Ökonomin Tonja Iten nachgegangen. Sie hat untersucht, wie in kleinen und mittleren Gemeinden Suffizienzpolitik konkret aussehen kann. Deren Ziel ist, den Ressourcenverbrauch innerhalb der planetaren Grenzen zu halten und gleichzeitig ein gutes Leben zu führen (siehe Kasten).
Gut leben in ländlichen Gemeinden
Das Forschungsteam hat 46 Gemeinden in der ganzen Schweiz besucht und eine Vielzahl an Suffizienzmassnahmen gefunden. Ein Schwerpunkt lag auf dem Bereich Mobilität. So fanden die Forschenden unter anderem einen Gratisbus, der drei Dörfer miteinander verbindet, oder kostenlosen öffentlicher Verkehr für Touristen, gefördert über eine höhere Kurtaxe.
«Zu Suffizienz in Städten gibt es bereits einige Studien und Programme», so Iten. Dabei geht es etwa um funktionsdurchmischte Quartiere, die Pendelwege reduzieren, oder Urban Agriculture, also Landwirtschaft in der Stadt, was Lieferketten verkürzt. Suffizienzpolitik im ländlichen Raum dagegen ist kaum untersucht. Das Forschungsteam hat deshalb Gemeinderätinnen und -räte aus der ländlichen Schweiz befragt: zum Stellenwert von Suffizienz in ihren Dörfern, zu lokalen Initiativen, zu treibenden Kräften und Barrieren. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Environmental Policy and Governance veröffentlicht.
Einzelpersonen bewirken viel
Suffizienz hat bisher wenig Eingang in die Politik gefunden. Umso wichtiger sind deshalb Eigeninitiative und engagierte Einzelpersonen. «In einer der befragten Gemeinden hat ein Einwohner eine Klimastrategie angeregt», schildert Iten. Diese ebnete den Weg für zahlreiche Suffizienzmassnahmen. Ein politischer Auftrag kann ähnliches bewirken. «Gemeinden können sich selbst einen Auftrag erteilen, indem sie sich etwa das Ziel einer sparsamen Ressourcennutzung in die Gemeindeordnung schreiben oder an einem Programm wie Energiestadt teilnehmen», berichtet Iten.
Auch Pilotprojekte sind wichtig, indem sie Suffizienzmassnahmen und ihre Vorteile sicht- und erlebbar machen. Wird beispielsweise eine Tempo-30-Zone zunächst als störender Eingriff empfunden, kann der Praxistest zeigen, dass sie die Lebensqualität und Sicherheit verbessert. Ebenso wichtig sind die Vorbildwirkung der Behörden, Partizipation und kluge Kommunikation: «Wer der Bevölkerung etwa bei einem öffentlichen Spaziergang einen geplanten Veloweg vorstellt, schafft Vertrauen und stellt sicher, dass das Projekt den lokalen Bedürfnissen entspricht», so Iten.
Erschwert wird Suffizienzpolitik oft durch beschränkte Ressourcen: Bei kleinen Gemeinden sind Zeit, Personal und Finanzen meist knapp und in anderen Aufgaben gebunden. Finanzielle Unterstützung durch Bund oder Kanton kann Abhilfe schaffen. Weitere Hemmnisse sind ein vermuteter Widerstand in der Bevölkerung, fehlendes Interesse oder eine höhere Priorisierung anderer Themen.
Suffizienz als Nebeneffekt
Die befragten Gemeinden waren nicht zufällig gewählt: Das Forschungsteam suchte bewusst nach solchen, die ambitionierte Nachhaltigkeitsziele verfolgen – und dokumentierte insgesamt über 500 geplante oder realisierte Einzelmassnahmen. «Viele davon waren allerdings nicht explizit Suffizienzmassnahmen», schränkt Iten ein, «sondern verfolgten primär andere Ziele.» Etwa die Stärkung der lokalen Wirtschaft, indem Lebensmittel für Kitas oder Altersheime bei ortsansässigen Produzentinnen eingekauft werden. Nebenbei verkürzt dies Wege, spart Ressourcen und macht so die Gemeinde suffizienter.
Dies zeigt: Selbst wenn nur zwei der befragten Gemeinden den Begriff Suffizienz benutzten – auch ländliche Gemeinden haben eine ganze Reihe von Hebeln, Suffizienzpolitik zu betreiben.
Kasten:
Suffizienz und Suffizienzpolitik
Es gibt verschiedene Strategien zur Nachhaltigkeit.
• «Effizient» bedeutet, gleichviel zu konsumieren oder zu produzieren mit weniger Ressourcen.
• «Konsistent» heisst, Produkte und Leistungen naturverträglich zu gestalten und den Ressourcenkreislauf zu schliessen.
• «Suffizient» bedeutet, weniger, ressourcenleichter, langsamer und lokaler zu konsumieren und zu produzieren. Beispielsweise mit dem Velo statt dem Auto fahren, Lebensmittel aus der Region einkaufen oder Repaircafés etablieren.
Suffizienzpolitik schafft die Rahmenbedingungen für ein suffizientes Leben und Wirtschaften. Hintergrund ist das Konzept der planetaren Grenzen, das beschreibt, wie stark die Menschheit die natürlichen Ressourcen nutzen und zentrale ökologische Systeme belasten darf, ohne die Stabilität der Erde und damit unsere Lebensgrundlagen zu gefährden.
Tonja Iten
Doktorandin
Regionalökonomie und -entwicklung
tonja.iten@wsl.ch
+41 44 739 2497
Iten T., Seidl I., Pütz M. (2024) Sufficiency policy: a definition, conceptual framework, and application to municipalities. Sustain. Sci. 19, 1709-1734. doi:10.1007/s11625-024-01534-1 Institutional Repository DORA
https://www.wsl.ch/de/news/wie-laendliche-gemeinden-zum-schutz-natuerlicher-ress...
Eine häufige Suffizienzmassnahme ist die Förderung des Veloverkehrs.
Quelle: (Bild: Tonja Iten)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch

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